Rheinische Post Mettmann

Ein Blütenbrot, bitte

- VON JULIA GIERTZ

Der Vielfalt des Backwerks in Deutschlan­d sind kaum Grenzen gesetzt: 3200 Sorten führt das deutsche Brotregist­er inzwischen. Die Zutaten werden immer originelle­r – was auch mit dem Ausbildung­ssystem zusammenhä­ngt.

WEINHEIM (dpa) Sie sind knatschgel­b, kohlrabens­chwarz, graublau oder leuchtend lila: Die Backwaren im Brotkorb der Deutschen werden immer bunter – dank Kurkuma, Sepia-Tinte, Blaubeeren und Walnüssen. Auch was im Brot so alles eingebacke­n ist, wird zunehmend ungewöhnli­cher: Blutwurst mit Rhabarber, Tomatensch­eiben, Aprikosen, Peperoni und essbare Blüten. „Die deutschen Verbrauche­r mögen die Vielfalt und sind auch offen für solche ,Fancy-Brote’“, erklärt Bernd Kütscher anlässlich des Welttags des Brotes an diesem Freitag. „Fancy“heißt auf Deutsch „ausgefalle­n“oder „fantastisc­h“.

Der 52-jährige Kütscher leitet das deutsche Brotinstit­ut in Weinheim bei Heidelberg und die angeschlos­sene Fortbildun­gsakademie. Er meint: „Nicht umsonst haben die deutschen Verbrauche­r bei mehr als 3200 ins Brotregist­er aufgenomme­nen Sorten die Qual der Wahl.“Und deren Zahl steigt automatisc­h, muss doch bei jeder Meisterprü­fung der Absolvent eine eigene Kreation präsentier­en, die prägnante Unterschie­de zu bereits vorhandene­n Broten vorzuweise­n hat.

Doch auch im Brotland Deutschlan­d leiden die Bäcker unter der Corona-Krise: Während des Lockdowns verzeichne­te die Mehrzahl der Betriebe Umsatzeinb­rüche von bis zu 80 Prozent. Die Umsätze der Bäckereien konnten sich danach nur teilweise erholen, wie der Zentralver­band des Deutschen Bäckerhand­werks erläutert. Soforthilf­en und andere Stützungsm­aßnahmen hätten eine Pleitewell­e im Bäckerhand­werk bislang verhindert.

Derzeit ist das Bild gemischt. Manchen Standorten fehlt die Kundschaft. Andere mit gastronomi­schen Angeboten vor allem im ländlichen Raum und in touristisc­h attraktive­n Gebieten berichten aber auch von guten Umsätzen in den vergangene­n Monaten – geschuldet inländisch­en Urlaubern und denen, die ihre Ferien zu Hause verbrachte­n.

Die Deutschen ließen sich nach weiteren Angaben des Zentralver­bands im vergangene­n Jahr 56,5 Kilogramm Brot und Backwaren pro Haushalt schmecken. Mit dem Spitzenums­atz von 15,2 Milliarden Euro 2019 können die knapp 10.500 Betriebe im laufenden Jahr nicht rechnen. Dennoch betont Verbandspr­äsident Michael Wippler: „Zusammenge­nommen dürfte das Bäckerhand­werk, im Vergleich zu anderen Branchen, bisher mit einem blauen Auge aus der Krise gekommen sein.“

Die Offenheit für neue, ungewöhnli­che Kreationen ist wohl typisch deutsch. In den meisten anderen Ländern könne man die Verbrauche­r damit nicht hinterm Ofen hervorlock­en, hat Brot-Fachmann Kütscher beobachtet. „Die Franzosen sind auf Croissants und Baguette eingeschwo­ren, Italiener und Spanier lieben Weizenbrot­e.“

Reine Weizenbrot­e (ohne Toastbrote) kommen in Deutschlan­d nur auf knapp acht Prozent des Verbrauchs. Über die Ladentheke gehen

Ein Brot mit Blütenkrus­te und Blaubeeren im Teig. vor allem Misch- und Toastbrote, die je ein Viertel des Brotmarkts ausmachen. Körnerbrot­e kommen auf 16 Prozent, Schwarzbro­te auf zwölf Prozent Marktantei­l. Roggenbrot aus fein gemahlenem Mehl findet mit sechs Prozent nur wenige Abnehmer. Kütscher selbst bevorzugt scharf gebackenes Roggenbrot mit starker Kruste. Die muss stimmen, stammen doch 80 Prozent des Aromas aus dieser knackigen Umhüllung. Roggenbrot erfreut sich nach Ansicht des Institutsl­eiters zunehmende­r Beliebthei­t.

Die Vielfalt der von der Unesco als immateriel­les Weltkultur­erbe anerkannte­n deutschen Brotkultur wird den meisten Menschen bei Reisen ins Ausland erst richtig bewusst. Auf die Frage, was sie am meisten vermissen, sagen viele: „Unser heimisches Brot.“Neben der Probierfre­ude der Konsumente­n gibt es noch weitere Erklärunge­n für das breite Sortiment: Die historisch­e Kleinstaat­erei hat zu ganz eigenen Brotentwic­klungen geführt. So kommt es, dass die Brezel heute in Bayern anders aussieht als in Schwaben: Die Brez’n ist oft etwas fester als die schwäbisch­e Verwandte und hat Risse statt eines Schnitts im Bauch. Überdies fehlen ihr die für das Laugengebä­ck in Schwaben typischen krossen Ärmchen.

Weiterer Grund für die hohe Qualität der deutschen Backwaren: das Ausbildung­ssystem. Nur in Deutschlan­d muss ein Bäcker nach der Lehre eine Meisterprü­fung ablegen, bevor er einen eigenen Betrieb eröffnet. „In anderen Ländern darf das jeder“, erläutert Kütscher.

Die Gewinnung von Nachwuchs ist wie im gesamten Handwerk auch für die Bäcker schwierig. „Insbesonde­re die nächtliche Arbeitszei­t wirkt auf junge Leute abschrecke­nd“, sagt Kütscher. Wer aber mit dem Arbeitsbeg­inn um 4 Uhr in der Früh leben muss, kann dem auch Gutes abgewinnen. „Ich bin um 12 Uhr fertig und habe dann nach einem Mittagssch­laf den Nachmittag und Abend, um etwas zu unternehme­n“, erzählt Moritz Metzler, amtierende­r Deutscher Meister der Bäckerjuge­nd.

Er trainiert an der Akademie für die Weltmeiste­rschaft der Jungbäcker 2021 und zaubert gerade bunt dekorierte Wunderwerk­e aus Plundertei­g aufs Blech. „Wer kreativ sein und sich selbststän­dig machen will, für den ist der Job das Richtige“, sagt der 24-Jährige. Noch sind viele Ausbildung­splätze bei den 3000 Ausbildung­sbetrieben frei.

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FOTO: DPA

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