Was man wohl noch sagen darf
Wie ist es um die Meinungsfreiheit bestellt? FDP-Vize Wolfgang Kubicki treibt das „gefährliche Spiel“um eingeengte Sprach- und Meinungskorridore um.
BERLIN Zwei von drei Befragten sind in Sachen gelebter Meinungsfreiheit lieber vorsichtig und glauben, dass sie Nachteile im persönlichen Umfeld haben, wenn sie bestimmte Meinungen äußern. FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki hat das auf den Plan gerufen. Auf 160 Seiten beklagt er in einem neuen Buch die „Meinungsunfreiheit“als „gefährliches Spiel mit der Demokratie“.
Kubicki beschreibt einen scheinbar widersprüchlichen Befund der sozialen Netzwerke. Nie zuvor sei die Möglichkeit so groß gewesen, für seine geistigen Ergüsse eine Bühne zu finden. Gleichzeitig sei aber auch „die Offenheit und die Vorurteilsfreiheit für andere Meinungen noch nie so schwach ausgeprägt“gewesen. Die sozialen Netzwerke scheinen also voll von Leuten zu sein, die ihre Argumente nicht verbreiten, um sie mit denen anderer zu messen, sondern vor allem, um nur ihre eigenen als die richtigen gelten zu lassen. Nach Kubickis Beobachtung kommt eine „weitverbreitete Lust“hinzu, Meinungen, die von einem bestimmten Pfad abweichen, abzudrängen und aus dem angeblichen gesellschaftlichen Konsens hinauszudefinieren. Das sei undemokratisch, meint Kubicki. Denn das Hauptziel der Demokratie sei es, Meinungen und Interessen friedlich zu integrieren, und nicht, diese auszugrenzen.
Anhand zahlreicher Beispiele klagt Kubicki weit über die sozialen Netzwerke hinaus einen Trend bei, andere Meinungen mit der Keule der Moral ausgrenzen und Fehler, Versehen oder Entschuldigungen nicht mehr zu akzeptieren, sondern die betreffenden Personen gleich abschießen zu wollen. „Man unternimmt dann nicht einmal mehr den Versuch, zuvor inhaltlich zu debattieren, sondern schlägt sofort den moralischen Weg ein“, kritisiert Kubicki.
Für verhängnisvoll hält er die Praxis, über die Tabuisierung von Begriffen in der Sprache das Denken in die gewünschten Bahnen lenken und seine Sicht allen anderen diktieren zu wollen. Auch Frank Plasberg beleuchtete am Montag dieses Phänomen in seiner „Hart aber fair“-Sendung, als er den Kieler Gastronom Andrew Onuegbu zu Wort kommen ließ. Der schwarze Koch hat sein Restaurant „Zum Mohrenkopf“genannt, weil dieser Name schon in der Vergangenheit für gute Küche gestanden habe. Er wundere sich darüber, von Weißen vorgehalten zu bekommen, dass er sich mit dem Wort „Mohr“rassistisch beleidigt zu fühlen habe.
Wie schnell diese Art der versuchten Sprachpolizei auch in eine prekäre Sackgasse führen kann, führt Kubicki anhand der Reaktionen auf eine Plenardebatte vor, in der er sich als Bundestagsvizepräsident weigerte, die Verwendung des Wortes
„Zigeuner“als rassistisch zu rügen. Die Sinti-Allianz Deutschland beklagte namens einer Minderheit von „Zigeunern“, dass die Bezeichnung „Sinti und Roma“zur Ausgrenzung genutzt werde.
Welche Minderheit muss durch diskriminierungsfreie Sprache geschützt werden? Und was passiert, wenn das eine Minderheit innerhalb der Minderheit anders sieht? Vor allem besteht die Gefahr, die Sprache für die Tat zu halten. Sprich: es bei der Eliminierung sprachlicher Diskriminierung zu belassen, statt die Diskriminierung selbst anzugehen.