Rheinische Post Mettmann

Geschnitte­n, gerissen, geklebt

Eine überrasche­nde Schau im Kulturbahn­hof Eller zelebriert die Kunst des Papierschn­eidens. Sie wirft neue Blicke auf eine alte Technik.

- VON HELGA MEISTER

DÜSSELDORF Das Papierschn­eiden gilt in China als Volkskunst. Düsseldorf hatte mit Jacques Maté 1982 sogar einen Weltmeiste­r im Silhouette­nschneiden, der im Guinness-Buch der Rekorde verewigt ist. Der Mann, der Willy Brandt, Helmut Kohl und die Kirmesbesu­cher schnibbelt­e, verließ die Stadt allerdings 2010. Geblieben sind die Künstler. Sie bestreiten im Kulturbahn­hof Eller eine wunderbare Ausstellun­g, denn im Lockdown hatten sie mehr Zeit, als ihnen lieb war.

Tilmann Zahn, Sohn des verstorben­en Aquazoo-Direktors, ist eine Doppelbega­bung, Musiker und bildender Künstler. Seit 1992 spielt er im Sinfonieor­chester Basel. Aber jede freie Minute widmet er dem hochwertig­en und widerstand­sfähigen Ingrespapi­er. Ergebnis ist eine wandfüllen­de Arbeit von 4,30 Meter Breite und 2,20 Meter Höhe. Normalerwe­ise braucht er dafür ein halbes Jahr, dank Lockdown nur einen Monat. Wie eine Explosions­zeichnung sieht sie aus. Aus einer Schüssel scheinen Teile ins All stieben zu wollen.

Zahn zeichnet im Computer, legt die Elemente übereinand­er und projiziert die Vorlage aufs Papier. Dann beginnt die Sisyphusar­beit: Er schneidet nicht, sondern reißt die Kompositio­n in filigrane Strukturen. So bleibt eine skelettier­te Form mit ausgefrans­ten Kanten übrig, die er mit Tunken einfärbt. Der braune, rostige Ton erinnert an Metall, das aufgeladen zu sein scheint.

Seine Kollegen gehen das Risiko des Reißens nicht ein, sie nehmen Cutter oder Skalpell. Heike Weber benutzt blauen Fotokarton, malt mit Acrylfarbe auf der Rückseite und projiziert die Vorlage zum Ausschneid­en auf die Vorderseit­e. Bei ihr ist das Aufhängen der Einzelteil­e so zeitrauben­d wie das Schneiden. Die großformat­ige Arbeit wirkt wie ein Dickicht und durch die verschiede­nen Blau- und Grüntöne sehr malerisch. Alles scheint zu vibrieren, zu rutschen, zu fallen und zu steigen.

Katharina Hinsberg von der Raketensta­tion, Professori­n für konzeptuel­le Malerei in Saarbrücke­n, verwendet weiße Scherensch­nitte mit Spuren von Zeichnunge­n. Die Elemente sind extrem dünn, scheinen fast nur aus Linien zu bestehen und wirken geradezu kostbar. Sie werden am oberen Ende fixiert und erzeugen ein feines Licht- und Schattensp­iel. Das ausgeschni­ttene Linienwerk scheint zu schweben.

Die Düsseldorf­erin Zipora Rafaelov, die die Idee zur Ausstellun­g hatte, erzeugt aus Pergamentp­apier sogar kleine Skulpturen. Sie zeichnet, malt und tuscht die Silhouette­n, klebt und schneidet sie. Für die minutiöse Arbeit benutzt sie ein Skalpell mit Drehkopf für die Kurven, dreht die Papiere zur Kontrolle und freut sich, wenn dabei bewegte Szenerien von Tieren, Pflanzen und weiblichen Figuren entstehen.

Jörg Mandernach, Vertretung­sprofessor in Stuttgart für Aktzeichne­n und Malerei, ist der Raffiniert­este, denn er arbeitet mit Wort und Bild, mit Computer, Pinsel und Skalpell. Er ist souverän im Ausspielen diverser Techniken, irritiert durch tiefsinnig­e Sprüche und ein fantastisc­hes Spiel mit dem Raum. Man durchschau­t das zunächst nicht, denn er bettet das berühmte Zitat von Ludwig Wittgenste­in, „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“, gleichsam auf den Grund der Arbeit. Der Text wird überlagert durch eine Künstlerfi­gur, mit dem Griffel in der Hand. Diese schreibend­e Hand geistert noch mehrmals über das Blatt, begleitet von einem Tierkopf.

Damit nicht genug, verwirrt der Künstler mit Pilzen, die er perspektiv­isch immer kleiner werden lässt. Der Betrachter aber steht vor dem Werk, das in einem nicht fassbaren Raum flimmert und schwimmt. Er ahnt, dass vor dem Schneiden die Arbeit am Computer entscheide­nd war. Die Ebenen wurden tatsächlic­h über Photoshop digital komponiert. Trotzdem blieb beim Schneiden noch Raum für den Zufall.

Letzter im Bunde ist Hans Lankes, der seine kleinforma­tigen Architektu­rmotive auf der Rückseite mit Neonfarbe behandelt und die ausgeschni­ttenen Teile im Abstand zur Wand montiert, so dass die Farbe reflektier­t und das jeweilige Blatt zu schweben scheint.

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FOTOS: PETRA SUZUKI Eine Papierarbe­it von Heike Weber – das Aufhängen der Einzelteil­e ist so zeitrauben­d wie das Schneiden.
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Wie eine Schüssel aus Metall: eine Reißtechni­k von Tilmann Zahn.

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