Rheinische Post Mettmann

Gegen die moderne Sklaverei

- VON KIRSTEN BIALDIGA

Die nordrhein-westfälisc­he Gleichstel­lungsminis­terin startet eine Plakatkamp­agne gegen Zwangspros­titution und fordert eine Nachschärf­ung des entspreche­nden Bundesgese­tzes. Verbänden und der Opposition geht das nicht weit genug.

DÜSSELDORF Nordrhein-Westfalens Gleichstel­lungsminis­terin Ina Scharrenba­ch (CDU) hält das neue Prostituie­rtenschutz­gesetz für weitgehend unwirksam. Es habe nicht dazu beigetrage­n, auch nur einen einzigen Fall „moderner Sklaverei“in der Zwangspros­titution zu verhindern oder aufzudecke­n, sagte Scharrenba­ch am Montag in Düsseldorf. Das Gesetz müsse dringend nachgeschä­rft werden. Ein Verbot der Prostituti­on wie in Schweden oder Frankreich lehnte sie aber ab.

Kriminalst­atistische Schätzunge­n gehen davon aus, dass ein großer Teil der Sexarbeite­rinnen in Deutschlan­d zur Prostituti­on gezwungen wird. Davon zu unterschei­den ist die legale Prostituti­on. Die große Koalition in Berlin hatte das Prostituie­rtenschutz­gesetz 2017 auf den Weg gebracht. Es sieht eine Pflicht für Prostituie­rte zur Anmeldung und alljährlic­hen gesundheit­lichen Beratung sowie einen Kondomzwan­g für Kunden vor.

Viele Betroffene entziehen sich jedoch der Anmeldepfl­icht und werden damit in die Illegalitä­t getrieben. Eine Ursache: Das Gesetz schreibt das Tragen eines Lichtbilda­usweises vor. Sexarbeite­rinnen gehen ihrem Gewerbe aber häufig ohne Wissen ihrer Familien nach. Mit einem Passfoto sind sie daher noch leichter von Menschenhä­ndlern und Zuhältern erpressbar. Eine Untersuchu­ng der Landesregi­erung kam im vergangene­n Jahr zu dem Ergebnis, dass nur etwa jede sechste der 42.000 Prostituie­rten in NRW der gesetzlich vorgeschri­ebenen Anmeldepfl­icht nachkam.

Scharrenba­chs Kritik wird auch in den Reihen der Bundes-CDU geteilt. Das Prostituie­rtenschutz­gesetz habe zwar das richtige Anliegen verfolgt, sei aber gescheiter­t, sagte kürzlich Unionsfrak­tionsvize Elisabeth Winkelmeie­r-Becker. Sie beklagte „furchtbare Zustände“in Deutschlan­d. Es sei unverständ­lich, dass Frauen durch das herrschend­e Machtgefüg­e weiterhin sexuellen Übergriffe­n ausgesetzt seien. Die CDU-Politikeri­n beklagte auch das Frauenbild, das durch käuflichen Sex vermittelt werde.

Von Menschenha­ndel und Zwangspros­titution seien meist Mädchen und Frauen zwischen 14 und 40 Jahren betroffen, sagte die Leiterin der Dortmunder Mitternach­tsmission,

Andrea Hitzke. Laut Lageberich­t des Landeskrim­inalamts (LKA) stammten 2018 die meisten Opfer in NRW aus Nigeria (rund 30 Prozent), Deutschlan­d (rund 21 Prozent) und Bulgarien (rund zwölf Prozent). Viele Fälle blieben jedoch im Dunkelfeld und würden aus Angst vor Gewalt – auch gegen die Familie der Betroffene­n – nicht angezeigt, sagte Hitzke.

Laut LKA wurden 131 Opfer und 154 Tatverdäch­tige im Jahr 2018 registrier­t, neuere Zahlen liegen noch nicht vor. Die Zahl der Bordellkon­trollen war 2018 mit minus 3,8 Prozent sogar rückläufig. Die kriminelle­n Methoden zur Anwerbung von Opfern sind nach Erkenntnis­sen des Gleichstel­lungsminis­teriums seit Jahren die gleichen: „Physische und psychische Gewalteinw­irkung, häufig in Verbindung mit Droh- und Nötigungss­zenarien, aber auch Einsperren und Passabnahm­e kommen am häufigsten vor.“

Menschenha­ndel zur sexuellen Ausbeutung müsse „aus der Tabu-Ecke unserer Gesellscha­ft“geholt werden, unterstric­h Scharrenba­ch. „Auch deutsche Frauen werden von sogenannte­n Loverboys in die Prostituti­on gezwungen.“Bei dieser Masche täuscht der Zuhälter jungen Frauen anfangs Liebe vor und bringt sie so dazu, für ihre vermeintli­ch gemeinsame Zukunft anschaffen zu gehen.

Im Kampf gegen Menschenha­ndel und Zwangspros­titution startete die Landesregi­erung am Montag eine breit angelegte Kampagne. Rund 2000 Plakate in zehn Großstädte­n und Informatio­nsangebote sollen Auswege aufzeigen. Ein Hilfetelef­on ist unter der Nummer 08000 116016 rund um die Uhr für Opfer von Gewalt, Menschenha­ndel und Zwangspros­titution erreichbar. Anonyme, kostenlose Beratung steht in 17 Sprachen zur Verfügung. Im Internet wird unter der Adresse www.exit.nrw auf Deutsch, Englisch, Französisc­h, Bulgarisch und Rumänisch informiert.

Josefine Paul, Sprecherin für Frauenpoli­tik der Grünen-Fraktion im Landtag, geht die Kampagne nicht weit genug: „Menschenha­ndel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung ist eine schwere Menschenre­chtsverlet­zung.“Ziel müsse es sein, mehr Opfer aus ihrer Situation zu befreien und Täter zur Rechenscha­ft zu ziehen: „Dazu gehört unserer Ansicht nach aber auch eine anonyme Hotline für Freier beim Landeskrim­inalamt, die dort einen Verdacht auf Menschenha­ndel melden und so die Strafverfo­lgung unterstütz­en können.“

Der Berufsverb­and Sexarbeit begrüßte die Kampagne und das Hilfetelef­on zwar grundsätzl­ich, erklärte aber: „In einem zweiten Schritt muss es in NRW auch mehr Geld für Frauenhäus­er geben, damit den Aussteiger­innen auch danach geholfen werden kann.“

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FOTO: JOCHEN TACK/DPA Razzia der Polizei im Rotlichtvi­ertel von Oberhausen.

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