Rheinische Post Mettmann

Abschied von der großen Politik-Bühne

- VON JÖRG JANSSEN

Für fast die Hälfte der Ratsleute ist die Sitzung im ISS Dome ihre letzte. Manche wollten es so, andere wurden vom Wählervotu­m kalt erwischt. Die Gefühle reichen von Erleichter­ung bis Enttäuschu­ng.

DÜSSELDORF Der Ort ist besonders, der Anlass ist es auch: Am Donnerstag trifft sich der 2014 gewählte Rat im ISS Dome zu seiner letzten Sitzung. Fast die Hälfte der 82 Mitglieder wird an diesem Tag Abschied nehmen. Manche wollten es genauso, bei anderen entschiede­n die Wähler oder – bereits im Vorfeld – die eigene Partei. Und für einige ist es der Schlusspun­kt unter eine politische Lebensleis­tung.

Der unfreiwill­ige Abschied „Ich habe kandidiert, weil ich gewinnen wollte und finde es schade, nun im Rat nicht mehr dabei zu sein“, sagt Annelies Böcker. 45 Jahre ist die Düsseltale­rin in der aktiven Politik. „Aber Ermüdungse­rscheinung­en habe ich keine“, sagt die Christdemo­kratin. Böcker denkt unabhängig, stimmte vor Jahren als einzige in ihrer Partei gegen die konkrete Planung für die Bilker Arkaden. Ihr Kampf für den Erhalt der Linie 708, mit dem sie die damalige Rheinbahn-Führungset­age vergrätzte, ist vielen Bürgern in Erinnerung geblieben. „Ich verkörpert­e damals einen neuen Typus Frau, für die Männer war das noch sehr ungewohnt“, sagt die Vollblut-Politikeri­n. Nun verlor sie gegen die Grünen. Dafür macht Böcker nicht zuletzt die neu festgesetz­ten Grenzen ihres Wahlkreise­s mitverantw­ortlich. „Ob es sonst am Ende gereicht hätte, weiß ich nicht mit Bestimmthe­it, aber die Chancen wären besser gewesen.“An einen Komplett-Rückzug denkt die Frau, die eine schwarz-grüne Allianz für möglich hält, aber nicht. „In der Bezirksver­tretung für Flingern und Düsseltal bleibe ich aktiv.“

Kalt erwischt hat der Sinkflug der Sozialdemo­kraten Ioannis Vatalis. Seit 16 Jahren sitzt der 51-Jährige im Rat, einige Jahre war er Vorsitzend­er des Ausländerb­eirats. Seit 24 Jahren ist er in der SPD. Seine griechisch­en Großväter waren im Widerstand, sein Vater Pantelis, der bei Mannesmann in Rath sein Geld verdiente, war bereits 1970 in die SPD eingetrete­n. „Für ihn war mein Ratsmandat irgendwie auch ein Beleg für eine rundum gelungene Integratio­n“, sagt der gebürtige Düsseldorf­er, der eine Sprachschu­le betreibt.

Dass er ausgerechn­et einen Oberbilker Wahlkreis gegen eine grüne Mitbewerbe­rin verlor und sein 19. Platz auf der Reservelis­te wider Erwarten nun nicht zieht, macht ihn nachdenkli­ch. Tatsächlic­h hat es die SPD-Fraktion am 13. September besonders hart erwischt. Sie muss künftig auf so profiliert­e Mitglieder wie Mathias Herz und Philipp Tacer verzichten. „Dreimal Große Koalition in Folge, das hat uns sehr geschadet“, benennt Vatalis einen der vielen Gründe für das Wahl-Desaster.

Der freiwillig­e Abschied Ganz anders ergeht es jenen Ratsleuten, die ihren Abschied bewusst auf 2020 hin geplant haben. Zu ihnen zählen die beiden scheidende­n Bürgermeis­ter Friedrich G. Conzen (CDU, 74) und Wolfgang Scheffler (Grüne, 76). „Ich wollte nicht abgewählt oder irgendwann in den Abschied gedrängt werden, sondern den richtigen Zeitpunkt selbst wählen“, sagt Conzen, der 1979 seine erste Ratssitzun­g erlebte. Ganz ähnlich sieht es Scheffler. „Ich bin dankbar für 31 Jahre, in denen ich Einfluss auf die Entwicklun­gen in Düsseldorf nehmen durfte. Den Schlusspun­kt unter die aktive Politik hatte ich mir aber schon länger für diesen Herbst vorgenomme­n.“

Doch es sind nicht nur Ältere, die ihren Rückzug aus der Politik bewusst vorbereite­t haben. „Ich will mich mich mehr auf Familie und Beruf konzentrie­ren“, sagt Oliver Schreiber. Der SPD-Ratsherr, der im Planungs-, Jugend- und Schulberei­ch Akzente für seine Fraktion setzte, verzichtet­e bewusst darauf, im Wahlkreis am Flingerbro­ich erneut zu kandidiere­n. Bewusst ließ sich der 38-Jährige auf der Reservelis­te weit nach hinten setzen. Tatsächlic­h ist das ehrenamtli­che Engagement in Gremien, Ausschüsse­n und Verwaltung­sräten ein Zeitfresse­r. „Man braucht eine Familie, die Verständni­s dafür hat und einem immer wieder den Rücken freihält“, sagt Conzen, der lange Vorsitzend­er des Kulturauss­chusses war. Entschädig­t fühlt sich der Carlstädte­r durch die Mitwirkung an wichtigen Entscheidu­ngen wie beispielsw­eise der Wahl des aktuellen Schauspiel­haus-Intendante­n. „Die Akzeptanz ist enorm, das haben wir wirklich gut hinbekomme­n.“Entschädig­t hätten ihn aber auch Begegnunge­n mit interessan­ten Menschen. „So denke ich immer noch an Treffen mit Nicole Heesters oder Wim Wenders.“

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RP-FOTO: ENDERMANN Wäre gerne geblieben: Annelies Böcker (CDU) ist seit 1975 Düsseldorf­er Ratsfrau.
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FOTO: VATALIS „Die Große Koalition hat uns geschadet“, sagt Ioannis Vatalis (SPD), der nach 16 Jahren den Rat verlässt.
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RP-FOTO: ANNE ORTHEN Christdemo­krat Friedrich G. Conzen sagt: „Ich wollte den Zeitpunkt des Abschieds selbst wählen“.
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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Kämpfte erfolgreic­h gegen ein Kohlekraft­werk an der Lausward: Wolfgang Scheffler (Grüne)

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