„Intubation darf nur der letzte Versuch sein“
Der Lungenmediziner führt schwerkranken Covid-19-Patienten Sauerstoff nur über eine Maske zu – und ist damit sehr erfolgreich.
MOERS Bei der Behandlung von schwerkranken Covid-19-Patienten verfolgt Thomas Voshaar, Chefarzt des Lungenzentrums im Bethanien-Krankenhaus in Moers, einen anderen Ansatz. Statt die Kranken zu intubieren und maschinell zu beatmen, setzt er auf Beatmungsmasken. Mit Erfolg. Nach anfänglich heftigem Widerspruch von Kollegen trudeln jetzt täglich Anfragen ein. Selbst renommierte US-Unis wie Princeton und Harvard haben sich gemeldet, auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat ausführlich mit Voshaar telefoniert. Alle wollen das selbe wissen: Wieso funktioniert das so gut mit den Masken?
Haben Sie die Covid-19-Patienten auf Ihrer Station von Anfang an über Masken mit Sauerstoff versorgt
THOMAS VOSHAAR Ja, haben wir. Es war von Anfang an klar, dass die Intensivmediziner und Anästhesisten angesichts der Notsituationen etwa in Italien eine Empfehlung formulieren, Patienten früh zu intubieren. Das hat eine durchschlagende Wirkung bis heute. Ich habe aber gleich gesagt, das kann ich nicht teilen, weil es aller ärztlichen Erfahrung widerspricht. Mittlerweile hat sich ja gezeigt, dass die Sterblichkeit, wenn man so vorgeht, unerträglich hoch ist. Ich habe mein Vorgehen aber früh mitgeteilt und publiziert, und da fing der Ärger schon an.
Ärger weshalb?
VOSHAAR Weil da einer den Kopf aus dem Fenster gehalten und gesagt hat, das finde ich alles nicht richtig. Es gab einen kleinen Shitstorm mit dem Tenor, das sei eine Einzelmeinung. Das war schon heftig, zumindest vorübergehend.
Aber die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin hält an der Behandlungsmethode der maschinellen Beatmung fest. Sie argumentiert, die hohe Sterblichkeit liegt an der Schwere der Erkrankung, nicht an der Intubation.
VOSHAAR Genau. Die Anästhesisten-Verbände merken aber langsam, dass man es den Menschen schwer verkaufen kann, ab einem bestimmten Punkt einen Tubus in den Hals zu bekommen, dass es den Menschen Angst macht. Dennoch gilt die Empfehlung. Ob die Sterblichkeit nun mit der Schwere der Krankheit zu tun hat, kann man definitiv nicht sagen, wenn man früh intubiert. Wir wissen, dass die Beatmung einer entzündeten Lunge eben auch zu einem Beatmungsschaden an der Lunge führen kann. Die Lunge ist extrem empfindlich als Organ. Wenn man so durchs Leben läuft, hält sie fast alles aus, selbst das Rauchen für sehr lange Zeit. Aber eine akut entzündliche Lunge mit Überdruck zu beatmen, mag sie überhaupt nicht. Beatmung darf damit nur der allerletzte Versuch einer Lebensrettung sein. Die Amerikaner dagegen haben das konsequent gemacht, sie verfolgen sogar eine Strategie der Beatmung. Das heißt, man hat gewisse Eckpunkte, in der Regel die Sauerstoffsättigung, und wenn die einen gewissen Wert unterschreitet, sieht die Strategie vor, dass man einen Tubus benutzt. Das muss man vehement ablehnen.
Wie sehen denn die Zahlen aus?
VOSHAAR Wir sind jetzt bei uns in der Klinik bei 47 schwerkranken Covid-19-Patienten. Wir haben einen einzigen intubiert, den haben wir auch verloren, der hatte eine schwere neurologische Vorerkrankung. Alle anderen sind nicht intubiert worden und über den Berg. Von den 47 sind 38 zu Hause. In Amerika sterben nach wie vor 80 Prozent der Patienten an der Maschine, viele schon in den ersten 24 Stunden der Intubation, weil sofort der Kreislauf wegsackt und es andere Komplikationen gibt.
Wie unterscheiden sich denn Intubation und Maske genau?
VOSHAAR Die Unterschiede könnten gar nicht größer sein. Wenn man jemanden maschinell beatmet, braucht man erstmal ein künstliches Koma. Der Patient muss tief schlafen, und er atmet nicht mehr von alleine. Er bekommt einen Schlauch in die Luftröhre, und in diesen wird Sauerstoff mit Überdruck hineingedrückt. Alles wird über die Maschine gesteuert. Die Lunge mag aber weder erhöhten Druck noch erhöhte Sauerstoffkonzentration. Wir atmen natürlich, indem wir Luft durch Unterdruck einsaugen. Wenn ich das Prinzip nun umdrehe, kann man sich mit dem gesunden Menschenverstand ausrechnen, dass das nicht ohne Nebenwirkungen bleibt. Bei der Maskenbeatmung atmen die Patienten selber, und sie bleiben wach, es gibt keinerlei Sedierung. Sie können essen und trinken, was auch für das Immunsystem wichtig ist. Wir unterstützen nur die Eigenatmung durch Druckluft, die an Nase und Mund herangeführt wird. Das ist der gravierende Unterschied. Die Patienten atmen spontan.
Diese Methode wird auch in anderen Kliniken an Covid-19-Patienten praktiziert.
VOSHAAR Ja natürlich, immer mehr versorgen ihre Patienten so. Seit Wochen melden sich täglich Kollegen, meine Oberärzte sind in großen Netzwerken unterwegs.
Mit der Maske zu beatmen ist doch sicher auch günstiger.
VOSHAAR Das finde ich eine ganz entscheidende Frage. Es wurde überall auf der Welt der Bevölkerung und den Politikern suggeriert, dass das Überleben davon abhängt, dass ein Beatmungsgerät verfügbar ist. Alle haben gedacht, wenn ich an keine Maschine komme, werde ich sterben. Vom Konzept war es natürlich richtig, Vorsorge zu treffen, weil zu befürchten war, dass die Geräte bei der langen Behandlungsdauer schnell belegt sein würden. Aber wenn man es so macht wie wir, bleiben vielleicht 10 oder 30 Prozent der Patienten, die intubiert werden müssten. Dann hätten sie viele Intensivbetten frei und ja, das wäre unglaublich viel billiger. Sauerstoff hat einen geringen Preis, und die kleine Maschine, mit der man Druckluft machen kann, kostet auch nur 3000 Euro – eine große Beatmungsmaschine aber rund 30.000 Euro. Der nächste Punkt ist ja: Wenn wir in Kontinenten wie Südamerika oder Afrika helfen wollen, müssen wir da nicht die große und teure, auch komplizierte Maschinen hinbringen und können trotzdem abertausende Leben retten.
Erhöht denn die Maske die Infektionsgefahr für das medizinische Personal?
VOSHAAR Das war von Anfang an bei den offiziellen Empfehlungen auch immer ein Argument für die Intubation. Da muss ich deutlich sagen, dass ich das von Beginn an als unethisch und inakzeptabel empfunden habe. Es kann niemals sein, dass wir das Wohl des Patienten der Mitarbeitersicherheit opfern. Das geht
nie. So lange es Ärzte gibt, haben sie sich auch bewusst dem Risiko ausgesetzt, das ja praktisch ein Berufsrisiko ist. Und rein fachlich: Es ist einfach nicht so. Das mit der Ansteckungsgefahr bei der Maskentherapie ist inzwischen eindeutig widerlegt. Wir haben bisher bei uns keine einzige Im-Haus-Infektion.
Noch zum Thema Langzeitschäden der Lunge: Sind die möglicherweise auch auf Beatmung zurückzuführen?
VOSHAAR Das wird noch ein spannendes Thema. Wir haben mit den Nachuntersuchungen schon angefangen. Von unseren Patienten, die ja nicht an der Maschine waren, kann man sagen: Die werden alle wieder ganz gesund. Ich befürchte allerdings, wenn jemand die Beatmungsmaschine überlebt hat, wird er ein erhöhtes Risiko haben, dass die Lunge durch die Beatmung einen Schaden erlitten hat. Genau weiß man das noch nicht, da muss man auch fair bleiben, aber von einem erhöhten Risiko ist wohl auszugehen.