Gegen die moderne Sklaverei
Die nordrhein-westfälische Gleichstellungsministerin startet eine Plakatkampagne gegen Zwangsprostitution und fordert eine Nachschärfung des entsprechenden Bundesgesetzes. Verbänden und der Opposition geht das nicht weit genug.
DÜSSELDORF Nordrhein-Westfalens Gleichstellungsministerin Ina Scharrenbach (CDU) hält das neue Prostituiertenschutzgesetz für weitgehend unwirksam. Es habe nicht dazu beigetragen, auch nur einen einzigen Fall „moderner Sklaverei“in der Zwangsprostitution zu verhindern oder aufzudecken, sagte Scharrenbach am Montag in Düsseldorf. Das Gesetz müsse dringend nachgeschärft werden. Ein Verbot der Prostitution wie in Schweden oder Frankreich lehnte sie aber ab.
Kriminalstatistische Schätzungen gehen davon aus, dass ein großer Teil der Sexarbeiterinnen in Deutschland zur Prostitution gezwungen wird. Davon zu unterscheiden ist die legale Prostitution. Die große Koalition in Berlin hatte das Prostituiertenschutzgesetz 2017 auf den Weg gebracht. Es sieht eine Pflicht für Prostituierte zur Anmeldung und alljährlichen gesundheitlichen Beratung sowie einen Kondomzwang für Kunden vor.
Viele Betroffene entziehen sich jedoch der Anmeldepflicht und werden damit in die Illegalität getrieben. Eine Ursache: Das Gesetz schreibt das Tragen eines Lichtbildausweises vor. Sexarbeiterinnen gehen ihrem Gewerbe aber häufig ohne Wissen ihrer Familien nach. Mit einem Passfoto sind sie daher noch leichter von Menschenhändlern und Zuhältern erpressbar. Eine Untersuchung der Landesregierung kam im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass nur etwa jede sechste der 42.000 Prostituierten in NRW der gesetzlich vorgeschriebenen Anmeldepflicht nachkam.
Scharrenbachs Kritik wird auch in den Reihen der Bundes-CDU geteilt. Das Prostituiertenschutzgesetz habe zwar das richtige Anliegen verfolgt, sei aber gescheitert, sagte kürzlich Unionsfraktionsvize Elisabeth Winkelmeier-Becker. Sie beklagte „furchtbare Zustände“in Deutschland. Es sei unverständlich, dass Frauen durch das herrschende Machtgefüge weiterhin sexuellen Übergriffen ausgesetzt seien. Die CDU-Politikerin beklagte auch das Frauenbild, das durch käuflichen Sex vermittelt werde.
Von Menschenhandel und Zwangsprostitution seien meist Mädchen und Frauen zwischen 14 und 40 Jahren betroffen, sagte die Leiterin der Dortmunder Mitternachtsmission,
Andrea Hitzke. Laut Lagebericht des Landeskriminalamts (LKA) stammten 2018 die meisten Opfer in NRW aus Nigeria (rund 30 Prozent), Deutschland (rund 21 Prozent) und Bulgarien (rund zwölf Prozent). Viele Fälle blieben jedoch im Dunkelfeld und würden aus Angst vor Gewalt – auch gegen die Familie der Betroffenen – nicht angezeigt, sagte Hitzke.
Laut LKA wurden 131 Opfer und 154 Tatverdächtige im Jahr 2018 registriert, neuere Zahlen liegen noch nicht vor. Die Zahl der Bordellkontrollen war 2018 mit minus 3,8 Prozent sogar rückläufig. Die kriminellen Methoden zur Anwerbung von Opfern sind nach Erkenntnissen des Gleichstellungsministeriums seit Jahren die gleichen: „Physische und psychische Gewalteinwirkung, häufig in Verbindung mit Droh- und Nötigungsszenarien, aber auch Einsperren und Passabnahme kommen am häufigsten vor.“
Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung müsse „aus der Tabu-Ecke unserer Gesellschaft“geholt werden, unterstrich Scharrenbach. „Auch deutsche Frauen werden von sogenannten Loverboys in die Prostitution gezwungen.“Bei dieser Masche täuscht der Zuhälter jungen Frauen anfangs Liebe vor und bringt sie so dazu, für ihre vermeintlich gemeinsame Zukunft anschaffen zu gehen.
Im Kampf gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution startete die Landesregierung am Montag eine breit angelegte Kampagne. Rund 2000 Plakate in zehn Großstädten und Informationsangebote sollen Auswege aufzeigen. Ein Hilfetelefon ist unter der Nummer 08000 116016 rund um die Uhr für Opfer von Gewalt, Menschenhandel und Zwangsprostitution erreichbar. Anonyme, kostenlose Beratung steht in 17 Sprachen zur Verfügung. Im Internet wird unter der Adresse www.exit.nrw auf Deutsch, Englisch, Französisch, Bulgarisch und Rumänisch informiert.
Josefine Paul, Sprecherin für Frauenpolitik der Grünen-Fraktion im Landtag, geht die Kampagne nicht weit genug: „Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung ist eine schwere Menschenrechtsverletzung.“Ziel müsse es sein, mehr Opfer aus ihrer Situation zu befreien und Täter zur Rechenschaft zu ziehen: „Dazu gehört unserer Ansicht nach aber auch eine anonyme Hotline für Freier beim Landeskriminalamt, die dort einen Verdacht auf Menschenhandel melden und so die Strafverfolgung unterstützen können.“
Der Berufsverband Sexarbeit begrüßte die Kampagne und das Hilfetelefon zwar grundsätzlich, erklärte aber: „In einem zweiten Schritt muss es in NRW auch mehr Geld für Frauenhäuser geben, damit den Aussteigerinnen auch danach geholfen werden kann.“