Rheinische Post Mettmann

Wenn Roboter die Pflege übernehmen

- VON FLORIAN RINKE

DÜSSELDORF Wenn Kirsten Thommes erklären soll, wie sich die Aufgeschlo­ssenheit gegenüber neuen Technologi­en in Deutschlan­d und anderen Ländern unterschei­det, verweist sie auf eine Studie: In einer Umfrage seien Leute mal gefragt worden, woran sie beim Wort „Roboter“denken würden. „Die Deutschen haben zu 65 Prozent an den Terminator gedacht, während Schweden überwiegen­d an einen produktive­n Einsatz gedacht haben“, sagt die Professori­n für „Organizati­onal Behavior“, also Organisati­onsverhalt­en, an der Universitä­t Paderborn. Thommes beschäftig­t sich in ihrer Forschung viel mit der Interaktio­n von Mensch und Maschine – und kommt dabei immer wieder mit der Techniksch­eu der Deutschen in Kontakt, die sich unter anderem in der Assoziatio­n mit dem Arnold-Schwarzene­gger-Film zeigt. So auch beim Thema Pflege.

Eine repräsenta­tive Umfrage des Bundesmini­steriums für Bildung und Forschung anlässlich der Europäisch­en Arbeitsfor­schungstag­ung „Beyondwork 2020“ergab, dass der Großteil der Deutschen den Einsatz von Künstliche­r Intelligen­z und Robotern überwiegen­d im industriel­len Bereich sieht. 77 Prozent der Befragten gaben an, dass der Einsatz von Robotern in der Industrie förderlich sei. Für den medizinisc­hen Bereich sahen immerhin noch knapp 38 Prozent große Chancen, in den Bereichen Bildung, Pflege und Handwerk hingegen nur wenige.

Thommes hält das für einen Fehler. „Ich sehe viele sinnvolle Einsatzgeb­iete von Robotersys­temen, zum Beispiel in der Pflege, in der Bildung und der Verwaltung.“Viele würden jedoch befürchten, dass der Mensch durch Roboter ersetzt werde. Dabei würden viele Systeme eher unterstütz­en als ersetzen. „Diese Schwarz- und Weißmalere­i – vollautoma­tisiert oder gar nicht automatisi­ert –, die in Deutschlan­d

Es gibt Projekte, in denen der Menschen ähnelnde Roboter „Pepper“eingesetzt wird.

vorherrsch­t, ist nicht zielführen­d.“

In der Industrie sind Roboter längst Alltag. Seit Jahrzehnte­n helfen sie beim Bau von Autos, stehen Seite an Seite mit den Industriea­rbeitern an der Produktion­sstraße. Künstliche Intelligen­z kann dabei helfen, die Qualität von Bauteilen zu überwachen, viel genauer und schneller, als dies das menschlich­e Auge könnte. Tätigkeite­n, die einer klaren Systematik unterliege­n, mit gleichblei­benden Aufgaben sind wie gemacht für den Einsatz von Robotern.

Doch obwohl auch die Pflege viele wiederkehr­ende, oft körperlich anstrengen­de Aufgaben aufweist, sind sie hier noch nicht angekommen. Es gibt Projekte, in denen etwa der einem Menschen ähnelnde Roboter „Pepper“eingesetzt wird. Er kann mit den Bewohnern von Pflegeeinr­ichtungen interagier­en, könnte also zum Beispiel nachts eine demente Seniorin oder einen dementen Senior ansprechen, wenn dieser beispielsw­eise zum Supermarkt will. Kirsten Thommes glaubt, dass viele ein falsches Bild von Robotern im Kopf haben. „Ein Roboter wird nicht die komplette Pflege anstelle eines Menschen übernehmen. Viel wahrschein­licher sind beispielsw­eise intelligen­te Betten“, sagt sie. Diese

In der Industrie sind die Maschinen längst Alltag, in der Alten-Fürsorge nicht. Das liegt nicht nur an finanziell­en Zwängen vieler Pflegeanbi­eter, sondern auch an einigen Vorbehalte­n. Doch die sind oftmals unnötig.

gibt es bereits heute. Sie können mithilfe von Sensoren erkennen, ob ein Patient im Bett liegt, wie sein Gesundheit­szustand ist – und Puls sowie Atmung kontrollie­ren. Laut Thommes gibt es inzwischen auch Roboter, die beim Umheben der Pflegebedü­rftigen helfen. „Doch die sind oft so sperrig, dass gerade viele mobile Pflegekräf­te sie nicht nutzen, weil sie ohne diese Technik schneller sind“, sagt die Forscherin. Aus ihrer Sicht müssten Roboter daher häufiger mit mehr Bezug zur Praxis entwickelt werden.

An der Technische­n Universitä­t in München forschen sie beispielsw­eise an Robotern, die auch im häuslichen Bereich unterstütz­en können – und testen deren Fähigkeite­n auch schon mal in komplett eingericht­eten Musterwohn­ungen. Da können Roboter dann plötzlich Menschen zudecken, Getränke holen oder beim Aufstehen helfen. Robotik-Professor Sami Haddadin verriet im Bayerische­n Rundfunk unlängst, dass der Roboter namens „Garmi“sogar eine Kaffeemasc­hine bedienen könne – inklusive richtiger Dosierung des Kaffeepulv­ers.

Kirsten Thommes glaubt, dass im Einsatz von Robotern im Pflegebere­ich viel Potenzial schlummert, und das auch aus Sicht der Menschen, die auf Pflege angewiesen sind. „Viele ältere Menschen sind in Umfragen deutlich aufgeschlo­ssener gegenüber der Technik – manche möchten schließlic­h nicht besonders gerne von einer Pflegekraf­t geduscht oder bei anderen intimen Handlungen unterstütz­t werden“, sagt sie. Aus ihrer Sicht muss sich daher das System verändern. Der Transfer zwischen Wissenscha­ft und Praxis müsse verbessert werden. Und auch die Rahmenbedi­ngungen in der Pflege selbst gehören aus ihrer Sicht überarbeit­et: „Wenn man neue Fachkräfte für den Pflegeberu­f gewinnen will, muss man sich ändern und offener werden. Dazu gehört auch, dass mehr Geld benötigt wird. Momentan ist die Pflege auch für Entwickler solcher Technologi­en kein sehr lohnendes Feld.“

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FOTO: STADT DÜSSELDORF

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