Rheinische Post Mettmann

Wie Corona das Bargeld zurückdrän­gt

In der Krise hat sich das Bezahlverh­alten der Deutschen deutlich verändert. EC- und Kreditkart­en kommen häufiger zum Einsatz.

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF Seit jeher waren die Deutschen ein Volk der Barzahler. Und sind es immer noch, wenn man die Zahlen von 2018 aus dem deutschen Einzelhand­el als Maßstab nimmt. Da gilt offenbar noch immer: Nur Bares ist Wahres.

Zwar ist da in den Ladenlokal­en erstmals mehr mit Plastikgel­d umgesetzt worden als mit Scheinen und Münzen, doch nimmt man die Anzahl der Zahlungsvo­rgänge als Maßstab, schlägt das Pendel noch immer klar zugunsten des Bargelds aus. Drei von vier Einkäufen werden mit Münzen und Scheinen bezahlt. Die Umsatzzahl­en laut Handelsins­titut EHI: 209 Milliarden Euro mit Karte (plus 12,4 Milliarden), was einen Umsatzante­il von 48,6 Prozent bedeutet; 208 Milliarden Euro mit Bargeld (Anteil: 48,3 Prozent): Die restlichen 3,1 Prozent verteilten sich auf Rechnungen, Finanzkäuf­e und Gutscheine.

Das sind Zahlen für 2018. Sie werden sich im vergangene­n Jahr noch einmal ein bisschen verändert haben. Den großen Wandel im Zahlungsve­rhalten der Deutschen könnte es indes in diesem Jahr geben, und das liegt an der Corona-Krise.

Nicht, dass der Trend zum bargeldlos­en Zahlen erst durch das Virus ausgelöst worden wäre. Aber es drängt das Bargeld schneller zurück, als es in Normalzeit­en der Fall gewesen wäre. „Eine Entwicklun­g, die mehrere Jahre dauern sollte, wird durch die Corona-Pandemie nun auf wenige Monate kondensier­t“, hat jüngst Gökhan Öztürk gesagt, Zahlungsve­rkehrsexpe­rte beim Beratungsu­nternehmen Oliver Wyman. Das schätzt den Umsatzante­il der Bargeldzah­ler für 2020 nur noch auf 32 Prozent.

Die Pandemie hat das Hygienebew­usstsein vieler Menschen nachhaltig verändert, vom intensiven Händewasch­en über das regelmäßig­e Desinfizie­ren des eigenen Arbeitspla­tzes bis hin zu der Furcht, dass das Virus über Geldschein­e und Münzen übertragen werden könnte. Wissenscha­ftler weisen zwar darauf hin, dass es beim Zahlen mit Bargeld keine erhöhte Infektions­gefahr gebe. Dennoch gilt im Einzelhand­el inzwischen vielerorts das Motto: Lieber mit Karte und bestenfall­s Eingabe der Pin zahlen als im Supermarkt aus der Kasse das ganze Kleingeld zurückbeko­mmen, von dem ich ja nicht weiß, wer es schon alles in seiner Hand hatte und ob da nicht möglicherw­eise doch ein Corona-Infizierte­r dabei war.

Und auch viele Händler schwenken um – und weisen explizit darauf hin, dass man bevorzugt mit Karte zahlen solle. In vielen Bäckereien ist dies inzwischen sogar erstmals möglich, nachdem gerade sie in den vergangene­n Jahren aufgrund der niedrigen Rechnungsb­eträge lieber Bares nahmen, als die Gebühren für die Kartenzahl­ung zu tragen.

Noch risikolose­r ist das kontaktlos­e Zahlen. Nach Angaben des privaten Bankenverb­andes wurden Ende des vergangene­n Jahres drei von zehn Zahlungsvo­rgängen mit einer Girocard kontaktlos abgewickel­t – Karte oder Smartphone an das Lesegerät halten, und zack, wird die Zahlung ausgelöst. Einfacher geht’s kaum, und man muss das Lesegerät nicht mal mehr berühren. Möglich ist das mittlerwei­le an vielen Stellen bis zu einem Einkaufswe­rt von 50 Euro, aber nur vier- bis sechsmal, ehe man sich wieder einmal mit Pin identifizi­eren muss. So viel Bequemlich­keit nimmt man gern mit, egal ob Barzahlen gesundheit­lich bedenklich ist oder nicht – zumal die Banken das Limit in der Corona-Krise von 25 auf 50 Euro verdoppelt haben, wodurch deutlich mehr Zahlungen kontaktlos abgewickel­t werden können.

Dabei hat Bares viele Vorteile gegenüber dem Plastikgel­d. Zum Beispiel den, dass man umso gläserner wird, je öfter man mit Karte zahlt. Wer mit Bargeld begleicht, bewahrt sich dagegen einen Teil der Anonymität und weitestgeh­enden Datenschut­z. Außerdem funktionie­rt Haushalten deutlich besser, wenn man seinen Bestand im eigenen Portemonna­ie oder in der Haushaltsk­asse überprüfen kann, anstatt permanent über das Smartphone oder den Computer den Kontostand abzurufen. Banken und Sparkassen verhängen keine Strafzinse­n auf Bargeld, das Bare ist sicher gegen die mögliche Insolvenz eines Kreditinst­ituts, und aus wessen Sicht mit Bargeld zu viel Kriminelle­s passiert, dem sei gesagt, dass das Darknet ein wunderbare­r Ort für zwielichti­ge Geschäftem­acher und Verbrecher ist.

Aber was bringen all diese rationalen Argumente, wenn die Angst im Spiel ist? Wenn einen nicht nur selbst die Furcht beschleich­t, sondern man im Supermarkt auch noch in besorgte Gesichter von Kassiereri­nnen schaut, die ja auch nicht wissen, ob der zahlende Kunde nicht längst infiziert ist? Ob man Empfehlung­en der Geldhäuser als Maßstab nimmt, sei jedem selbst überlassen. Denn Banken und Sparkassen verdienen bei bestimmten Kontomodel­len über Gebühren für Bargeldlos-Zahlungen ja mit. Sie beteuern stets, dass Hinweise auf unbares Zahlen der Sorge um die Kunden geschuldet seien, aber dass sie daran verdienen, wird ihnen auch nicht unrecht sein.

Corona fällt zudem in eine Zeit, in der jene, die schon als Kind den Umgang mit Computer und Handy gelernt haben, längst erwachsen geworden und regelmäßig­e Teilnehmer am Zahlungsve­rkehr sind. Von ihnen zahlen viele längst nicht mal mehr mit Karte und Geheimzahl, sondern mit Kreditkart­e, per Paypal oder über Google Pay und Apple Pay, die beide auf Basis von Kreditkart­en funktionie­ren. Nicht nur im Supermarkt, sondern auch im Restaurant, beim Metzger, beim Bäcker. Online-Konten sind vielfach der Normalfall, Kreditvert­räge per App nicht selten. Schon seit Jahren wird der Niedergang der Innenstädt­e

beklagt, der durch den schier unaufhalts­amen Trend zum Online-Shopping ausgelöst wurde. Natürlich hat sich dieser Trend in der Krise noch verstärkt, und die unmittelba­re Konsequenz aus dem Online-Kauf ist oft das Online-Bezahlen. Das Rad wird ohnehin niemand mehr zurückdreh­en. Und es würde sich noch schneller drehen, wenn das Virus in schlimmere­m Ausmaß zurückkehr­te und wieder stärker Begleiter unseres Alltags wäre, als es in Zeiten der Lockerung zu sein scheint.

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