„Keine Experimente mit meinen Lungen“
Der berühmte Jazztrompeter nimmt die Maskenpflicht ernst und spricht über Plattenaufnahmen sowie die Allmacht des Pianisten.
VIERSEN Der aus Viersen stammende Jazztrompeter Till Brönner (49) hat eine neue Platte gemacht: „On Vacation“: „Im Urlaub“. Ihre Entstehung war mit manchen Schwierigkeiten verbunden, die Findung des Titels auch. In Konzerten präsentieren kann der Musiker sie wegen der Corona-Pandemie ebenfalls nicht.
Eigentlich wollte ich Sie Ende April beim Klavierfestival Ruhr hören. Dazu kam es aber nicht. Warum?
BRÖNNER Die Umstände der Reisebedingungen während der Corona-Pandemie haben das leider nicht erlaubt. Es gab ja ein Einreiseverbot für Staatsbürger der USA. Wir hoffen aber, das Konzert zu einem späteren Zeitpunkt nachholen zu können.
Sie hätten beim Festival mit dem großartigen US-amerikanischen Pianisten Bob James spielen sollen, mit dem Sie kurz vorher eine Platte gemacht hatten. Die kommt am 30. Oktober auf den Markt und heißt „On Vacation“. Klingt nach guter Stimmung bei der Aufnahme.
BRÖNNER Im Prinzip ja. Doch die Wahrheit ist, dass wir damals, im September 2019, eine ganze Weile brauchten, um uns wieder aneinander zu gewöhnen. Ich kannte Bob James von einigen früheren Auftritten, doch nun schwirrten zwischen den Beteiligten sehr viele Vorstellungen durch den Raum, wohin die Reise gehen könnte. Auch Künstler sind eben nicht immer am gleichen Punkt im Leben. Die Folge: Wir kamen am Anfang der Aufnahmen nicht gut übereinander.
Was störte denn da?
BRÖNNER Tagelang haben wir versucht, auf einen Nenner zu kommen. Es gelang nicht.
Was dachten Sie?
BRÖNNER Mir kam tatsächlich irgendwann der Gedanke, dass man ja auch mal auseinandergehen könnte, ohne ein Studioalbum gemacht zu haben.
Das passiert selten, sollte Künstlern aber zugestanden werden.
BRÖNNER Absolut. Dann gingen wir an einem Abend sehr früh ins Bett, um über alles zu schlafen, trafen uns am nächsten Morgen zu einem Krisengespräch und zu einem neuerlichen Versuch, ausgerechnet mit dem „Basin Street Blues“, und was soll ich sagen: Plötzlich war Sauerstoff im Raum. Und dieser Versuch, bei dem sich über uns nach diesen schwierigen Tagen sozusagen der Himmel öffnete, war sinnstiftend für die kommenden 48 Stunden. In denen wurde das Album dann fertig aufgenommen.
Wie haben Sie diese Zeit im Studio empfunden?
BRÖNNER Wir Rheinländer – ich stamme ja aus Viersen und wurde in Bad Godesberg groß – haben eine besondere Eigenschaft, nämlich den Humor in der Krise. Und die Devise des „Et hätt noch immer jot jejange“ist ja nun wirklich auch ein Vorteil. Und am Ende merkten James und ich, dass wir nach demselben Ziel strebten.
James könnte Ihr Vater sein. Wie war das für Sie, mit ihm zu spielen?
BRÖNNER Ich habe mal Produktionen mit Hildegard Knef oder Manfred Krug verantwortet, da war es ja ähnlich. Und mein erstes Album habe ich mit Ray Brown gemacht, der damals im Trio von Oscar Peterson Bassist war. Ich gewinne diesen Generationen viel Positives ab.
James hat viele Jahre mit Sarah Vaughan gespielt und auch andere Sänger begleitet. Ist das ein Vorteil, wenn ein Pianist einen Trompeter begleiten muss?
BRÖNNER Ich glaube schon. Am Ende geht sowieso alle Macht vom Klavier aus. Das ist immer meine Beobachtung gewesen. Auch die Kunst des Arrangierens wurzelt stets im Klavier und im Pianisten. Die Streicherarrangements von Bob James für Chet Baker aus den 70ern, die klingen noch immer in meinem Ohr.
Die Platte heißt „On Vacation“, doch wenn sie jetzt erscheint, denkt fast niemand an Urlaub.
BRÖNNER Der Titel entstand weit vor der Corona-Krise. Dann drehte sich der Wind, und wir haben intensiv diskutiert, ob er angesichts der großen Veränderungen noch zu halten ist. Wie man sieht, sind wir der Idee aber treu geblieben, denn wir glauben an die Kraft des Impulses. Und der Wunsch, auch in so belasteten Zeiten wie diesen an etwas Schönes und Ungezwungenes zu denken,
ist ja gerade unvermindert aktuell.
Wenn ich die Platte höre, zaubert sie mir immer etwas Sonnenschein in meine Homeoffice-Kemenate.
BRÖNNER Darüber freue ich mich sehr. Musik soll ja auch Trost, Hoffnung und Kraft spenden. Für mich ist es allerdings ein Unding, dass man auf diese Wichtigkeit von Musik und Kultur überhaupt hinweisen muss. Sie wird ja derzeit offenkundig auch von der Politik als etwas empfunden, was man sich leistet, als sei es Luxus. In Wahrheit ist sie Grundversorgung und Wirtschaftsfaktor höchster Güte.
Wie meinen Sie das?
BRÖNNER Musik ist wie Medizin aus der Apotheke, die man auch nicht einfach schließt. Sie ist Grundbestandteil unseres demokratischen Selbstverständnisses und trägt gerade zu der Besonnenheit bei, an die die Politik momentan ständig appelliert. Gerade jetzt ist es wichtig, dass Menschen Zugang zu Live-Musik behalten, und sei es zu anderen Bedingungen als bisher.
Wie haben sich denn Ihre Tage verändert?
BRÖNNER Ich bin nicht mehr so viel unterwegs. Aber ich mache mir in Corona-Zeiten natürlich auch als Hochschullehrer Gedanken über den Beruf des Jazzmusikers. In den 60er-Jahren hatte Jazz etwas Gesetzesbrecherisches, aber es scheint nicht so, dass man dieser Kunst das heute zutraut. Gerade jetzt müssen wir die Funktion der Kunst aber herausschreien. Und es müssen stärkere Signale von der Politik in Richtung der Kunst kommen. 90 Prozent meiner freiberuflichen Kollegen verstehen die Welt nicht mehr. Das sind alles Menschen, die niemals nach Hilfe vom Staat gefragt haben und jetzt kaltgestellt wurden.
Wie geht es Bob James in diesen Tagen?
BRÖNNER Ihm geht es ähnlich wie mir. Er vermisst das Live-Musizieren unendlich. Vor allen Dingen wäre er neben den Konzerten auch gerne hier gewesen, um mit mir das Album zu komplettieren. Das musste ich nun alleine machen.
Fühlen Sie sich denn trotz stark steigender Fallzahlen in Deutschland gut aufgehoben?
BRÖNNER Ich habe mich in Deutschland immer gut aufgehoben gefühlt, obwohl ich mich eigentlich eher als Europäer bezeichnen würde. Und ich bin auch dankbar dafür, in einem Land zu leben, das diese Krise bislang relativ gut überstanden hat.
Sind Sie eigentlich sehr streng in Sachen Abstand halten, Maske tragen und so weiter?
BRÖNNER Das bin ich natürlich insofern, als ich in Corona-Zeiten mit meinen Lungen keine Experimente anstellen kann. Andererseits darf ich die Trompete ja auch öffentlich gar nicht mehr herausholen, wegen des angeblichen Infektionsrisikos für alle, ein ziemlich würdeloser Zustand. Ich muss immer mit Maske auf die Bühne kommen, und neulich musste ich auch eine über den Schallbecher meiner Trompete ziehen.
Aus unserer Region stammt ein zweiter sehr guter Jazztrompeter, Julian Wasserfuhr aus Hückeswagen. Wie gut kennen Sie ihn?
BRÖNNER Julian ist eine Herzensangelegenheit für mich, seit er klein ist. Und da wir auch beide denselben Lehrer hatten, waren die Querverbindungen geradezu erschreckend angenehm. Nicht nur, weil er da ist, wird mir um den Trompetennachwuchs in Deutschland gar nicht bange. Da kommen immer wieder ganz bemerkenswerte Talente um die Ecke. Man muss denen aber genau sagen, wie sie sich aufstellen müssen, wenn ein Beruf daraus werden soll.