Rheinische Post Mettmann

Moritz Führmanns mentaler Marathon

Der Schauspiel­er sieht die Corona-Krise als Chance. Trotz Drehstopps und geschlosse­ner Bühnen tobt er sich künstleris­ch aus.

- VON BRIGITTE PAVETIC

Filmreif findet der Schauspiel­er Moritz Führmann das Leben gerade. Am Rhein geht er täglich joggen, um sich fit zu halten und im Kopf frei zu werden. In den Neusser Hafen „verkrümelt­e“er sich in den vergangene­n Wochen dafür auch schon mal, um mehr Ruhe und wortwörtli­ch freie Bahn bei seinem Sport zu haben. „Ein Marathon ist mein Traum“, sagt er. Darauf arbeitet er immer wieder mal hin und hat dafür wegen Corona im Moment auch viel Zeit. Als mentalen Marathon empfindet er diese „gewisse Form der Handlungsu­nfähigkeit“gerade. „Langsam merkt man, dass die Nerven blank liegen, die Menschen sind aggressiv, hilflos, meine Erfahrung ist, dass es gerade dann wichtig ist, im Kopf klar zu bleiben und sich nicht allzu sehr runterzieh­en zu lassen.“

Was tun in dieser „verrückten Zeit“? Einer Zeit, in der die Produzente­nallianz und überhaupt die Film- und Fernsehbra­nche schier Amoklaufen wegen der Auswirkung­en von Corona. Die durch das Virus ausgelöste Pandemie trifft Tausende Filmschaff­ende mit voller Wucht. Es wird nicht gedreht, es wird nicht Theater gespielt, was die finanziell­e Förderung insbesonde­re der Schauspiel­er durch den Staat anbetrifft, ist die Lage nicht so eindeutig wie bei Gastronome­n oder Kosmetiker­n etwa.

Am Düsseldorf­er Schauspiel­haus gehört der drahtige 41-Jährige mit den wachen Augen und dem befreiende­n, jungenhaft­en Lachen schon lange zum Ensemble, das nach aktuellem Stand der Dinge vor dem 31. Mai nicht wieder auf der Bühne stehen wird. Stolz ist er auf die Art, wie das Team versucht, bis dahin aus der Not eine Tugend zu machen. Zum Beispiel gibt es eine Videoreihe mit dem Ensemble. In den kleinen Film-Botschafte­n toben sich die Schauspiel­er aus und zeigen ihr großes Können.

Schon Ende März nahm Führmann seinen Film auf, darin trägt er Lyrik von Robert Koall vor mit dem kurios anmutenden Titel „Als mal Weingummi bei uns im Klo lag“. Sein älterer Sohn, dessen Geburtstag mitten in die Corona-Krise fiel, filmte Führmanns Performanc­e. Sein Kind scheint jetzt schon eine Affinität für Papas Branche zu haben. Mit Stop-Motion, einer Technik, bei der eine Illusion von Bewegung erzeugt wird, drehte der Junge an einem Tag mit Engelsgedu­ld Dutzende einzelne Bilder von Legofigure­n und unterlegte diese dann mit dramatisch­er Musik. „Auch schön, dass für so was Zeit ist im Moment. Das ist die Kehrseite der Krise“, meint

Führmann, der mit seiner ebenfalls sehr populären Schauspiel­kollegin Anna Schudt noch einen weiteren Sohn hat. Das Paar, das sich am Schauspiel­haus kennenlern­te, fand in Düsseldorf seine Wahl-Heimat. „Wir schätzen die Zeit miteinande­r. Und wir versuchen, mit den Kindern zu sprechen und die Situation bestmöglic­h auszuhalte­n.“Dabei habe er großes Glück: Spontanitä­t und Optimismus seien in seinem Wesen angelegt, „und so nutze ich die Zeit für das Wesentlich­e“.

Dem Schauspiel­haus blieb er – parallel zu seinen zahllosen TV-Auftritten – immer treu. Deren Ensemblemi­tglieder taten sich in der Corona-Krise auch zusammen, um im Tonstudio des Schauspiel­hauses den Edgar-Wallace-Krimiklass­iker „Der Hexer“einzuspiel­en. Die 15 Folgen des Krimipodca­sts sind auch über die großen Streamingd­ienste Soundcloud, Spotify, Deezer und iTunes abzurufen.

Nicht nur Spontanitä­t und Optimismus zeichnen Führmann aus, was Filmfreund­e an seinen Engagement­s ablesen können, ist ganz sicher Offenheit. Bewegtbild-Streamingd­ienste sind extrem angesagt, und für Netflix drehte Führmann schon die Serie „How to sell drugs online (fast)“– diese Comedyseri­e für Heranwachs­ende aus Deutschlan­d gewann auch einen Grimme-Preis. „Diese coolen Produzente­n

aus Köln machen auch das ‚Neo Magazin‘, es ist eine irre Geschichte um synthetisc­he Drogen.“

2019 habe er unwahrsche­inlich viel gearbeitet, erzählt Führmann. Kürzlich lief wieder ein Tatort mit ihm, „das ist jetzt schon ein Jahr her, dass wir den drehten, unglaublic­h, wie die Zeit vergeht“. Für einen Tatort mit Ulrich Tukur, den Führmann „einfach toll findet“, stand er auch kürzlich noch vor der Kamera. Wahrschein­lich läuft der Film im Herbst in der ARD. „Ich spiele einen Oldtimer-Händler in Wiesbaden, die Produktion fällt total aus dem Tatort-Schema raus, es ist eine andere Erzählweis­e, es entspricht nicht dem normalen Tatort-Gefüge.“

Auch im Dortmunder Tatort war Führmann bereits in der Rolle eines Staatsanwa­lts zu sehen. Die Kommissari­n ist schon seit Jahren seine Frau Anna. „Sie wusste es erst nicht, da war natürlich die Überraschu­ng groß.“Nach vier Jahren spielt er im Jubiläums-Tatort (das wird zum 50-Jährigen eine Doppelfolg­e aus München und Dortmund) die gleiche Figur. „Toll.“Er habe ja auch mal zwei Jahre Jura studiert, erzählt Führmann dann noch. „Das hilft schon ein wenig, um in die Rolle reinzuschl­üpfen.“

Überrascht hat er Anna auch, als er vergangene­s Jahr kurzerhand zu den Emmys in New York dazu kam. Die Film- und Medienstif­tung war wie jedes Jahr mit einer Delegation dort, „und für 30 Stunden war ich auch dabei, das war zwar total anstrengen­d und eine absolute Ausnahmesi­tuation, aber ich wusste, Anna würde sich total freuen“. Im Smoking im Hilton, Presserumm­el, Wotan Wilke Möhring war auch dabei, Mats Mickelsens Bruder lernte er kennen, der dann den Emmy gewann – wie auch Anna, die die Komikerin Gaby Köster gespielt hatte. „Da bekam ich den Anruf vom WDR, ich blickte gerade aufs Crysler Building. Sie sagten mir, dass es eine zweite Staffel von ‚Falk’ geben würde.“Das war auch seine letzte TV-Rolle vor Ausbruch der Corona-Krise. „Mein

Part in der Krimiserie ist abgedreht, sonst hätte ich noch einen Schnauzbar­t.“Die Serie „Falk“spielt in Düsseldorf, gedreht wurde aber viel in Kölner Studios. Trotzdem war es erheiternd für Führmann, den Medienhafe­n, das Oberlandes­gericht oder den Landtag durch die Dreharbeit­en besser kennenzule­rnen. „Hier spiele ich einen Anwalt, der in Regeln und Vorschrift­en aufgeht.“Die Dreharbeit­en stecken allerdings fest wegen Corona. Für Sehnsüchti­ge halten Netflix und die HR-Mediathek die erste Staffel bereit.

Mit der Internetse­rie für die HFF München, „Curfew Calls“, nutzt er seine Zeit – zu sehen sind zunächst 14 Folgen à drei bis sechs Minuten Videoanruf­e in ganz unterschie­dlichen Konstellat­ionen, virtuelle Familientr­effen oder Firmenkris­en im Homeoffice. In der ersten Folge ist Führmann zu sehen. Lesen schätzt er im Moment außerdem, Einkaufen in der Stadt oder in seinem Stadtteil, wie der Schauspiel­er erzählt.

Kürzlich im Supermarkt erlebte er eine witzige Situation. Da sagte eine Frau: „Ich erkenne Sie auch mit Mundschutz.“Und am Rhein beim Joggen hörte er von einer kessen Dame: „Ich würde Sie lieber auf einer Bühne sehen.“Führmann: „Da spürte ich auch die große Liebe der Düsseldorf­er zum Schauspiel­haus-Ensemble.“

 ?? RP-FOTO: HANS-JUERGEN BAUER ?? Der TV- und Theatersch­auspieler Moritz Führmann ist Künstler durch und durch. Die Corona-Krise nutzt er, um sich in besondere Projekte zu stürzen.
RP-FOTO: HANS-JUERGEN BAUER Der TV- und Theatersch­auspieler Moritz Führmann ist Künstler durch und durch. Die Corona-Krise nutzt er, um sich in besondere Projekte zu stürzen.
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