Sicherungsverwahrung für Jörg L.
Eine Schlüsselfigur im Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach bleibt womöglich sein Leben lang hinter Gitter. Das Landgericht Köln verurteilte Jörg L. zu einer Haftstrafe mit Sicherungsverwahrung.
KÖLN Jörg L., ein blasser Mann mit Glatze, nimmt das Urteil ohne Regung hin, obwohl er vielleicht sein Leben lang kein freier Mann mehr sein wird. Zwölf Jahre muss er ins Gefängnis – mit anschließender Sicherungsverwahrung. Das Kölner Landgericht ist der Überzeugung, dass L. dauerhaft eine Gefahr für die Gesellschaft darstellt.
Mit dem Urteil ist das Gericht am Dienstag fast der Forderung der Staatsanwaltschaft nachgekommen. Diese hatte eine Freiheitsstrafe von dreizehneinhalb Jahren für den gelernten Koch und Hotelfachmann gefordert. Der Anwalt des 43-Jährigen hatte keinen konkreten Antrag zum Strafmaß gestellt, aber sich gegen eine Sicherungsverwahrung ausgesprochen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, es kann noch Revision eingelegt werden.
Die Staatsanwaltschaft hatte Jörg L. in ihrer Anklage 79 Taten vorgeworfen. Nicht wegen aller Vorwürfe wird er am Ende verurteilt. Fest steht aber, dass er immer wieder seine 2017 geborene Tochter missbraucht hat, zum Teil auch zusammen mit einem anderen Vater, den er in einem Chat kennengelernt hatte.
Der Vorsitzende Richter Christoph Kaufmann zählt bei der Urteilsverkündung die vielen Vergehen, die L. begangen hat, der Reihe nach auf. Dabei verzichtet er auf die schlimmsten Einzelheiten – mit Rücksicht auf die Geschädigten. Auch währenddessen verzieht L. keine Miene, obwohl der Richter ihn immer wieder direkt anspricht und anschaut. „Sie haben immer dann, wenn handfeste Bilder und Videos vorlagen, ein Geständnis abgelegt. Sobald das nicht der Fall war, haben Sie gewundene Erklärungen gegeben und abschwächende Äußerungen gemacht“, sagt der Richter in Richtung des 43-Jährigen. Die Beweislage
sei sehr filigran. Das Landgericht geht davon aus, dass L. taktisch motiviert in die Verhandlung gegangen ist.
Den Großteil der Taten hat der 43-Jährige mit seinem Smartphone dokumentiert und Aufnahmen an gleichgesinnte Chat-Partner weitergeleitet. L. sei kein Mitläufer in den Chats gewesen, kein Dummschwätzer, der dort nur Bilder habe abgreifen wollen, so der Richter: „Sie waren proaktiv, einer der Akteure, die die Dynamik geschürt und weiter angeheizt haben.“
An L.s strafrechtlicher Schuld sei nicht zu zweifeln. „Man fragt sich, was Sie da geritten hat“, sagt der Richter. „Sie haben ihr eigenes Kind missbraucht – und das sogar im
Schlaf, praktisch noch als Schnullerkind auf dem Wickeltisch, das muss man ja so deutlich sagen“, so der Richter. L. habe stets kühl und berechnend agiert, „sonst wären Sie früher aufgefallen“, meint der Jurist.
Das Gericht hat bei L. eine „merkwürdige Verschlossenheit und Anpassungsfähigkeit“festgestellt. „Sie können sich gut präsentieren. Immer wenn Kindesmissbrauch Thema wurde im privaten Bereich, haben Sie besonders hart gegen die Täter gewettert und harte Strafen gefordert“, heißt es in der Urteilsbegründung. L. sei ein Meister im Führen eines Doppellebens und ein guter Ehemann gewesen. Seine Ehefrau habe ihn als liebevollen und mitfühlenden Partner beschrieben. „Sie waren aktiv im Elternbeirat im Kindergarten“, sagt der Richter. „Sie waren ein treuer Freund. Sie haben Patenschaften von Kindern von Freunden übernommen. Sie hatten einen Lebensentwurf, der geglückt ist, auf den sie stolz sein können“, betont Kaufmann. Das Gericht ist überzeugt, dass seine Frau nichts gewusst hat – und davon auch nichts wissen konnte.
Mit dem Urteil ist rund ein Jahr nach Bekanntwerden des Missbrauchskomplexes Bergisch Gladbach eine der zentralen Figuren verurteilt worden. Überhaupt sind die Ermittlungen in dem Fall im Oktober 2019 erst bei Durchsuchungen in L.s Haus in Bergisch Gladbach losgetreten worden. Die Fahnder
sind damals bei L. auf große Mengen kinderpornografischen Materials gestoßen.
Sie hatten auch Kontakte zu anderen Männern entdeckt, die in einer Parallelwelt im Netz Videos und Abbildungen austauschten, die schweren sexuellen Missbrauch zeigen. So hatte sich der Fall schnell bundesweit ausgeweitet. „L. ist nicht die Schlüsselfigur in dem Fall“, sagt der Richter, „aber der Schlüssel zu der Welt, in der sich die anderen Akteure bewegen“.
Christoph Kaufmann erklärt, dass es dem betroffenen Mädchen trotz allem verhältnismäßig gut gehen würde. „Die Mutter macht das wirklich gut“, so Kaufmann. Zu den Folgen für die Tochter gehöre, dass die Bilder ihres Martyriums nun womöglich für immer im Netz seien. Und eines Tages werde sie sich sicherlich damit beschäftigen, warum es in dem Leben, an das sie sich aktiv erinnert, „ihren Vater nie gegeben hat“.
Mit der Verurteilung des 43-Jährigen ist der Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach bei Weitem nicht abgeschlossen. Laut der Kölner Polizei erstrecken sich die Ermittlungen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern mittlerweile auf alle 16 Bundesländer.