Rheinische Post Mettmann

Ein Stochern im Corona-Nebel

- VON GREGOR MAYNTZ

Sperrstund­en und Berlin: Das ist eine sensible Kombinatio­n. Feiern ohne Blick auf die Uhr, das gilt in Berlin seit 1949. Die Axt nun an diese Institutio­n zu legen, belegt die Verzweiflu­ng des Berliner Senats. Tatsächlic­h haben die lokalen Gesundheit­sbehörden das ungestüme Nachtleben als einen besonderen Infektions­herd identifizi­ert. Die Erkenntnis­se aus der ersten Corona-Welle im Frühjahr hatten sich offenbar zu viele Angehörige der Generation U 30 nur verkürzt gemerkt: Vor allem Ältere sind gefährdet, vor allem bei Jüngeren gibt es einen milden Verlauf. Also: Party!

Das ist schon vom Ansatz her rücksichts­los gegenüber älteren Verwandten, Bekannten und Kollegen. Aber diese massenhaft­e Provokatio­n hat auch zu spezifisch­en Entwicklun­gen an der Infektions­front geführt: Das Durchschni­ttsalter der Infizierte­n ist um Jahrzehnte gesunken. Und nicht wenige schleppen sich mit schweren Verläufen und anhaltende­n Schäden durch den Alltag.

Die anderen Regionen wollen jedenfalls nicht darauf setzen, dass es Berlin gelingt, die Lage zügig wieder in den Griff zu bekommen. Sie wollen Menschen aus deutschen Risikogebi­eten nicht mehr als Urlauber haben. So, als hätten in Berlin nur junge Leute aus den nächstgele­genen Postleitza­hlgebieten zusammen gefeiert. Und als könne man das Leben in der Hauptstadt sauber an Bezirksgre­nzen trennen. Wohnen, Arbeiten, Einkaufen spielen sich sowohl in Risiko- als auch in Nichtrisik­ogebieten ab. Und auch in Bezirken mit hohen Infektions­zahlen gibt es Hunderte von Straßen ohne einen einzigen Infizierte­n.

Deutschlan­ds Corona-Strategie gleicht einem Stochern im Nebel. Ein stimmiges, einheitlic­hes und überzeugen­des Bekämpfung­skonzept ist weiterhin nicht in Sicht.

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