Generation „Lost“
Das Jugendwort des Jahres legt nahe, dass junge Leute wenig Lust auf Zukunft haben.
Nun wäre es einfach, von der verlorenen Generation zu sprechen. Denn das Jugendwort des Jahres ist „lost“. 48 Prozent der Teilnehmer einer Abstimmung im Internet stimmten für dieses Wort. Insgesamt beteiligten sich eine Million Nutzer an der durch den Verlag Langenscheidt angeregten Wahl. „Lost“bedeutet verloren, und es ist die englische Kurzformel für einen Zustand, den im Moment nicht nur junge Menschen empfinden: Wer „lost“ist, bewegt sich in einem wabernden Zwischenreich, das niemand überblickt. Er ist ahnungslos, unsicher, zögerlich, sieht am Horizont wenig Kontur, hat keine Idee von der Zukunft, lässt sich treiben im Ungefähren.
Sofia Coppola hat über diesen Zustand einen grandiosen Film gedreht, in dem zwei Menschen aus den USA in einem Hotel in Japan stranden. Dieses Hotel ist wie eine Blase westlicher Standards in der von Werbetafeln flimmernden japanischen Kultur. „Lost in Translation“heißt der Film, und schon da ist das Lost-Sein eine auch reizvolle moderne Daseinsform, die sich dem Ungewissen hingibt, nichts will, die Verlorenheit schmerzlich auskostet, den Rückzug in den Nebel der Ahnungslosigkeit zelebriert. Moderne Romantik.
Ist eine Jugend, die „lost“zu ihrem Wort macht, also eine verlorene Generation? Von einer Pandemie am Aufbruch in die weite Welt gehindert und ums wilde Partymachen mit anderen ihrer Generation gebracht? Tatsächlich hat Corona der Generation „lost“etwas genommen, das unbedingt zum Jungsein gehört: die Unbeschwertheit. Wer jede Reise, jede Party, jeden Schritt vor die Tür mit den gerade gültigen Corona-Regeln abgleichen muss, verliert die Lust, einfach loszulaufen, Rucksack auf, raus ins Leben, sehen, was kommt.
Nur logisch, dass junge Leute den umgekehrten Weg einschlagen, sich ins „lost“zurückziehen, alle Fragen von Erwachsenen nach Lebensplanung oder der Gestaltung des nächsten Wochenendes mit „keine Ahnung“abtun. Denn auch im Lost liegt Freiheit, wenn auch dunkler getönt. Auch das wussten schon die Romantiker, als sie sich pathetisch von der Welt abkehrten, in der wilden Natur ihr Glück suchten, auf Rügen an die Klippe traten und in den Nebel schauten. „Lost“bedeutet auch: Lasst uns in Ruhe! Lasst uns treiben, bis sich das Ding mit Corona geklärt hat. Dann können wir weitersehen. Und so lange taucht die Generation „Lost“eben ein in die süße Ahnungslosigkeit, zuckt erschöpft mit den Schultern, chillt in der Aussichtslosigkeit. Bis auf Weiteres.