Ein Stochern im Corona-Nebel
Sperrstunden und Berlin: Das ist eine sensible Kombination. Feiern ohne Blick auf die Uhr, das gilt in Berlin seit 1949. Die Axt nun an diese Institution zu legen, belegt die Verzweiflung des Berliner Senats. Tatsächlich haben die lokalen Gesundheitsbehörden das ungestüme Nachtleben als einen besonderen Infektionsherd identifiziert. Die Erkenntnisse aus der ersten Corona-Welle im Frühjahr hatten sich offenbar zu viele Angehörige der Generation U 30 nur verkürzt gemerkt: Vor allem Ältere sind gefährdet, vor allem bei Jüngeren gibt es einen milden Verlauf. Also: Party!
Das ist schon vom Ansatz her rücksichtslos gegenüber älteren Verwandten, Bekannten und Kollegen. Aber diese massenhafte Provokation hat auch zu spezifischen Entwicklungen an der Infektionsfront geführt: Das Durchschnittsalter der Infizierten ist um Jahrzehnte gesunken. Und nicht wenige schleppen sich mit schweren Verläufen und anhaltenden Schäden durch den Alltag.
Die anderen Regionen wollen jedenfalls nicht darauf setzen, dass es Berlin gelingt, die Lage zügig wieder in den Griff zu bekommen. Sie wollen Menschen aus deutschen Risikogebieten nicht mehr als Urlauber haben. So, als hätten in Berlin nur junge Leute aus den nächstgelegenen Postleitzahlgebieten zusammen gefeiert. Und als könne man das Leben in der Hauptstadt sauber an Bezirksgrenzen trennen. Wohnen, Arbeiten, Einkaufen spielen sich sowohl in Risiko- als auch in Nichtrisikogebieten ab. Und auch in Bezirken mit hohen Infektionszahlen gibt es Hunderte von Straßen ohne einen einzigen Infizierten.
Deutschlands Corona-Strategie gleicht einem Stochern im Nebel. Ein stimmiges, einheitliches und überzeugendes Bekämpfungskonzept ist weiterhin nicht in Sicht.
BERICHT