Rheinische Post Mettmann

„Der Tod kommt bei Kindern vielleicht im Kopf schon an, aber das Herz versteht noch nicht“

Sie können weinen und gleich wieder fröhlich sein. Kinder trauern in Schüben – ganz anders als Erwachsene.

- VON SANDRA ARENS

Die Trauer packt Marie im Badezimmer. Mit voller Wucht schlägt sie zu – einfach so beim Zähneputze­n. Marie, 13 Jahre alt, spürt urplötzlic­h und zum ersten Mal: Mama kommt wirklich nicht wieder. Sie ist endgültig weg. In diesem Moment im Badezimmer ist Maries Mutter bereits seit fünf Jahren tot.

Die Geschichte von Marie, die in Wirklichke­it anders heißt, erzählt Mechthild Schroeter-Rupieper, wenn man sie fragt, wie Kinder trauern. „Kinder bis zehn oder elf Jahre begreifen nicht, was Tod bedeutet“, erklärt die Familientr­auerbeglei­terin. „Wir können es ihnen zwar immer wieder erklären, aber tief im Inneren denken sie: Das kann doch nicht sein. Das ist nicht für immer.“

Familientr­auerbeglei­terin

Ein sechsjähri­ges Kind verstehe zwar, dass alles, was lebt, irgendwann stirbt. Es könne die Konsequenz­en aber nicht erfassen. Dann sei ein Satz wie „Ist die Oma eigentlich immer noch tot?“nicht ungewöhnli­ch. „Der Tod kommt vielleicht im Kopf schon an, aber das Herz versteht noch nicht.“

Wie geht man um mit Kindern, die trauern – und doch nicht richtig wissen, was geschieht? „Ihnen Zeit, Zuwendung und Geborgenhe­it schenken“, rät Barbara Heling vom Hamburger Zentrum für Kinder und Jugendlich­e in Trauer. „Erwachsene können in einem Meer von Traurigkei­t versinken. Für Kinder ist Trauer eher wie eine Pfütze. Sie springen hinein, aber genauso schnell auch wieder heraus.“Mechthild Schroeter-Rupieper beschreibt das als eine Art angeborene­n psychische­n Schutz. „Er ermöglicht den Kindern, trotz eines schlimmen Verlusts lebensfroh groß zu werden.“Dennoch sollte man nicht glauben, Kinder könnten solche Verluste leichter verkraften. „Auch Kinder, die den Tod noch nicht begreifen, spüren sehr wohl die Trauer um sie herum“, sagt Heling.

„Sie fühlen, dass sie verlassen worden sind.“Wichtig sei dann, das Thema Tod nicht wegzuschie­ben, sondern begreifbar zu machen. „Viele Menschen wollen Kinder schonen und nehmen sie nicht mit zu einer Beerdigung. Kinder fühlen sich dann aber häufig ausgeschlo­ssen.“

Auch Helmut Ramsaier empfiehlt, Kinder ins Abschiedne­hmen einzubezie­hen. „Wir können ihnen viel mehr zumuten, als wir denken“, sagt der Bestatter. „Sie sind uns dankbar dafür, wenn wir mit ihnen auf Augenhöhe reden, klare Worte finden und nichts beschönige­n.“Er rät sogar, Kinder zur Aufbahrung mitzunehme­n. „Kinder können sich nicht vorstellen, dass in dieser Holzkiste wirklich die geliebte Oma liegt“, sagt er. „Selbst wenn die Mutter oder der Vater gestorben ist, brauchen Kinder die Chance, sich richtig zu verabschie­den.“

Dazu gehöre auch, den Körper des Verstorben­en noch einmal zu sehen, zu erleben, dass er kalt geworden ist, dass er sich verändert hat. „Natürlich gibt es auch Kinder, die das nicht möchten“, erzählt Helmut Ramsaier. „Wir drängen sie nicht. Aber wir lassen in Absprache mit den Angehörige­n die Tür ein wenig offen und geben ihnen so die Möglichkei­t, ganz frei zu entscheide­n. Viele kommen dann doch herein.“

Helmut Ramsaier hat außerdem die Erfahrung gemacht, dass es Kindern helfe, selbst etwas zur Beerdigung beizutrage­n. „Viele malen ein Bild für den Verstorben­en und legen es mit in den Sarg“, erzählt der Bestatter.

Trauer zulassen, wann immer sie kommt: Das ist Mechthild Schroeter-Rupieper wichtig. „Sei doch nicht traurig“– für die Familientr­auerbeglei­terin ist dieser Satz eine Katastroph­e, auch wenn er Eltern, Großeltern oder Erziehern immer wieder gut gemeint über die Lippen kommt. „Kinder bekommen dadurch den Eindruck, Traurigkei­t müsse unterdrück­t werden.“Dabei ist

es ein Gefühl, das Platz haben darf – nicht nur in den ersten Monaten. „Gerade bei Kindern treten heftige Trauerphas­en erst Jahre später auf – so wie bei Marie“, erklärt SchroeterR­upieper. Deshalb sei es wichtig, Kindern kontinuier­lich Halt zu geben.

„Oft sind Erwachsene so sehr mit ihrer Trauer beschäftig­t, dass sie mit der Traurigkei­t der Kinder überforder­t sind“, erklärt Heling. Besuchten Kinder dann eine Trauergrup­pe, sei es für sie oft erleichter­nd zu erfahren, dass auch andere Kinder Ähnliches erlebt haben. Traurig gehe es dann nicht immer zu. „Manchmal wird auch einfach nur getobt“, erzählt Heling. „Das genießen die Kinder, denn häufig haben sie zu Hause ein schlechtes Gewissen, wenn sie nicht rund um die Uhr traurig sind.“

Und viele Kinder hätten Angst – Angst, zu vergessen. „Kinder quält oft die Vorstellun­g, dass sie sich bald nicht mehr richtig an den Verstorben­en erinnern könnten“, sagt Heling. Deshalb sei es wichtig, dass Familien die Erinnerung wachhalten – mit Fotos, Besuchen am Grab oder etwas Gebastelte­m. Auch Schroeter-Rupieper betont: „Erinnerung­en sind für Bewältigun­g der Trauer ganz wichtig.“So wie für Marie, die nach Jahren zum ersten Mal richtig spürte, dass ihre Mutter tot war – und dieses Mal im Kopf, im Herzen und im Bauch.

Mechthild Schroeter-Rupieper

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Trauernde Kinder brauchen Halt. Jedoch sollten Erwachsene auf keinen Fall dabei den Satz „Sei doch nicht traurig“verwenden.
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FOTO: DPA
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