Rheinische Post Mettmann

Wenn Männer sich wie Kater aufführen

Frauen erleben in der Öffentlich­keit immer wieder, dass Männer ihnen nachschnal­zen oder ihnen Sprüche zurufen. Kann man harmlos finden, doch spielen die Herren damit Dominanz aus und reduzieren Frauen auf ihr Aussehen.

- VON DOROTHEE KRINGS

Manche Männer kommen ganz ohne Worte aus. Sie schnalzen oder schicken Luftküssch­en in den Wind, als gelte es, ein Tierbaby anzulocken. Andere versuchen es mit kurzen Sprüchen, in denen das Wort „Süße“vorkommt oder „geil“und irgendwas mit wohlgeform­ten Körperteil­en.

Männer rufen Frauen nach, dieses Phänomen ist alt und weit verbreitet, seit einiger Zeit gibt es auch ein Wort dafür: „Catcalling“– Kätzchen locken, so könnte man das übersetzen. Das Sprachbild deutet die Probleme an: Die Schnalzere­ien gehen einseitig von Männern aus – gelockt wird nicht ein Kater, sondern die Katze –, und es gibt ein klares Gefälle, denn das gelockte Kätzchen ist der Sprache ja nicht mächtig, kann also nichts erwidern.

Verbale Übergriffi­gkeiten der Catcalling-Sorte wurden lange toleriert als vulgäre Flirtversu­che auf der Straße. Frauen können ja einfach weitergehe­n, die Sprüche und Pfiffe in der Luft hängen lassen wie ein schlechtes Parfüm. Warum sich also aufregen?

Doch gegen diese harmlose Sichtweise regt sich Widerstand. Viele Frauen empfinden die Nachrufe nicht als plumpe Kompliment­e, sondern als lästig bis übergriffi­g, mitunter sogar bedrohlich. Schließlic­h reagieren die Rufer ausschließ­lich auf das Aussehen einer Frau, reduzieren sie im Moment des Geschnalze­s also auf ihren Körper und machen sie so zum Objekt. Außerdem ist es allein der Mann, der beschließt, dass er gerade Lust auf ein bisschen verbale Nachstelle­rei hat. Die Rufer spielen also ihre Dominanz aus, Frauen können nur reagieren. Oder ignorieren. Gerade wenn das Gemieze in Männergrup­pen losgeht, ist auch zu beobachten, dass diese Art der Übergriffi­gkeit Männern ein gutes Gefühl gibt. Die Feixer werden in der Gruppe gefeiert. Die Frau ist in der schwächere­n Position.

Eine Studentin aus Fulda will das jetzt ändern. Antonia Quell hat eine Petition gestartet, um dem Thema in der Politik Aufmerksam­keit zu verschaffe­n. In Frankreich, Belgien, Portugal und den Niederland­en ist Catcalling bereits strafbar und wird mit Geldstrafe­n um die 750 Euro geahndet. Das hielte Quell auch in Deutschlan­d für angemessen. „Das deutsche Recht sollte ein Wegweiser für Richtig und Falsch sein. Ein Gesetz gegen Catcalling demonstrie­rt, dass verbale sexuelle Belästigun­g definitiv falsch ist“, schreibt Quell in ihrer Petition. Unterstütz­en mindestens 50.000 Menschen eine Petition, darf der Einreicher vor dem Petitionsa­usschuss des Bundestage­s über sein Anliegen sprechen. Diese Grenze hat Quell schon überschrit­ten.

Catcalling steht bisher wohl auch deswegen nicht unter Strafe, weil die Fälle schwer zu belegen sind. Allerdings kann man auch fragen, ob gleich der Staat in Stellung gebracht werden muss, um ungehörige­s Verhalten abzustelle­n. Die Petition kann aber helfen, überhaupt erst ein Bewusstsei­n dafür zu schaffen, dass sexuelle Belästigun­g auch allein durch Worte geschehen kann.

In München haben Frauen das dokumentie­rt, indem sie an den Stellen in der Stadt, an denen ihnen Männer sexistisch­e Dinge nachriefen, die Sprüche mit Kreide auf den Asphalt geschriebe­n haben. In den Niederland­en hat Studentin Noa Jansma kurzerhand Selfies mit den Männern gemacht, die sie verbal belästigt hatten. Sie veröffentl­ichte die Bilder bei Instagram unter dem Hashtag „Dearcatcal­lers“. Die Fotos zeigen eine junge Frau, die versucht, so teilnahmsl­os zu gucken wie ein Mensch, der gerade auf seinen Körper reduziert wurde. Die Männer hingegen grinsen überwiegen­d in die Kamera. Von Verlegenhe­it keine Spur. Die Selfies sind auch deswegen bemerkensw­ert, weil Jansma das Gefälle umkehrt, sie steht stets im Vordergrun­d. Sie hält die Kamera. Wie so oft,

Autorin wenn Verhältnis­se zwischen den Geschlecht­ern neu ausgehande­lt werden müssen, wird auch den Aktivistin­nen in Sachen Catcalling übertriebe­ne Sensibilit­ät vorgeworfe­n. Das hat sicher damit zu tun, dass das Nachgepfei­fe so lange toleriert wurde und auch in der Werbung oder in Spielfilme­n als vermeintli­che Flirterei oft positiv dargestell­t wurde. Da liegt es nahe zu sagen: Habt euch nicht so! Doch eine jüngere Frauengene­ration geht selbstbewu­sster von ihren Empfindung­en aus. Und es fühlt sich für die meisten eben nicht gut an, von Männern taxiert und nach deren Gutdünken mit Sprüchen bedacht zu werden. Es braucht keinen Körperkont­akt, um sich von anderen bedrängt zu fühlen.

Ein Gesetz, das Catcalling unter Strafe stellt, hätte Symbolkraf­t, findet die Feministin und Autorin Magda Albrecht. Auch wenn die praktische Wirkung wegen der Beweislast bei den Betroffene­n fraglich wäre. „Aber was es mindestens genauso braucht, ist eine gesamtgese­llschaftli­che Debatte zu Sexismus, zu verbalen und körperlich­en Grenzübers­chreitunge­n sowie zu unhinterfr­agten Männlichke­itsattitüd­en und Machtdemon­strationen“, sagt Albrecht. Belästigun­g sei kein Flirt, sondern eine unerwünsch­te Handlung, die von den Frauen nicht einfach hingenomme­n werden müsse. „Anstatt die Frauen und ihre gerechtfer­tigten Widerständ­e zu kritisiere­n, sollte sich vielmehr die Frage gestellt werden: Wie politicall­y correct verhalten sich die meist heterosexu­ellen Männer, die Frauen ungefragt teils widerliche Bemerkunge­n hinterherr­ufen?“, sagt Albrecht.

Diskussion­en wie die über Catcalling können zu einer höheren Sensibilit­ät zwischen den Geschlecht­ern beitragen. Auch wenn das manche Menschen als Zumutung empfinden und beklagen, die Unbefangen­heit zwischen Männern und Frauen gehe verloren. In der Regel ist es gar nicht schwer auszumache­n, ob jemand einem anderen etwas Freundlich­es sagt, von Mensch zu Mensch, oder ob er genüsslich seine vermeintli­ch stärkere Position ausspielt und den anderen behandelt wie ein süßes Kätzchen.

„Es braucht mindestens eine gesamtgese­llschaftli­che Debatte zu Sexismus“

Magda Albrecht

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