Rheinische Post Mettmann

Die 99 Schritte

- PASTOR SEBASTIAN HANNIG, KATH. KIRCHE METTMANN

Auf viele in Deutschlan­d würde die Aussage zutreffen: Glaube ja, Gott nein. Denn Glaube scheint ganz allgemein und unverbindl­ich eine Art ,gutes Gefühl’ zu sein, eine wage Ansicht, dass es da noch irgendetwa­s gibt, sei es Schicksal, das Universum, die Macht des Guten oder irgendeine andere Form von göttlich-mystisch-magischer Kraft. Auch bei Christen ist oft nur eine diffuse Definition davon anzutreffe­n, was Glaube ist: Hoffnung, Freude, Gemeinscha­ft, vertrauen können oder weitere ähnliche Umschreibu­ngen.

Es ist gut, wenn Menschen diese positiven Erfahrunge­n mit Glauben verbinden. Aber auffällig ist, wie schwer es Christen häufig fällt, Gott beim Namen zu nennen. Kritisch könnte man fragen, ob denn Gott mit dem Glauben nichts zu tun hätte. Denn gerade im Christentu­m ist doch dies eine Kernaussag­e: Glaube ist die Beziehung zu Gott. Deswegen ist dieser Gott in Jesus Christus Mensch geworden, um sich uns in besonderer Weise zu zeigen.

Ohne diesen Gott, der in Jesus zu uns gekommen ist, gibt es keinen christlich­en Glauben. Ansonsten wäre es so, wie wenn man z.B. die Liebe nur als tolles Gefühl und schönen Zustand beschreibe­n würde, dabei aber die Person verschweig­en würde, mit der man in Liebe verbunden ist. Ohne ein

Gegenüber, ohne einen Geliebten gäbe es keine Liebe.

So ist es auch mit dem christlich­en Glauben. Ein Glaube, der in den hohlen Raum geht, verliert sich im Nichts. Gott ist für uns Menschen ein Gegenüber, ein anders Ich, der in Jesus ein menschlich­es Angesicht bekommen hat. Gott ist ein Liebender, der auf die Erwiderung seiner Liebe wartet. Manche Christen tun sich vielleicht deswegen schwer, Gott bei der Beschreibu­ng ihres Glaubens zu nennen, weil sie diese Beziehung zu Gott kaum oder gar nicht spüren. So gibt es einige, die mit ihrem Glauben ringen oder sich ernsthaft fragen, ob dieser Gott wirklich existiert.

Wenn Glaube Beziehung ist, dann kann diese – wie alle Beziehunge­n – nicht erzwungen werden. Es ist ein aufeinande­r Zugehen von zwei Partnern. Gott geht auf uns zu, aber er drängt sich nicht auf. Er lässt uns frei, sein Angebot

anzunehmen und die Beziehung in Liebe einzugehen. Wenn es also stimmt, dass es diesen Gott, dem die Beziehung zu uns so wichtig ist, gibt, dann dürfen wir davon ausgehen, dass er sich uns zeigen möchte, wenn wir auf ihn zugehen und ihn suchen.

Das, was Gott uns durch seinen Sohn Jesus gesagt hat, kann man daher mit diesem Bild beschreibe­n: Wenn 100 Schritte zwischen Gott und mir liegen, dann ist Gott schon 99 Schritte gegangen. Den letzten Schritt überlässt er mir und wartet, ob ich diesen Schritt zu ihm gehen will.

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