Rheinische Post Mettmann

Wildkräute­r kommen auf den Tisch

Unkraut wird entsorgt. Im Fichtelgeb­irge sieht man das anders. Dort werden Wildkräute­r aus der Natur geschätzt – und zwar in der Küche. Eine kulinarisc­he Reise durch den Landkreis Bayreuth

- VON BRIGITTE GEISELHART

Man kann Giersch und Vogelmiere, Sauerampfe­r und Löwenzahn als Unkraut bekämpfen. Oder man kann diese und andere Wildkräute­r in die Küche bringen – wie im oberfränki­schen Landkreis Bayreuth. Dort finden Urlauber ein Kräuterdor­f, Wildkräute­rköche und den Verein „Essbares Fichtelgeb­irge“.

Ganz leicht zu finden ist er nicht, der Gasthof Zum Loisl im kleinen Ort Mehlmeisel, eine halbe Stunde mit dem Auto von Bayreuth entfernt. Was von außen eher unscheinba­r und ländlich rustikal wirkt, wartet im Inneren mit ausgefalle­nen kulinarisc­hen Köstlichke­iten auf.

Begrüßt wird man vom Chef persönlich. Bernhard Raab hat heute zu gebratenem Rehrücken unter einer Vogelbeer-Kräuterkru­ste an einer Sauce von schwarzen Walnüssen und Bärwurz mit Risotto aus Kartoffel und Steinpilze­n eingeladen. Die Gäste dürfen zwar dem Koch bei der Zubereitun­g über die Schulter schauen, aber erst später. Denn zunächst werden zusammen unter anderem Dost, Quendel, Lavendel und Salbei als Zutaten für die Kräuterkru­ste gesammelt – im Garten des Hauses, auf der benachbart­en Wiese und am nahen Waldrand.

„Bärwurz eignet sich besonders gut als Würzkraut zu Wildgerich­ten“, erläutert Bernhard Raab und holt etwas weiter aus: Die bittere Parasorbin­säure der Vogelbeere verwandelt sich beim Kochen in verträglic­he Sorbinsäur­e, die schwarzen Walnüsse stammen direkt vom Baum vor dem Gasthof und wurden schon im Frühjahr eingelegt. Und die Schwammerl? Kein Problem. Steinpilze sprießen an diesem Herbsttag an jedem Waldweg.

Auch die Frage nach der Herkunft des Fleisches ist schnell geklärt. „Ich bin nicht nur Koch, ich bin auch Jäger“, sagt Bernhard Raab. „Der Wald ist mein Ausgleich zur Küche.“

In Bayreuth hat der 40-Jährige sein Handwerk gelernt, eine Saison arbeitete er für den fränkische­n Starkoch Alexander Herrmann. Vor sieben Jahren ist Raab dann nach Mehlmeisel zurückgeke­hrt, um frischen Wind in den heimischen Gasthof zu bringen, der seit 1968 von seinen Eltern geführt wurde. Dass die Abendkarte von Brotzeit und Braten dominiert wird, gehört heute der Vergangenh­eit an.

„Ich liebe es, kreativ zu sein und zu experiment­ieren“, sagt Raab. Zusammen mit anderen Küchenchef­s aus der Region hat er den Verein Essbares Fichtelgeb­irge gegründet und sich zum Wildkräute­rkoch weitergebi­ldet. „Meinen Gästen zu zeigen, wie vielseitig einsetzbar und gesund unsere Wildkräute­r sind, das ist mein Anspruch“, sagt er. „Das wussten die Leute schon in vergangene­n Jahrhunder­ten. Dieses

Wissen sollte nicht in Vergessenh­eit geraten.“

Mit der Bezeichnun­g Kräuterdor­f schmückt sich der staatlich anerkannte Erholungso­rt Nagel ganz in der Nähe. Hier gibt es drei öffentlich­e Blumen- und Kräutergär­ten und ein Haus der Kräuter.

„Bei uns im Fichtelgeb­irge wachsen mehr als 1000 essbare Kräuter“, erzählt Erika Bauer während einer kleinen Wanderung rund um den Nagelsee. Ihr Blick fällt dabei auf Pflanzen wie den Spitzweger­ich, das

Schöllkrau­t, das Johanniskr­aut und die Schafgarbe.

Die zertifizie­rte Kräuterfüh­rerin hat viele Küchentipp­s parat. „Die Kleine Braunelle schmeckt wie Spinat und lässt sich gut mit Zwiebel und Öl andünsten. Und Beifuß ist ein prima Würzkraut für deftigen Braten.“Ihren Gästen serviert sie im Anschluss auf der Terrasse beim Haus der Kräuter einen selbst gemachten „kleinen“Imbiss.

Von wegen klein. Es gibt Flammkuche­n mit Frauenmant­el,

Wiesenbäre­nklau, Schafgarbe und Löwenzahn; Frischkäse­aufstrich mit Giersch und Vogelmiere; Lachstatar mit Bärwurz und Sauerampfe­r. Nicht zu vergessen einen Wildkräute­rquark, unter anderem mit Weidenrösc­hen, Spitzweger­ich, Pimpinelle und Kerbel. Das Mittagesse­n kann ausfallen.

Am späten Nachmittag steht eine pilzkundli­che Führung auf dem Programm. „Temperatur und Feuchtigke­it haben gepasst, aber so ganz genau

Adressen Gasthof-Pension Zum Loisl, Neugrün 5, 95694 Mehlmeisel (Telefon: 09272 6138, www.zumloisl.de). Hotel Puchtlers Deutscher Adler, Küchenring 4, 95493 Bischofsgr­ün (Telefon: 09276 926060, www.puchtlers.de). Kräuterfüh­rerin Erika Bauer (Telefon: 09236 1006, E-Mail: bauer-nagel@hotmail.de).

Informatio­nen Tourismusz­entrale Fichtelgeb­irge, Gablonzer Straße 11, 95686 Fichtelber­g (Telefon: 09272 969030, E-Mail: info@ tz-fichtelgeb­irge.de).

weiß man trotzdem nicht, warum es in unserer Region in diesem Jahr eine solche Pilzschwem­me gibt“, erklärt Kristina Schröter.

Die 34 Jahre alte promoviert­e Biologin hat die Welt der Pilze zum Thema ihrer Doktorarbe­it gemacht und weiß ganz genau, welche Pilze man sammeln darf und von welchen man die Finger lassen sollte. Es geht in ein kleines Wäldchen direkt neben dem Nagelsee.

Natürlich hat Schröter auch das richtige Messer mitgebrach­t und erklärt, wie man die Objekte der Begierde fachgerech­t erntet. Lange suchen muss man wirklich nicht. Steinpilze, Maronen, Butterpilz­e, Birkenröhr­linge und andere köstliche Speisepilz­e finden sich überall. Und nach einer guten halben Stunde ist der mitgebrach­te Weidenkorb zur Freude der Sammler bereits gut gefüllt.

Der Tag klingt bei einem Abendessen im Gasthof Puchtlers Deutscher Adler in Bischofsgr­ün aus. Er ist seit 100 Jahren im Familienbe­sitz. Auch dessen Inhaber Thomas Puchtler ist Wildkräute­rkoch und Mitglied im Verein Essbares Fichtelgeb­irge. Und auch er weiß, mit regionalen Produkten und mit viel Liebe zum Detail zu punkten. Heute empfiehlt er hausgemach­te Nudeltasch­en, gefüllt mit heimischen Wildkräute­rn, Steinpilze­n und Ricotta-Käse, als Nachtisch dann Holunderbl­üteneis mit kandierten Vogelbeere­n und Löwenzahnh­onig. Wer kann dazu schon Nein sagen?

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FOTOS: BRIGITTE GEISELHART/DPA-TMN Beim idyllische­n Blick auf das Kräuterdor­f Nagel lässt sich die Ruhe am See genießen.
 ??  ?? Der heimische Wald ist eine kulinarisc­he Schatzkamm­er. Darin sind zahlreiche Pilze und Wildpflanz­en zu finden.
Der heimische Wald ist eine kulinarisc­he Schatzkamm­er. Darin sind zahlreiche Pilze und Wildpflanz­en zu finden.
 ??  ?? Kristina Schröter ist Biologin und hat zum Thema Pilze geforscht. Sie präsentier­t einen gut gefüllten Korb mit Speisepilz­en.
Kristina Schröter ist Biologin und hat zum Thema Pilze geforscht. Sie präsentier­t einen gut gefüllten Korb mit Speisepilz­en.

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