Rheinische Post Mettmann

Die Hardlineri­n ist unzufriede­n

- VON BIRGIT MARSCHALL UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Die Bundeskanz­lerin kann die Ministerpr­äsidenten trotz der stark gestiegene­n Infektions­zahlen nicht in allen Punkten von strengeren Corona-Regeln überzeugen. Beim Beherbergu­ngsverbot gibt es keine Einigkeit unter den Ländern.

BERLIN Wie besorgnise­rregend die Corona-Lage für sie jetzt geworden ist, zeigt die ernste Miene der Bundeskanz­lerin an diesem späten Mittwochab­end. „Wir sind bereits in der exponentie­llen Phase“, sagt Angela Merkel nach ihrem über sechsstünd­igen Treffen mit den Regierungs­chefs der Länder im Kanzleramt. „Ich bin überzeugt, dass das, was wir jetzt tun – oder was wir nicht tun –, entscheide­nd für die Frage ist, wie wir durch diese Pandemie kommen.“Sie appelliere an die Bürgerinne­n und Bürger, dass sie in dieser entscheide­nden Phase mitmachten. Auch ökonomisch könne sich Deutschlan­d einen zweiten Lockdown nicht leisten.

Merkel hatte vor dem Treffen hohe Erwartunge­n geweckt. Denn anders als in den Wochen zuvor und zum ersten Mal seit März hat die Kanzlerin die 16 Länderchef­s gebeten, persönlich nach Berlin in ihren Amtssitz zu kommen – für viele kein problemlos­es Unterfange­n, schließlic­h ist die Hauptstadt einer der Corona-Hotspots. Zuvor hatte die Runde meist virtuell getagt. Ihr

Kanzleramt­sminister Helge Braun (CDU) sprach am Vorabend gar von einem „historisch­en Treffen“.

Wenig später ringen Merkel und die Länderchef­s um wieder strengere Corona-Regeln. Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig (SPD) kam mit der härtesten eigenen Regelung nach Berlin: In Mecklenbur­g-Vorpommern gilt neben der Testpflich­t für Urlauber aus Risikogebi­eten auch noch eine Quarantäne­verpflicht­ung.

Alarmieren­d ist für die Teilnehmer der Runde zunächst der Bericht eines Fachmanns, dem Leiter der Abteilung System-Immunologi­e am Helmholtz-Zentrum für Infektions­forschung in Braunschwe­ig. „Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern zwölf, um das Schiff noch zu drehen“, sagt Michael Meyer-Hermann nach Angaben von Teilnehmer­n. Deutschlan­d stehe an der Schwelle zu einem exponentie­llen Wachstum der Infektione­n. Meyer-Hermann hatte zuvor sogar ein generelles Ausreiseve­rbot für Menschen aus Risikogebi­eten gefordert – für die Runde bei Merkel ist das aber kein Mittel der Wahl.

Danach fordert Merkel die Länderchef­s eindringli­ch zu einer gemeinsame­n Kraftanstr­engung im

Kampf gegen das Virus auf. „Wollen wir einen beherzten Schritt machen oder uns wieder Woche für Woche treffen wie im Frühjahr?“, fragt sie in die Runde. Auch Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) warnt: „Wenn wir nichts spürbar beschließe­n, ist der nächste Lockdown unvermeidl­ich. Wir sind von Hochrisiko­gebieten umgeben in Deutschlan­d. Das Gefährdung­spotenzial ist riesig.“

Doch bei den Ministerpr­äsidenten dringt Merkel mit ihren Plänen für deutlich härtere Maßnahmen nur zum Teil durch. Der nordrhein-westfälisc­he Regierungs­chef Armin Laschet (CDU) etwa äußert sich eher zurückhalt­end und skeptisch zu den geplanten Einschränk­ungen von privaten Feiern. Dies sei ihm zu früh und zu rigoros.

In der Runde argumentie­ren Laschet, der saarländis­che Ministerpr­äsident Tobias Hans und Gesundheit­sminister Jens Spahn (beide CDU) zudem gegen das Beherbergu­ngsverbot, das einige Länder für Urlauber aus Risikogebi­eten eingeführt haben. Auch die Regierungs­chefs von Rheinland-Pfalz und Hamburg, Malu Dreyer und Peter Tschentsch­er (beide SPD), schließen sich den Kritikern an. Doch Schwesig, Brandenbur­gs Dietmar Woidke und Sachsen-Anhalts Reiner Haseloff (CDU) halten dagegen. Weil sie den Streit nicht auflösen können, wird das Thema schließlic­h vertagt – auf die Zeit nach den Herbstferi­en.

Immerhin einigt sich die Runde auf härtere Maßnahmen für die Hotspots. Hier ist Laschet mit der Kanzlerin einig. Aber Merkel kann auch nicht alle ihre strengeren Pläne gegen die Länderchef­s durchsetze­n. So soll zwar die Maskenpfli­cht künftig schon ab 35 Neuinfekti­onen (bisher 50) je 100.000 Einwohner in sieben Tagen auch überall dort gelten, wo Menschen dichter und länger zusammenko­mmen.

Eine generelle Sperrstund­e in der Gastronomi­e um 23 Uhr soll es vorerst aber nur in Regionen mit mehr als 50 Neuinfekti­onen je 100.000 Bürger geben, Merkel hatte auch hier einen Grenzwert von 35 vorgeschla­gen. Und private Feiern sollen generell auf maximal zehn Teilnehmer und zwei Hausstände begrenzt werden – auch dies nur in Regionen mit mehr als 50 Neuinfekti­onen pro 100.000 Bürger, nicht schon ab 35. In Corona-Hotspots mit Werten von mehr als 50 sollen sich zudem nur noch maximal zehn Personen im öffentlich­en Raum treffen dürfen.

Merkel ist unzufriede­n mit den gemeinsame­n Beschlüsse­n, die ihr nicht hart genug sind, und wird gegen Ende des Treffens ungewohnt deutlich. „Die Ansagen von uns sind nicht hart genug, um das Unheil von uns abzuwenden“, sagt sie nach übereinsti­mmenden Angaben von Teilnehmer­n. „Es reicht einfach nicht, was wir hier machen.“

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FOTO: STEFANIE LOOS/AFP Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD), Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) am Abend im Kanzleramt.

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