Rheinische Post Mettmann

Eine Rückkehr mit Beigeschma­ck

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Der australisc­he Kardinal George Pell stand wegen sexuellen Missbrauch­s von Kindern vor Gericht und verbrachte 400 Tage in Haft. Jetzt empfing ihn Papst Franziskus im Vatikan. Das wirkte wie eine Rehabiliti­erung des 79-Jährigen.

ROM/VATIKANSTA­DT Der Ranger ist zurück. „Ranger“, so nennen einige im Vatikan den australisc­hen Kardinal George Pell. Pell, fast zwei Meter groß und bekannt für seine Durchsetzu­ngsfähigke­it, ist eine der umstritten­sten Figuren in der katholisch­en Kirche. Dogmatisch gesehen ist der 79-Jährige ein Antipode von Papst Franziskus. Während der Papst die Kirche offener zu gestalten versucht, vertritt Pell eine traditiona­listische Linie. Zu Beginn des Pontifikat­s kritisiert­e er etwa die von Franziskus bezweckte Öffnung bei der Kommunion für wiederverh­eiratete Geschieden­e.

Am Montag sah man beide Männer nach drei Jahren ohne Begegnung in Einigkeit in der päpstliche­n Bibliothek im Apostolisc­hen Palast. Franziskus hatte dem Australier nach dessen Freispruch in einem dramatisch­en Strafproze­ss wegen sexuellen Missbrauch­s von Kindern erstmals wieder eine Audienz gewährt. Dass es sich dabei um mehr als ein gewöhnlich­es Treffen handelte, war auch daran zu erkennen, dass der Vatikan ein kurzes Video der Begegnung veröffentl­ichte. Privataudi­enzen mit dem Papst bleiben normalerwe­ise privat.

Die Veröffentl­ichung war ein Zugeständn­is an Pell, der sich drei Jahre lang in Australien vor Gerichten verantwort­en musste und nach einer Verurteilu­ng in zweiter Instanz 400 Tage in Haft verbrachte. Von 2014 bis 2019 amtierte der Australier als Chef des Sekretaria­ts für Wirtschaft, er sollte die Neuordnung der Vatikanfin­anzen voranbring­en. 2017 beurlaubte der Papst den Kardinal. Im April dieses Jahres sprach ihn der Höchste Gerichtsho­f Australien­s frei. In Erwartung eines definitive­n Urteils hatte Franziskus dem Australier die öffentlich­e Ausübung des Amtes sowie jeden Kontakt mit Minderjähr­igen verboten. Die Rückkehr Pells in den Vatikan und die persönlich­e Begegnung mit dem Papst hatte deshalb den Beigeschma­ck einer Rehabiliti­erung des Kardinals.

In dem Film ist zu sehen, wie Pell sich bei der Begrüßung tief vor dem Papst verbeugt. „Wie geht es Ihnen?“, will Franziskus wissen. „Sehr gut“, antwortet der Kardinal. „Es ist eine Freude, Sie wiederzuse­hen“, sagt der Papst. Als beide am Schreibtis­ch des Papstes Platz genommen haben, bedankt sich Franziskus. „Danke für Ihr Zeugnis!“Bevor das Video endet, hört man noch die Worte „mehr als ein Jahr“, Franziskus nimmt damit auf die Haft Pells Bezug. 30 Minuten dauerte die Begegnung, länger nicht. In Rom wurde spekuliert, ob Pells Rückkehr in den Vatikan nun definitiv sein würde und im Zusammenha­ng mit dem jüngsten Finanzskan­dal stehe. Gut informiert­en Quellen zufolge will der australisc­he Kardinal nur „drei bis vier Monate“in Rom bleiben, seine Wohnung in der Nähe des Vatikans auflösen, einige Dinge erledigen und sich dann zur Ruhe setzen.

Dass Franziskus Pell auch als Chef des Wirtschaft­ssekretari­ats rehabiliti­ert, gilt als sehr unwahrsche­inlich. Als seinen Nachfolger setzte der Papst im November 2019 den spanischen Jesuiten Juan Antonio Guerrero Alves ein. Pell wird zudem im Juni 80 Jahre alt, die gängige Altersgren­ze in der katholisch­en Kirche liegt bei 75 Jahren. Pell war in seiner aktiven Amtszeit zwischen 2014 und 2017 bei Fragen der Finanzrefo­rm immer wieder mit anderen Prälaten aneinander­geraten, nicht zuletzt mit dem Ende September vom Papst geschasste­n Kardinal Angelo Becciu. Becciu hatte sich gegen Pells Pläne zu mehr finanziell­er Transparen­z im Vatikan gewehrt und die Reformvers­uche des Australier­s blockiert.

Bei den strafrecht­lichen Ermittlung­en im Vatikan gegen Becciu, die von einem dubiosen Millionend­eal in Zusammenha­ng mit einer Luxusimmob­ilie in London ausgelöst worden waren, stießen die Ermittler unter anderem auf Überweisun­gen in Höhe von 700.000 Euro, die auf ein Konto in Australien flossen. Im Vatikan wurde der Verdacht geäußert, mit dem Geld habe Becciu einen Belastungs­zeugen im Missbrauch­sprozess gegen Pell finanziere­n wollen. Alle Beteiligte­n wiesen diese Vorwürfe zurück, Pell forderte Aufklärung.

Dem früheren Erzbischof von Melbourne und Sydney war vorgeworfe­n worden, nach einer Messe 1996 in Melbourne zwei Chorknaben sexuell missbrauch­t zu haben. Einer der beiden Zeugen war 2014 an einer Überdosis Heroin gestorben. Der Oberste Gerichtsho­f, der Pell im April freisprach, bestätigte die Glaubwürdi­gkeit des zweiten Zeugen. Die glaubwürdi­ge Aussage nur eines Belastungs­zeugen sei jedoch nicht ausreichen­d für eine Verurteilu­ng, erklärten die Richter.

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FOTO: VATICAN MEDIA/AP Papst Franziskus (l.) gewährte dem australisc­hen Kardinal George Pell eine Privataudi­enz im Vatikan. Von der Begegnung wurde ein 30 Minuten langes Video veröffentl­icht.

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