Der Weg in ein besseres Leben?
Die Stadt hat mit Fiftyfifty in Oberbilk die illegalen Obdachlosen-Camps am Montagmorgen geräumt. Die meisten Bewohner packten still ihre Sachen zusammen und warteten geduldig, bis sie in eine Unterkunft gebracht wurden.
OBERBILK Auf dem schmalen Trampelpfad zwischen Schöffenhöfe und Amtsgericht steht eine kleine Menschen-Gruppe – hauptsächlich Männer, eine Frau hockt daneben auf einem Koffer. Ihren Schal hat sie sich um Kopf und Hals gewickelt, es ist frisch an diesem Montagmorgen und gerade erst hell geworden. Unsicher schauen sich die Menschen um, verharren fast regungslos neben ihren Taschen, Plastiksäcken und Einkaufstüten, während zwei Bundespolizisten mit ihren Schäferhunden, die einen Maulkorb tragen, an ihnen vorbeilaufen.
„Die Menschen sind aufgeregt, weil sie nicht wissen, wo es hingeht“, sagt Jan Dörrenbächer von der Obdachlosenorganisation Fiftyfifty. Er begleitet die Räumung der Camps, die die Stadt am Donnerstag angekündigt hatte. Das Gelände hinter dem Amtsgericht wird seit Jahren vor allem von Rumänen bewohnt. Neben den Bahngleisen zwischen Gestrüpp und Bäumen haben sie kleine Dörfer errichtet mit Holzhütten und Zelten, in denen sie leben. Ohne Wasser, ohne Strom.
Ein Zustand, der nicht länger haltbar war. Weder für die Bewohner der Camps, noch für die Stadt, die zum Teil Eigentümerin des Grundstücks ist. Ein wesentlicher Grund, dass die Dörfer abgerissen werden und die Fläche gerodet wird, „ist der Sicherheitsaspekt der Bahn“, sagt Jens Kuessner, Leiter der Straßenunterhaltung. Die Schienen werden für den Güterverkehr genutzt. Vor zwei Jahren wurde das Areal schon einmal geräumt – damals in einer Art Nacht- und Nebelaktion, „die Menschen wurden aus dem Schlaf gerissen“, erinnert sich Dörrenbächer, der froh ist, dass es dieses Mal anders läuft. Fiftyfifty ist dieses Mal frühzeitig in den Prozess einbezogen worden. Acht Personen konnten bereits vor dem Wochenende untergebracht werden, sie leben jetzt in einer Flüchtlingsunterkunft an der Meineckestraße.
Wie viele Menschen genau an diesem Morgen noch in den Camps sind, das versuchen Dörrenbacher und seine Kollegen herauszufinden. Sie überqueren die Gleise, durchforsten die Gebüsche. Immer wieder treffen sie auf Roma, die mit gepackten Sachen Richtung Schöffenhöfe ziehen – manche sind freundlich, andere nicht. Es ist schwierig, einen Überblick zu bekommen, die Streetworker korrigieren laufend die Zahl der Bewohner. „Viele kennen wir, weil sie für Fiftyfifty Zeitungen verkaufen“, sagt Dörrenbächer. Mit ihnen kann er sprechen. Es gibt auch auch solche, zu denen Dörrenbächer keinen Zugang findet.
Die größte Sorge der verbliebenen Bewohner ist, dass sie ihre Hunde nicht mitnehmen können in die Unterkünfte und voneinander getrennt werden. Es sind meistens ganze Familien, die ein Dorf gegründet haben, mindestens drei solcher Camps gab es hinter dem Amtsgericht. Es könne sein, dass Familien getrennt werden müssen, aber sie seien alle erwachsen, ist von einem Fiftyfifty-Mitarbeiter zu hören, als er auf ein älteres Paar trifft, das lächelnd grüßt.
Der Mann hat einen Bart, der an der Spitze schon ein bisschen grau ist, in der Hand hält er eine Zigarette. Die Frau sitzt an einem Holztisch, vor sich eine Tasse Kaffee und die geöffnete Packung Jacobs Krönung. Daneben steht ein leeres Weinglas, es muss Rotwein gewesen sein, der dunkle Bodensatz ist eingetrocknet. Auch wenn das Paar kaum Deutsch spricht, versteht es doch, dass es jetzt gehen muss. Die beiden bleiben ruhig, packen ihre Sachen und schleppen sie über die Gleise. Nur ein paar Meter neben ihnen sind schon erste Motorsägen zu hören.
60.000 Euro soll die Räumung der Camps, die Entsorgung des Mülls und die Rodung des Areals kosten. „Das ist ein Ansatz. Wir sehen erst am Ende, wie teuer es wird“, sagt Jens Kuessner. Alte Autoreifen, ausrangierte Kühlschränke, völlig demolierte Fahrräder – da wird einiges zusammenkommen. Derzeit prüft die Stadt, wie das Areal zwischen Amtsgericht und Schöffenhöfe gesichert werden kann, eine Rodung ist nur temporär. Ein Zaun sei aber nicht die Lösung, „über Zäune kann man klettern“, sagt Dirk Bommes aus dem Dezernat von Cornelia Zuschke, der die gute Zusammenarbeit mit Fiftyfifty lobt. „Hier hätten die Menschen keine Perspektive“, sagt Bommes. Drei Monate habe die Planung der Räumung gedauert, „wir mussten uns mit den anderen Eigentümern wie etwa der Deutschen Bahn absprechen, um Verlagerungen der Camps zu verhindern“, sagt Florian Reeh, Leiter des Amts für Verkehrsmanagement.
Inzwischen laden die wartenden Menschen ihre Sachen in einen Transporter von Fiftyfifty. Zehn Plätze gebe es noch an der Meineckestraße, „dort dürfen auch Hunde mit, das Grundstück wird jetzt eingezäunt“, sagt Dörrenbächer, der schon Freitag Kontakt mit Miriam Koch, der Leiterin des Amtes für Migration und Integration, hatte. Knapp 30 Rumänen sind es am Ende, die Fifityfifty mit Hilfe der Franzfreunde unterbringen kann. 30 weitere Obdachlose sind auf eigene Faust losgezogen, hinaus in die Stadt, vermutlich auf der Suche nach einem neuen Versteck, in dem sie überwintern können.