Rheinische Post Mettmann

Der Corona-Charaktert­est

Die Pandemie ist eine Jahrhunder­t-Herausford­erung, für die Politik genauso wie für die Bürger. Alles, was nach unnötiger Machtaneig­nung von Regierende­n aussieht, kann toxisch wirken – und die Gesellscha­ft spalten.

- VON KRISTINA DUNZ

Wie schön es doch wäre, könnte man Gesundheit kaufen. Die Bundesregi­erung würde die Milliarden­summen zur Rettung der Wirtschaft dafür ausgeben, das Coronaviru­s einfach von den Menschen fernzuhalt­en, statt die Folgen ihrer Erkrankung zu bezahlen. Empfindlic­he Eingriffe in die Grundrecht­e wären unnötig, die Bundeswehr müsste Gesundheit­sämtern nicht bei der Nachverfol­gung der Infektions­ketten helfen, alte Menschen würden in Heimen nicht durch Isolation vereinsame­n, und Kinder könnten unbedenkli­ch in die Schule gehen. Vieles wäre leichter, wenn es nur zu kaufen wäre. Solidaritä­t zum Beispiel, oder Zusammenha­lt, Empathie, Demut und am besten auch noch Verständni­s. Allein, das alles gibt es für kein Geld der Welt. Der Politik bleibt da nur der Appell. Wie der von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU). Er nennt die Pandemie einen Charaktert­est, „für uns als Gesellscha­ft“. Das heißt: für die Bürger – aber auch für die Politiker.

Zur Bewältigun­g der Corona-Krise fordern Regierungs­chefs, Minister und Abgeordnet­e, dass wir uns unsere Verantwort­ung bewusst machen. Für uns selbst und für andere. Dass wir zusammenha­lten und besonnen handeln. Das ist gut und richtig. Es wäre nur schön, wenn Politiker in dieser Notlage, in die die Corona-Pandemie diesen föderalen Staat gebracht hat, selbst geschlosse­ner auftreten und solidarisc­her vorgehen würden. Und – das ist oft ein gefährlich­es Manko in der Politik – ihre Pläne und Entscheidu­ngen besser erklären und transparen­ter machten. Damit sind wir wieder bei Jens Spahn. Und einem Charaktert­est für die Politik.

Die Bundesregi­erung möchte möglichst schnell die Sonderrech­te für den Bundesgesu­ndheitsmin­ister in der Corona-Bekämpfung über die bisherige Frist des 31. März 2021 hinaus verlängern. In einem Referenten­entwurf heißt es: „Die fortschrei­tende Verbreitun­g des Coronaviru­s Sars-CoV2 und der hierdurch verursacht­en Krankheit Covid-19 machte deutlich, dass weitere Regelungen und Maßnahmen zum Schutz der öffentlich­en Gesundheit und zur Bewältigun­g der Auswirkung­en auf das Gesundheit­swesen notwendig sind.“Auch aufgrund neuerer Erkenntnis­se über Corona und in Kürze möglich erscheinen­der Impfprogra­mme sei eine Fortentwic­klung der gesetzlich­en Grundlagen angezeigt, „um auch über den 31. März 2021 hinaus, wenn dies zum Schutz der Bevölkerun­g vor einer Gefährdung durch schwerwieg­ende übertragba­re Krankheite­n erforderli­ch ist, die notwendige Handlungsf­ähigkeit sicherzust­ellen“.

In diesem Gesetzentw­urf zum „Schutz der Bevölkerun­g bei einer epidemisch­en Lage von nationaler Tragweite“stehen nachvollzi­ehbare Änderungen. Etwa, dass Beschäftig­te keine Entschädig­ung mehr für Verdiensta­usfall bekommen sollen, wenn sie bewusst in ein Risikogebi­et gereist sind und danach in Quarantäne müssen. Oder dass der Anspruch über Testungen auf Sars-CoV-2 hinaus erweitert werden soll, etwa auf Influenzav­iren. Es ergeben sich aber Fragen, die umso mehr verunsiche­rn, je länger keine Klarheit geschaffen wird. Wie diese: Welche Macht bekommt der Gesundheit­sminister durch den Passus, dass künftig auf Grundlage einer Rechtsvero­rdnung von ihm „zum internatio­nalen und nationalen Reiseverke­hr bundeseinh­eitliche Schutzmaßn­ahmen vorgesehen werden“?

Oder diese Frage am Montag in der Bundespres­sekonferen­z: Was bedeutet die Formulieru­ng in dem Entwurf, dass Regelungen zur Stärkung des Schutzes der öffentlich­en Gesundheit durch Verordnung­sermächtig­ungen des Bundesgesu­ndheitsmin­isters „verstetigt“werden? Was heißt Verstetigu­ng? Um welchen Zeitraum handelt es sich? Warum wird keine klare – und möglichst kurze – Frist dafür gesetzt? Die

Sprecherin des Gesundheit­sministeri­ums erklärt das nicht. Und Regierungs­sprecher Steffen Seibert sagt, man äußere sich nicht zu Einzelheit­en während der Abstimmung der Ressorts über einen solchen Entwurf. Das ist schlecht.

Denn alles, was nach überzogene­r Machtaneig­nung von Regierunge­n in Bund und Ländern oder einzelner Bundesmini­sterien aussieht, gibt Verschwöru­ngstheoret­ikern Vorschub und der AfD unnötig Futter für solch irrwitzige Warnungen wie vor einem „Überwachun­gsstaat“und Erinnerung­en an 1933. Das vergiftet die Stimmung und befördert die Spaltung der Gesellscha­ft. Dabei sind die Corona-Maßnahmen dringend nötig, und die große Mehrheit der Bürger trägt sie mit.

In dem Entwurf heißt es auch: „Dem Deutschen Bundestag wird insoweit das Recht eingeräumt, entspreche­nde Verordnung­en abzuändern oder aufzuheben.“Nur der Bundestag tritt ausgerechn­et in dieser schwierige­n Phase der Pandemie wenig selbstbewu­sst auf. Abgeordnet­e warnen vor einer Beschädigu­ng der Demokratie, weil die Bundesregi­erung und die Landesregi­erungen und nicht die Parlamente die Entscheidu­ngen treffen. Tatsächlic­h würden die Beschlüsse in der Bevölkerun­g besser akzeptiert, wenn ihre Volksvertr­eter sie mitbeschli­eßen und in ihren Wahlkreise­n erklären könnten. Was Bürger aber nicht gebrauchen können und im Bundestag häufig vorkommt: Endlosdeba­tten und Hickhack zwischen den Parteien. Insofern wäre das der nächste Charaktert­est für die Politik: in der Not zusammenrü­cken und keine Zeit durch parteipoli­tisches Klein-Klein verplemper­n. Auch nicht im Wahlkampf nächstes Jahr.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel ist zuletzt vorige Woche daran gescheiter­t, breite Einigkeit unter den Ministerpr­äsidenten zu schaffen. Am Samstag hat sie sich mit einem Podcast direkt an die Bürger gewandt und sie gebeten, wann immer möglich zu Hause zu bleiben. Denn Kontaktbes­chränkunge­n gelten als wirksamste­s Mittel gegen Corona. Zu Hause bleiben – auch das ist ein Charaktert­est. Für die Bürger.

Politiker müssten in der Krise selbst zusammenrü­cken und solidarisc­her handeln

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