In Westeuropa werden die Intensivbetten knapp
In den Nachbarländern wächst die Zahl der Corona-Neuinfektionen rapide. Die Uniklinik Düsseldorf bereitet sich auf niederländische Patienten vor.
DÜSSELDORF Im Internet gibt es eine unkomplizierte Möglichkeit, das Infektionsgeschehen weltweit zu betrachten. Unter der Suchfrage „Sterberaten Covid 19“sieht man, wie sich in jedem Land der Welt die Zahl der Neuinfektionen und der Covid-19-assoziierten Todesfälle entwickelt. Derzeit heißt das vor allem: wie die Werte steigen. Die meisten anderen Statistiken weisen fast gleichlautende Ergebnisse auf; geringe Unterschiede kommen durch unterschiedliche Meldesysteme und -fristen zustande.
In allen deutschen Nachbarländern ist die Lage kritisch. Vor allem in den Krankenhäusern herrscht stellenweise Alarmstimmung. Schauen wir in die Niederlande: Dort registrierte das Institut für Gesundheit und Umwelt in einer Woche knapp 44.000 Neuinfektionen, 60 Prozent mehr als in der Vorwoche. Am Dienstag wurde erstmals die 7000er-Marke überschritten.
Nun herrscht bei manchem die Meinung, die Zahl der Neuinfektionen sei vielleicht nicht so wichtig, solange die Intensivstationen nicht überlaufen; es gibt ja weltweit viele Fälle von Patienten, die nur milde oder gar nicht erkranken. Trotzdem können sie offenbar potente Überträger sein, sonst könnte es nicht zu einem solchen Anstieg der Patientenzahlen in Krankenhäusern und auf Intensivstationen kommen.
In den Niederlanden starben am Dienstag 34 Menschen an Covid-19, am Vortag 13. Seit Ausbruch der Pandemie gab es in dem Land rund 190.000 Infektionen und 6631 Todesfälle. Frank Schneider, Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Düsseldorf, sagt, man bereite sich auf eine mögliche Übernahme niederländischer Patienten vor. „Wir sind da wie im Frühjahr in engem Kontakt mit unseren Kollegen in Münster, die das koordinieren.“
In Belgien, das bereits zu Beginn der Pandemie durch hohe Fallzahlen auffiel, wurden am 11. Oktober fast 8000 Neuinfektionen gemeldet, mehr als dreimal so viele wie im April, als es dort die höchste Zahl an Neuinfektionen gab. Jedenfalls habe das Land beschlossen, die Anzahl der Betten auf Intensivstationen für Patienten mit Coronavirus zu erhöhen, gab das Gesundheitsministerium bekannt. 25 Prozent der rund 2000 Intensivbetten sollen für Covid-19-Patienten bestimmt sein, derzeit sind es 15 Prozent.
Seit Beginn der Pandemie sind in Belgien 10.211 Menschen gestorben. Am Dienstag lagen 267 Patienten auf einer Intensivstation, verglichen mit 243 am Montag. Luc Verstraete, Intensivmediziner in Brüssel, sagt: „Wenn die Zahlen weiter so steigen, bekommen wir ein ernstliches Problem, zumal wir mit Beatmungskapazitäten langsam an eine Grenze geraten.“Er und andere Experten befürchten, dass sich die Zahl der Intensivpatienten bis Ende des Monats auf mehr als 500 oder im November sogar auf 1000 verdoppeln könnte, was dem Rekord von 1285 am 8. April nahekäme.
Nicht minder dramatisch ist die Lage in Frankreich: Dort wurde dieser Tage der Spitzenwert von knapp 28.000 neuen Infektionen erhoben, ebenfalls ein Vielfaches des bislang höchsten Werts Ende März (7600). Aus Frankreich wurde dieser Tage ein Zuwachs von mehr als 100 Toten gemeldet, und auch der Pariser Intensivmediziner Fabrice Beaufort sieht das Ende der Kapazitäten kommen: „In zwei, drei Wochen werden wir größte Probleme bekommen, denn ein Teil der vielen Infizierten wird ja zwangsläufig intensivpflichtig.“Auch Spezialmedikamente wie Remdesivir oder Dexamethason seien ja nicht unbegrenzt verfügbar, von Beatmungsplätzen etwa mit Ausstattung zur Sauerstoffanreicherung des Blutes ganz zu schweigen.
In allen Nachbarländern ist die Situation vor allem in den Großstädten (Amsterdam, Rotterdam, Brüssel, Antwerpen, Paris, Marseille, Lyon) unübersichtlich geworden; dort ist wie in einigen deutschen Städten die Nachverfolgung von Infizierten und ihrer Kontaktpersonen fast unmöglich geworden. Ebenso in
Intensivmediziner in Paris
Spanien: Dort liegt der tägliche Zuwachs an Neuinfektionen bereits seit Anfang September regelmäßig bei mehr als 10.000 Fällen; dort wird an vielen Tagen die tägliche Marke von 200 Toten überschritten.
In der Schweiz schien die Lage lange Zeit entspannt, nun aber wurden im Oktober an einem Tag mehr als 4000 Neuinfektionen gemessen, mehr als doppelt so viele Fälle wie im Frühjahr. Von 26 Kantonen erfüllen aktuell 22 das Kriterium, wonach es in den letzten sieben Tagen mehr als 50 Neuinfizierte pro 100.000 Einwohner gab. Viele Schweizer befürchten jetzt, dass es zu einem zweiten Lockdown kommt.
Auch in Österreich werden bei den Neuinfektionen die Werte des Frühjahrs weit übertroffen. Am 27. März waren es 992, am 10. Oktober 1235. Tendenz: stark steigend. Man erwartet dort in einigen Wochen ebenfalls wieder einen deutlichen Anstieg der Zahl der Todesfälle, aktuell liegt sie fast täglich im zweistelligen Bereich. Die 14-Tage-Inzidenz liegt nach Angaben der europäischen Gesundheitsagentur in Österreich derzeit bei 143,4 Fällen auf 100.000 Einwohner. In Deutschland sind es 50,6.
„In zwei, drei Wochen
werden wir größte Probleme bekommen“
Fabrice Beaufort