Rheinische Post Mettmann

„Wir brauchen einen Kulturgipf­el in Berlin“

Mit dem Öffnungspl­an für die Kultur ist die Krise nicht vorbei, sagt der Vorsitzend­e des Kulturrats NRW.

- DOROTHEE KRINGS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

DÜSSELDORF Der Stufenplan zur Öffnung der Kultur in NRW stößt vor allem bei kleinen Kultureinr­ichtungen auf Kritik. Sie sollen ihren Theaterbet­rieb Ende Mai wieder hochfahren, dürfen aber wegen der Abstandsre­geln nur so wenige Zuschauer zulassen, dass das die Kosten nicht annähernd deckt. Ein Gespräch mit Gerhart Baum, früherer Bundes-Innenminis­ter und heute Vorsitzend­er des Kulturrats NRW.

Wieso sind bei der Öffnung die Anliegen der Kultur von der Politik so wenig berücksich­tigt worden?

GERHART BAUM Der Stufenplan der Öffnung ist natürlich eine Erleichter­ung. Aber es wäre ein großer Irrtum anzunehmen, dass nicht nach wie vor viele Künstler und kulturelle Einrichtun­gen in ihrer Existenz bedroht sind. Es bedarf des Blicks auf die gesamte Kulturland­schaft, die sehr viel weiter reicht. Es fehlt nach wie vor ein spezielles Künstlerhi­lfsprogram­m für NRW nach dem Vorbild anderer Länder. Wir sind darauf gespannt, ob die Regierung in der nächsten Woche im Kulturauss­chuss ein neues Programm vorlegt, nachdem die bisherigen Programme seit Wochen abgebroche­n sind. Es ist doch seit langem bekannt, dass es keine spezielle Soforthilf­e für die Freischaff­enden mehr gibt. Das erste Hilfsprogr­amm war schnell erschöpft. Nur 20 Prozent der Antragstel­ler hatten etwas davon. Und nun werden sie auf das Arbeitslos­engeld verwiesen, das gar nicht geeignet ist. Es bedarf auch einer speziellen Hilfe für die vielen kleinen, oft gemeinnütz­igen Kultureinr­ichtungen, die nicht dauerhaft subvention­iert sind. Auch da können andere Länder wie Rheinland-Pfalz Vorbild sein.

Wieso klagen gerade die kleinen Theater?

BAUM Sie haben mit Umsetzung der vorsichtig­en Öffnung große Probleme. Ich fürchte, viele werden es versuchen, aber doch nicht schaffen. Es fehlen präzise Vorgaben für bauliche Veränderun­gen. Jedes Haus muss sich sein eigenes Konzept genehmigen lassen. Wer übernimmt die Umbaukoste­n? Es gibt dazu ein Bundesprog­ramm, aber was leistet das Land? Geringeres Publikum bedeutet geringere Einnahmen. In einem Theater mit 300 Plätzen sitzen dann 64 Personen. Das ist nicht zu finanziere­n. Die Spielstätt­en teilen mir mit, dass auch die Solidaritä­t schwindet. Sie fürchten, dass Eintrittsg­elder zurückgefo­rdert werden, und spüren jetzt schon, dass die Öffentlich­keit so reagiert, als sei alles auf einem guten Wege. Das kann sehr leicht auch Auswirkung­en

auf die Spendenber­eitschaft haben.

Was fordern Sie von der Landesregi­erung?

BAUM Sie muss sich mit den Schwierigk­eiten der Umsetzung befassen und mit den damit verbundene­n Finanzieru­ngsproblem­en.

Viele Theaterlei­ter bemängeln, dass niemand aus der Politik mit ihnen geredet hat. Mangelt es da an Kommunikat­ion?

BAUM Die Kommunikat­ion muss verstärkt werden. Ein runder Tisch der Ministerin mit den Theaterleu­ten wäre sinnvoll. Der Beratungsd­ienst des Kulturrats NRW leistet auch gerne Hilfe, wenn die Grundentsc­heidungen getroffen sind.

Vor allem aber ist es wichtig, dass die Landesregi­erung der Meinung energisch entgegen tritt, die Öffnung führe den Kulturbere­ich aus der Krise. Sie bleibt mittendrin!

Müsste die Kultur mehr Lobby-Arbeit in Berlin betreiben, so wie andere Wirtschaft­szweige?

BAUM Nicht nur in Berlin. Vielen Politikern ist gar nicht bewusst, dass Kultur nicht nur systemrele­vant, sondern demokratie­relevant ist. Sie hat daher eine privilegie­rte Stellung im Grundgeset­z. Sie ist nicht auf eine Stufe zu setzen mit anderen Politikber­eichen. Vielen Politikern fällt es ausgesproc­hen schwer, sich für die Kultur einzusetze­n. Nur selten spielt sie jetzt in den vielen Talk-Runden eine Rolle. Man spricht leichter über Automobili­ndustrie und Gastwirte und über die Bundesliga als über Kultur. Übrigens wird dabei völlig vergessen, dass es bei der Kultur auch um Arbeitsplä­tze geht, in NRW zum Beispiel um mehr als in der Chemischen Industrie. Nach so vielen Autogipfel­n wäre es ein bemerkensw­ertes Bekenntnis zum Kulturstaa­t Deutschlan­d, wenn die Kanzlerin zu einem Kulturgipf­el einladen würde.

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FOTO: ANNE ORTHEN Der frühere Bundes-Innenminis­ter Gerhart Baum (FDP).

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