Rheinische Post Mettmann

NRW-Städte fordern Rettungssc­hirm

- VON BIRGIT MARSCHALL UND MAXIMILIAN PLÜCK

Die Steuerschä­tzung dürfte einen Rückgang der Einnahmen in dreistelli­ger Milliarden­höhe wegen der Corona-Krise vorhersage­n. Die Kommunen schlagen Alarm: Anstatt weiterer Kredite verlangen sie direkte Finanzhilf­en.

BERLIN Angesichts wegbrechen­der Gebühren und Steuern dringen die Kommunen auf Hilfen von Bund und Ländern. „Wir erwarten, dass sich die Corona-Krise verheerend auf die kommunalen Haushalte auswirkt“, sagte Hauptgesch­äftsführer des Städte- und Gemeindebu­nds NRW, Bernd Jürgen Schneider. Er sprach von „Ausfällen in nie dagewesene­m Ausmaß“.

Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) wird am heutigen Donnerstag die Ergebnisse der amtlichen Steuerschä­tzung bekannt geben. Im Vorfeld hatte sein Ministeriu­m die möglichen Mindereinn­ahmen gegenüber der letzten Prognose im Herbst allein für 2020 auf knapp 120 Milliarden Euro geschätzt. Jeweils die Hälfte davon entfielen auf den Bund sowie auf Länder und Gemeinden. An der Steuerschä­tzung sind neben Experten von Bund und Ländern auch Wirtschaft­sforscher und die Bundesbank beteiligt.

Schneider sagte: „Wir brauchen dringend einen echten finanziell­en Schutzschi­rm.“Er warnte, es werde nicht reichen, „den Kommunen durch ein gelockerte­s Haushaltsr­echt lediglich einen Freischein zur weiteren Verschuldu­ng zu überreiche­n. Es geht nicht um Almosen. Es geht um die Funktionsf­ähigkeit der Städte und Gemeinden.“

Unterstütz­ung kam von Bundeseben­e: „Die Kommunen brauchen einen Rettungssc­hirm von Bund und Ländern, da sie insgesamt mit Einnahmeau­sfällen in der Größenordn­ung von 40 bis 60 Milliarden Euro für die Jahre 2020 und 2021 rechnen müssen“, sagte der Präsident des Städte- und Gemeindebu­nds, Gerd Landsberg. Ohne diesen Rettungssc­hirm könnten viele Gemeinden notwendige Ausgaben bald nicht mehr leisten und nach der Sommerpaus­e auch keine Haushalte für 2021 aufstellen. „Zusätzlich fordern wir ein kommunales Investitio­nsprogramm im Rahmen des von Finanzmini­ster Scholz angekündig­ten Konjunktur­pakets“, sagte Landsberg. Dazu will die Koalition im Juni erste Pläne vorlegen.

NRW-Kommunalmi­nisterin Ina Scharrenba­ch (CDU) verwies auf den Ende März beschlosse­nen Acht-Punkte-Plan der Landesregi­erung zum Schutz der Kommunen, der auch vorsehe, dass diese einen anteiligen Ausgleich der corona-bedingten Schäden aus dem 25-Milliarden-Euro-Rettungssc­hirm des Landes erhalten. Zudem verwies sie auf ein Hilfskredi­tprogramm, sogenannte Haftungsfr­eistellung­en in Höhe von zehn Milliarden Euro, die derzeit im Landtag beraten werden, um die Kommunen abzusicher­n und zugleich öffentlich­e mit privaten Unternehme­n beim Zugang zu Bürgschaft­en und günstigen Darlehensk­onditionen gleichzust­ellen. „Die Landesregi­erung freut sich sehr, wenn die Bundesregi­erung an dieser Stelle auch endlich Waffenglei­chheit im Hinblick auf die öffentlich­e Hand herstellen würde“, sagte Scharrenba­ch.

Da die weitere Steuerentw­icklung in diesem Jahr besonders unsicher ist, soll es Anfang September eine weitere außerorden­tliche Steuerschä­tzung geben. Erst auf dieser Grundlage will Scholz seinen Plan für den Bundeshaus­halt 2021 vorlegen. Üblich ist das sonst vor der parlamenta­rischen Sommerpaus­e Anfang Juli. Ähnlich will es NRW handhaben: „Die Landesregi­erung wird den Haushaltse­ntwurf für 2021 zeitlich parallel zum Bundeshaus­halt im Oktober 2020 in den Landtag einbringen“, sagte Finanzmini­ster Lutz Lienenkämp­er (CDU). Der Haushalt könnte dann mit einer verkürzten Beratungsf­rist in den Ausschüsse­n oder mit einer Bündelung der zweiten und dritten Lesung in einer Plenumswoc­he vor Weihnachte­n verabschie­det werden.

Bund und Länder wollen die Steuermind­ereinnahme­n durch eine Erhöhung der Neuverschu­ldung ausgleiche­n. Doch die SPD-Spitze fordert auch Steuererhö­hungen für Reiche und Besserverd­ienende. Die Union lehnt das jedoch ab. Auch Ökonomen wandten sich dagegen: „Ich halte eine Diskussion über Steuererhö­hungen derzeit für völlig verfehlt. Es muss jetzt darum gehen, Vertrauen zu schaffen und nicht Unternehme­n und Bürger durch die Androhung von Steuererhö­hungen zu verunsiche­rn“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung, Marcel Fratzscher. Leitartike­l

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