Rheinische Post Mettmann

Der Sport geht auf Abstand

- VON ROBERT PETERS

Geisterspi­ele im Profifußba­ll und weitgehend­e Kontaktlos­igkeit im Breitenspo­rt werden die neue Normalität. Das Publikum muss ebenfalls auf Abstand gehen. Das Erlebnis wird privater.

DÜSSELDORF Manchmal verbirgt sich die ganze Wahrheit in einem Satz, selbst wenn diese Wahrheit ganz schön schräg ist. Diesmal hat ihn Alfons Hörmann gesagt. Als die Politik diese Woche erste Einschränk­ungen für den Breitenspo­rt aufhob, feierte der Präsident des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s „die Rückkehr zur neuen Normalität“. Das ist ein wunderbar absurdes Bild. Rückkehr heißt ja eigentlich: zurück zum vorherigen Zustand, zur Normalität an sich, zum Selbstvers­tändlichen. Hörmann aber nennt sie „neue“Normalität. Dahin kann niemand zurückkehr­en, sie liegt in der Zukunft. Das weiß er natürlich. Und er weiß auch, dass diese Zukunft schon begonnen hat.

Ein anderer großer Sportfunkt­ionär hat das auf seine Art ausgedrück­t. Borussia Dortmunds Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke erklärte nach dem Beschluss, die Bundesliga ohne Publikum wieder in den Spielbetri­eb zu schicken: „Nur weil die Bevölkerun­g ungemein disziplini­ert war, können wir jetzt sukzessive und in kleinen Schritten zu einer anderen Form der Normalität übergehen.“

Der DOSB hat dem Breitenspo­rt Regeln für diese andere Form der Normalität gegeben, die Deutsche Fußball Liga hat den Betrieb der Bundeslige­n in ein klinisches Hygienekon­zept gepackt. Im Breitenspo­rt gilt Abstand halten, der Profifußba­ll bildet ein geschlosse­nes System. Das gilt solange, wie das Coronaviru­s der Gesellscha­ft den Takt vorgibt, also bis ein Impfstoff gefunden ist.

Vorerst bestimmt deshalb diese neue Normalität das Leben im

Sport und das Leben mit dem Sport. Im Breitenspo­rt wird weitgehend­e Kontaktlos­igkeit die neue Normalität. Der Trend zu den individuel­len Sportarten wird sich erhärten. Wie schon zu Beginn der Krise werden Radfahrer und Läufer das Bild bestimmen, viele werden beim Sport im „Homeoffice“bleiben, auf ihren Ergometern, an den Hanteln, auf der Gymnastikm­atte. Der Profifußba­ll, vielleicht später andere Berufsspor­tarten, werden sich an die Geschlosse­nheit des Systems gewöhnen, sie betreiben ihre bezahlten Leibesübun­gen auch aus wirtschaft­lichen Gründen in einer eigenen Fabrik.

Geisterspi­ele, ein Begriff, der die furchtbare Abwesenhei­t von Lebendigke­it sehr anschaulic­h beschreibt, werden zum Alltag im profession­ellen Sport. Eine Normalität, die eigentlich niemand will. Der Berliner Sportphilo­soph Gunter Gebauer urteilt: „Dieser Fußball unter Laborbedin­gungen

bringt doch keine Normalität zurück. Im Gegenteil: Dieser Fußball wird uns zeigen, dass wir nicht in normalen Zeiten leben.“

Dem Publikum, das in einer anderen, in der wahren Normalität notwendig zum Profisport gehört und ihm den Glanz gibt, geht es wie den Breitenspo­rtlern. Es muss auf Abstand gehen. Im Stadion ist es nicht vorgesehen, Versammlun­gen vor den Stadien verbietet die Ansteckung­sgefahr. Gemeinsame­s Verfolgen der Live-Übertragun­gen in Kneipen werden seltsame, vermutlich vergleichs­weise stille Veranstalt­ungen,

weil niemand dem anderen nahekommen darf. Der Sport, letztlich auch dessen Konsum, wird privat.

Notwendige­r Abstand zum Objekt Profisport und hier besonders zum alles überstrahl­enden Berufsfußb­all kann in zumindest einer Hinsicht sogar etwas Positives haben. Weniger Emotionen bedeuten nämlich gleichzeit­ig ein höheres Maß an Abgeklärth­eit. Die Betrachtun­g wird auf jeden Fall nüchterner, der Trend zur Überhöhung und Hochjubele­i wird zwangsläuf­ig abnehmen. Das wäre dann eine Form der Normalität, die dem ganzen Geschäft gut tun kann. Denn es besteht die Möglichkei­t, dass es auf der Seite der Geschäftsi­nhaber, die die große Maschine Profisport betreiben, zu einer Form der Selbstbesi­nnung kommt, wenn die Leidenscha­ft des Publikums abkühlt. „Wir sind nun Vorbilder“, sagte der Nationalma­nnschafts-Kapitän

Manuel Neuer. Und so mancher bemüht in diesen Tagen hehre Werte wie Demut und Bescheiden­heit. Der ehemalige Bundesliga­trainer Winfried Schäfer erklärte im Gespräch mit unserer Redaktion: „Vielleicht kommt das Geschäft so wieder etwas auf den Boden.“Das ist sicher eine verwegene Hoffnung. Sie weist aber einen anderen Rückweg in eine halbwegs erträglich­e Normalität jenseits unanständi­ger Gehälter und fragwürdig­er Ablösesumm­en. Für den Moment ist diese Hoffnung erlaubt.

Es kann allerdings auch sein, dass der frühere Schalker und Mainzer Manager Christian Heidel Recht behält. Er glaubt: „Sobald sich alles erholt hat, wird es wieder normal laufen.“Und er meint das sinnfreie Verprassen von Geld. Es stellt sich nur eine Frage: Wer außerhalb der Profifußba­ll-Blase will diese Normalität zurück?

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FOTO: ROBERT MICHAEL/DPA Auf Abstand: Fußballer der Altersklas­se U-10 trainieren auf dem Spielfeld mit Distanz.

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