„Ich spüre im Voraus das Heimweh“
Der Diakoniepfarrer startete viele ungewöhnliche Aktionen. Zum Abschied spricht er über Mut und einen Flop.
FLINGERN-SÜD Nach fast 26 Jahren in der Landeshauptstadt und 18 Jahren als Vorstandsvorsitzender der Diakonie Düsseldorf hat Thorsten Nolting (55) am Freitag seinen letzten Arbeitstag. Der Diakonie bleibt der gebürtige Niedersachse erhalten, allerdings für die in München und Oberbayern. Er wird der Theologische Vorstand bei der Inneren Mission.
Wie fühlen Sie sich?
Ein bisschen wehmütig. Es endet was, es fasst mich an, ich spüre im Voraus das Heimweh. Manche Leute sagten, ich stünde in ihrem Testament, weil sie sich von mir beerdigen lassen wollen, ich dürfte nicht weggehen. Das ist sehr schmeichelhaft, aber der Schritt jetzt ist auch gut.
Geboren wurden Sie in Niedersachsen, vor Düsseldorf wechselten Sie die Jobs in viel kürzeren Abständen. Das spricht für den Wohlfühlfaktor der Stadt.
Nolting So lange in der Landeshauptstadt zu bleiben, habe ich nicht geplant. Am Anfang dachte ich, ich gebe fünf Jahre alles, dann bin ich weg. Und dann wurden mehr als 25 Jahre daraus.
Sie sagten gerade, es fasst Sie an, zu gehen, was hat sie gepackt, dass Sie so lange blieben?
Nolting Mein Bild von Düsseldorf war diffus, aber irgendwie positiv. Mein Fazit heute: Die Düsseldorfer sind herzlich und engagiert, und dabei ist Düsseldorf eine wunderbar normale Stadt. Ich gehe auch gerne in die Stadtteile wie Eller und Holthausen, man merkt ihnen an, dass das Ruhrgebiet nah ist. Alles ist sehr sympathisch. Derendorf hat einen eigenen Charme, Pempelfort. Mittlerweile lebe ich mit meiner Familie „draußen“in Urdenbach. Ich kenne die ganze Stadt heute so gut, ich könnte einen Taxischein machen. Ich bin jetzt Düsseldorfer, übrigens mit Fortuna-Mitgliedsausweis.
1994 waren Sie zunächst Pfarrer in der Johanneskirche. Sie galten als jemand, der gegen den Strich dachte, der mit gewagten Aktionen wie Filmaufführungen in der Kirche etwa bundesweit für Schlagzeilen sorgte. Wie haben Sie Ihren Start in Erinnerung?
Nolting Ich habe nicht provoziert, um zu provozieren, die Aktionen sollten interessant sein. In den acht Jahren als Pfarrer an der Johanneskirche fühlte ich mich beauftragt, Kirche in ihren Formen neu zu erfinden. Ich habe dabei gerne mit Künstlern gearbeitet. Den Bibelspruch „Erhebet Eure Herzen“setzte Sigrid Lange etwa so um, dass sie der
Kirche einen schrägen Boden verpasste – als würde man abheben in Richtung Altar. Ich empfinde Kirche auch so als etwas Befreiendes, nicht Drückendes. Mit unserem Gospeltainment etablierten wir eine neue Form von Gottesdienst. 1998 kam der Nachtclub mit elektronischer Musik dazu. Ich hatte viele Freiheiten, das war schon faszinierend.
Woher kommt diese Freude an Innovation und die Leichtigkeit, Dinge einfach zu machen?
Nolting Was ich in meinem Elternhaus spürte, war Vertrauen ins Leben und in Gott, darin, dass man getragen wird. Meine Eltern vertrauten mir auch. Sie sagten immer: Du machst das, Du kannst das. Ich hatte großen Freiraum. Sie trauten mir was zu. Wichtige Impulse kamen auch aus der evangelischen Jugendarbeit, wo ich sehr eindrucksvolle Menschen kennenlernte. Ein Pfarrer prägte mich besonders, bei ihm lagen ein philosophisches Buch, Bibel und ein Buch über Rugby nebeneinander auf dem Tisch. Ich dachte: Toll, was alles möglich ist. Diesen Freiraum habe ich auch immer mit der Kirche verbunden, wo alles Gute seinen Platz hat.
Sind Sie ein mutiger Mensch?
Nolting Wenn ich überzeugt bin, dass etwas richtig ist, dann mache ich das auch, wenn es sein muss auch gegen Widerstände. Ich bin auf jeden Fall nicht ängstlich.
Auf Ihre Initiative geht der Umbau der Johanneskirche 1997 mit dem Café im Foyer zurück. Sind Sie da ab und an?
Nolting Klar! Das Café war und ist ein soziales Experiment. Die Frage war, wie wird das sein, wenn alle möglichen sozialen Schichten in diesem offenen Raum zusammenkommen? Alle sollen sich auch schon im Vorraum der Kirche beheimatet fühlen.
Mich berührt die Vielfalt der Nutzer, wenn ich diesen Ort betrete.
Warum?
Nolting Von Anfang an war es mein Anliegen, die Städter zu erreichen, die religiös ansprechbar sind. Durch Konzerte, Lesungen, Ballett und Theater in der Kirche wird das virulent, bestätigt oder fraglich.
Was war denn ein Flop?
Nolting Bei manchen Dingen denkst du dir: Das wird toll, dann bekommst du einen Dämpfer und wirst demütig. Ein viel diskutiertes gesellschaftliches Thema Ende der 1990er Jahre war Askese. Also plante ich eine Vortragsreihe und geistliche Übungen, aber niemand kam. Aber Niederlagen, sofern es nur um mein eigenes Scheitern geht, machen mir nicht so viel aus.
Was haben Sie nicht mehr geschafft in Düsseldorf?
Nolting Wir suchen seit Jahren nach Bauplatz für eine zusätzliche Einrichtung für 24 Menschen, die psychischund suchtkrank sind. Die meisten von ihnen leben auf der Straße. Das haben wir bis jetzt noch nicht hinbekommen.
Mit 38 Jahren wechselten Sie 2002 als Pfarrer und Vorstandsvorsitzender zur Diakonie Düsseldorf. Was bleibt?
Nolting Wir entwickelten den Platz der Diakonie in Flingern, die Diakoniezentren in Gerresheim und Holthausen, die Diakonie ist heute erkennbar, weil im Auftritt einheitlich: Es gibt ein modernes Corporate Design. Jede kleine Einheit der Diakonie hatte vorher ein eigenes Logo, es müssen so 40 verschiedene gewesen sein. Wir konnten gemeinsam mit der Stadt und anderen Trägern ein gutes Netzwerk für Wohnungslose entwickeln, haben Welcome Points und vieles mehr für Menschen mit Fluchterfahrung etabliert, haben eine gute Infrastruktur für pflegebedürftige Senioren aufgebaut. Mit unseren 50 Kindertagesstätten und an 25 Schulen tun wir viel für Kinder und Familien. Wir beraten und fördern Kinder und Jugendliche. Es ist ein großer Schatz, diese Diakonie Düsseldorf.
Am Sonntag werden Sie in der Johanneskirche verabschiedet – wegen Corona im kleinen Kreis. Wie ist das für Sie?
Nolting Natürlich hätte ich mir gewünscht, mehr Menschen persönlich Auf Wiedersehen sagen zu können. Aber Unabänderlichem lange nachzutrauern, ist nicht meine Sache.
Was reizt Sie an Ihrer neuen Aufgabe im Süddeutschen?
Nolting Es ist eine andere Stadt, die ich noch nicht kenne. Sie hat auch diesen Reiz, dass es da vordergründig keine sozialen Probleme zu geben scheint – ein bisschen wie man das auch bei Düsseldorf aus der Entfernung vermutet. Es gibt eine wache Bürgerschaft und einen Wettstreit um gute soziale Modelle und Lösungen. Da mische ich mich gern mit ein.
Wie werden Sie sich diese Stadt erschließen?
Nolting Joggend. Jeden Morgen eine Stunde. Und durch Besuche in den 160 diakonischen Einrichtungen.
Wenn Sie mal in Rente gehen werden, können Sie sich vorstellen nach Düsseldorf zurückzukehren?
Nolting Na klar.