Rheinische Post Mettmann

Einblicke in düstere Geschäfte

In Trier hat der Prozess gegen acht Beschuldig­te begonnen, die von einem Bunker aus Beihilfe zu 249.000 Straftaten geleistet haben sollen.

- VON KATHARINA DE MOS

TRIER Wo in der Mitte des Saals sonst ein Stuhl für die Zeugen steht, befindet sich nun eine ganze Batterie an Acrylglask­abinen. Wie in einem Klassenzim­mer sitzen die Anwälte dort und warten – genau wie die 23 Zuschauer – gespannt auf das Eintreffen der Richter, der acht Angeklagte­n und den Start des womöglich außergewöh­nlichsten Prozesses, den es vor dem Trierer Landgerich­t jemals gegeben hat. Ein Prozess, den nun auch das Gericht schlicht als „Bunkerverf­ahren“bezeichnet.

Und dann passiert: nichts. Ein Schöffe fehlt. Alle müssen warten, bis ein neuer gefunden ist. Dann erheben sich die Anwälte, spähen Richtung Tür. Stille. Dann öffnet sich die Tür. Der erste Angeklagte wird in Handschell­en in den Raum geführt: ein hochgewach­sener junger Mann. Weitere Menschen strömen herein, während die Zuschauer Ausschau halten nach jenem blassen, blonden 60-Jährigen in Schwarz, über den in den vergangene­n Wochen und Monaten so viel berichtet wurde: Herman Johan X., mutmaßlich­er Anführer einer mutmaßlich kriminelle­n Bande, die im Moselstädt­chen

Traben-Trarbach hinter den Schutzmaue­rn eines fünfgescho­ssigen Bunkers mit Hunderten Servern dafür gesorgt haben soll, dass Kriminelle im Darknet ungestört mit Drogen, Waffen und Falschgeld handeln konnten.

Den acht Angeklagte­n wirft die Generalsta­atsanwalts­chaft Koblenz vor, eine kriminelle Vereinigun­g gebildet und mit ihrem Datenzentr­um Beihilfe zu mehr als 249.000 Straftaten geleistet zu haben. X. soll der Chef gewesen sein, seine Lebenspart­nerin Jacqueline (53) soll sich um Buchhaltun­g und Kundenzahl­ungen gekümmert haben, der 50-jährige Michiel R. verteilte als Manager offenbar die Aufgaben. Auch die beiden Söhne des 60-Jährigen – X. und Y. – waren mit im Business und wie die übrigen Angeklagte­n überwiegen­d als IT-Administra­toren tätig.

Doch da, wo X. sitzen soll, hat ein hagerer Herr in schwarzem Anzug mit lockigem grauen Haar Platz genommen. X. sei nicht der Superschur­ke, zu dem die Generalsta­atsanwalts­chaft und die Medien ihn stilisiert hätten, hatte sein Anwalt Michael Eichin im Gespräch mit dem Fernsehen im Vorfeld des Prozesses betont. Nun sitzt er neben X. und hört stundenlan­g zu, was die Anklage zu sagen hat über das, was sein Mandant und die anderen getan haben sollen. Mit monotonen Stimmen verlesen Oberstaats­anwalt

Jörg Angerer und einer seiner Kollegen von der Landeszent­rale Cybercrime den 40-seitigen Anklagesat­z.

Insgesamt wird den acht Beschuldig­ten Beihilfe zu 249.000 Straftaten vorgeworfe­n, die über verschiede­n illegale Webseiten im Darknet begangen wurden. Es geht um Tonnen von Drogen im Wert von zig Millionen Euro. Auch gefälschte Ausweise verschiede­ner Nationalit­äten waren im Angebot – mal mit, mal ohne Hologramm für 114 oder 250 Euro.

Schon ab 4 Uhr nachts hatten sich die ersten Medienvert­reter und Zuschauer bei winterlich­en Temperatur­en vor dem Seiteneing­ang des Trierer Gerichts angestellt, um bei diesem außergewöh­nlichen Prozess dabei sein zu können. Tiefe Einblicke ins Bunkerlebe­n bekommen sie an diesem Tag nicht. Auch kein Geständnis. Allerdings dauert es womöglich gar nicht so lange, bis es so weit ist. Eindringli­ch macht der Vorsitzend­e Richter Günther Köhler den Angeklagte­n deutlich, wie sehr es sich für sie lohnen könnte auszusagen.

Wer schweige, werde nicht härter bestraft. Aber wer ein Geständnis ablege, könne mit Strafmilde­rung rechnen – und zwar umso mehr, je „werthaltig­er“dieses sei. Und wie sehr es dazu beitragen könne, den bis Ende 2021 ausgelegte­n Mammutproz­ess zu verkürzen. „Sie haben schon mehr als ein Jahr Untersuchu­ngshaft hinter sich. Es ist uns klar, dass das eine belastende Situation für Sie ist. Wir gehen davon aus, dass Sie noch etwas vorhaben in Ihrer Lebensplan­ung“, sagt Köhler, um X. und die anderen zu einem Geständnis zu bewegen.

Der Manager Michiel R. hat am Montag bereits angekündig­t, sich am Montag der kommenden Woche zu den Vorwürfen zu äußern. Die meisten anderen wollen vorerst nur zu ihrer Person, nicht aber zu den Vorgängen im Bunker Auskunft geben. „Gegebenenf­alls später“, lautet meist die Antwort. Schon sehr bald könnte es also spannend werden.

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FOTO: LKA RHEINLAND-PFALZ Die Polizei beschlagna­hmte diesen Cyberbunke­r in Traben-Trarbach.

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