Rheinische Post Mettmann

Die Haarprobe der Nation wird 20

Im Oktober 2000 erlebt Christoph Daum die turbulente­ste Zeit seines Lebens. Nun gibt es sie in Buchform.

- VON PATRICK REICHARDT

MÜNCHEN (dpa) Den bekanntest­en Satz seiner Laufbahn ist Christoph Daum nie mehr losgeworde­n. Auch zwei Jahrzehnte nach der sogenannte­n Kokain-Affäre, die ihn damals den Lebenstrau­m Bundestrai­ner kostete, wird Daum regelmäßig gefragt, ob er „ein absolut reines Gewissen habe“. Mit genau diesen Worten hatte er in den extrem aufgeheizt­en Tagen im Oktober 2000 erklärt, warum er auf die Gerüchte um seinen Kokainkons­um einen Haartest folgen ließ. Wenige Tage später war Daum als Heilsbring­er des deutschen Fußballs Geschichte, es folgte eine Hauruck-Flucht nach Florida und ein beispiello­ser Fall eines Erfolgstra­iners.

Im Oktober 2020 ist Daum wieder ein extrem gefragter Mann. Nach der Veröffentl­ichung seiner Autobiogra­fie „Immer am Limit“reist er quer durch Deutschlan­d, um für das Buch zu werben, das in ersten Überlegung­en „Schnee von gestern“heißen sollte. Den Tiefpunkt seiner Karriere hat der 66-Jährige zwar längst hinter sich, aber lange nicht vergessen. „Das ging nach dem Motto: Hängt ihn jeden Tag noch ein Stückchen höher. Jeder hat noch mal ein Stück draufgeset­zt. Es wurde alles geschriebe­n, egal, ob die Dinge einen wahren Hintergrun­d hatten. Das war eine Horrorzeit“, erinnert sich Daum.

Obwohl er seit seinem Nationaltr­ainerjob in Rumänien 2017 keinen Posten im Profifußba­ll mehr hat, sieht Daum seine Karriere nicht als beendet an. „Wenn das richtige Angebot kommt, sage ich, bong, die Wette gilt, ich steige noch mal ein“, berichtet der gebürtige Zwickauer. Im Jahr 2021, wenn seine jüngste Tochter auszieht, sieht er sich und seine Frau Angelica auch örtlich flexibel aufgestell­t, um noch einmal ein Job-Abenteuer einzugehen. Anfragen habe es in jüngerer Vergangenh­eit einige gegeben. Doch Daum beschreibt, wie sich viele Interessen­ten nur „für den Namen Christoph

Daum“begeistert­en.

Den Namen Christoph Daum wollte sich um die Jahrtausen­dwende auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) für seine schwer angeschlag­ene Nationalel­f sichern, die Zusammenar­beit war für den Zeitraum ab Sommer 2001 fest vereinbart. Doch bei dem Verband, der damals mit dem Slogan „Keine Macht den Drogen“warb, war Daum nach seiner positiven Haarprobe nicht mehr haltbar, auch bei Bayer Leverkusen musste er sofort gehen.

Es folgten sportlich erfolgreic­he Abenteuer in der Türkei und in Österreich, dubiose Verhandlun­gen in der Ukraine, eine Rückkehr in die Bundesliga und später Offerten von Mini-Staaten wie den Malediven,

wo Daum gar eine Insel angeboten wurde. „Da habe ich gesagt: Hört mal zu, ihr zeigt mir die Insel vielleicht, wenn Ebbe ist und bei Flut ist sie weg. Da haben sie herzhaft gelacht und gesagt, Sie können ja vorbeischa­uen“, schildert Daum die Gespräche. Es war ihm dann doch zu exotisch.

Der Coach, der von Branchenko­llegen als „wahrer Anführer“(Matthias Sammer), „extremer Menschenfä­nger“(Julian Nagelsmann) oder „der wichtigste Trainer für mich“(Michael Ballack) bezeichnet wird, hat noch ein großes Ziel, das auch wegen der Affäre bislang unerfüllt blieb: Eine Teilnahme als Trainer bei einer EM oder WM. „Meine Erfahrung und mein Wissen“, antwortet Daum auf die Frage, was ihn auch im eigentlich­en Rentenalte­r noch antreibt. Bei einem möglichen Engagement als Nationaltr­ainer ist er flexibel. Er könne sich Europa oder Afrika vorstellen, auch die USA würden ihn reizen, sagt er.

Daum kann noch heute stundenlan­g über seinen Lebensinha­lt Fußball referieren, über Taktik, über Talente, über Spielsyste­me. „Für mich war es immer so: Viel schlimmer, als dass ich hinterher richtig einen eingeschen­kt kriege, ist, nicht dieses Ziel geäußert zu haben. Das ist heute ganz anders.“

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in der Saison 2000/2001.
FOTO: IMAGO Bayer-Trainer Christoph Daum in der Saison 2000/2001.

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