Im Gespräch bleiben
Die „Hygiene-Demos“sind Zeichen für eine Polarisierung der Gesellschaft in der Corona-Frage. Die Debatte wird härter, mancher Protest wirkt irrational. Umso wichtiger wird respektvolle Konfrontation.
DÜSSELDORF Nun stecken wir also im Präventions-Paradox: Je besser die vorbeugenden Maßnahmen gegen die Covid-19-Ausbreitung wirken, desto übertriebener erscheinen sie vielen Leuten. Das sorgt für Unmut, inzwischen auch auf den Straßen. Menschen protestieren gegen die Eingriffe in ihre individuellen Freiheiten. Oder verschaffen ihren Sorgen um die Wirtschaft Gehör. Einige tragen aber auch Verschwörungsideen in die Öffentlichkeit, wollen kundtun, dass es das Virus angeblich gar nicht gibt oder dass Weltverschwörungen im Gang seien, und verstoßen demonstrativ gegen die Abstandsregeln.
Aus dem anfänglichen „Wir gegen das Virus“entwickelt sich jetzt also ein Gegeneinander von Masken-Willigen und Abstands-Verächtern. Die Gesellschaft polarisiert sich – ein weiteres Mal nach Flüchtlingsund Klimadebatte. Mit neuer Geschwindigkeit verhärten sich die Fronten, vergiftet sich der Dialog zwischen Unterstützern der Corona-Maßnahmen und mehr oder weniger radikalen Kritikern. Dabei kann nur eines das Auseinanderdriften auch in der Corona-Frage verhindern: miteinander im Gespräch zu bleiben.
„Wir müssen eine neue Tugend der respektvollen Konfrontation entwickeln“, sagt der Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen. Diese Tugend erweise sich etwa darin, dass Gesprächspartner sich nicht opportunistisch wegducken, wenn sie auf Gegensätze stoßen, aber auch nicht in die Abwertungsspirale einsteigen, sondern nach einer Verständigungsbasis suchen. „Auch Menschen, die etwa in den sozialen Netzwerken fragwürdige Inhalte teilen, handeln häufig aus einem sehr ehrenwerten Motiv: Sie wollen andere warnen“, sagt Pörksen. Wenn man solche Motive erkenne, könne man darüber den Dialog fortsetzen. „Pauschale Abwertungen ruinieren ein Gespräch jedenfalls unter Garantie.“
Natürlich gebe es unter den Menschen, die gegen die Corona-Politik auf die Straße gehen, Rechtsradikale, Verschwörungstheorie-Anhänger und Hysteriker. Doch sei es gefährlich, Skeptiker vorschnell zu diffamieren und nicht um jede Nuance in der Debatte zu ringen.
Der große Gesprächsforscher Friedemann Schulz von Thun, mit dem Pörksen gerade ein Buch über die Kunst des Miteinander-Redens geschrieben hat, unterscheidet von jeher Sachebene und Beziehungsebene in der Kommunikation. Im
„Wir müssen eine neue Tugend der respektvollen Konfrontation entwickeln“Bernhard Pörksen
Kommunikationswissenschaftler
Idealfall gelingt ein Streit auf der Sachebene, ohne dass die Kontrahenten sich auf der Beziehungsebene gegenseitig herabwürdigen und zu Feinden machen. Doch wird das schwieriger, wenn Menschen – wie jetzt in der Corona-Krise – sehr unterschiedliche Interessen vertreten und das Gefühl haben, sie lebten in getrennten Welten.
Die aktuelle Gereiztheit der Debatte hat wohl auch damit zu tun, dass das Ende der Pandemie nicht in Sicht ist und Viele existenzielle
Sorgen plagen. Unsicherheit und Angst ergeben den Nährboden für Verschwörungstheorien und pauschale Attacken, sagt der Extremismusforscher Peter R. Neumann. Bisher seien die Ziele der Proteste zu uneinheitlich, als dass sich daraus eine politische Bewegung ergeben könnte. Auch gebe es keine erkennbare Führungsfigur.
Doch hätten die Proteste Potenzial zur Radikalisierung. „Wenn bekanntere Teilnehmer wie der Kochbuchautor Attila Hildmann von Krieg und Konfrontation sprechen und in militärischen Uniformen oder mit Schwertern posieren, ist das noch kein direkter Aufruf zur Gewalt, gibt dem Protest aber eine militante Note“, sagt Neumann.
Politikwissenschaftler Eckhard Jesse warnt jedoch davor, den Protest nur von den radikalen Rändern her zu betrachten. „Menschen Verschwörungsdenken vorzuwerfen – immer gleich mit dem Etikett „krude“dazu –, verstellt den Blick auf berechtigte Kritik, die auf den Demonstrationen auch geäußert wird“, sagt Jesse. „Es geht um mehr Fairness
in der Wahrnehmung des Protests.“
In der Tat hat es in den Wochen der Pandemie oft widersprüchliche Einschätzungen von Experten gegeben. Politiker haben Maßnahmen angekündigt und zurückgezogen. Kennzahlen wurden hoch und runter gerechnet; das kann skeptisch machen. Neumann betont, dass Ambivalenzen bei Großereignissen wie einer Pandemie normal seien, Verschwörungstheoretikern aber Anlass gäben, geheime Systeme zu konstruieren. Er plädiert dafür, dass Leute im öffentlichen Raum wie Politiker oder Journalisten ihre Unsicherheit im Umgang mit der Pandemie offener zugeben. „Das fällt Menschen in der Öffentlichkeit schwer“, sagt Neumann, „aber das sollten sie sich trauen.“
Zugleich hat gerade der Beginn der Pandemie gezeigt, dass die Mehrheit der Deutschen gemäßigt denkt und sich in der Gefahr vernünftig verhält. Diese Mehrheit steht auch weiter hinter der Politik der Bundesregierung, wie aktuelle Umfragen zeigen. „Diese Gruppe ist mehr denn je gefordert, sich zu Wort zu melden und für eine Sprache der Abkühlung und der respektvollen Konfrontation zu werben“, sagt Pörksen.
Es geht also um mehr Geduld miteinander und um ein wohltuendes Zögern im oft überschnellen Schlagabtausch. Denn dieses Zögern entsteht dann, wenn Menschen zumindest für möglich halten, dass der andere auch Recht haben könnte.