Rheinische Post Mettmann

Depression­en gefährden die Beziehung

- VON TANJA WALTER

Schwere Krankheite­n sind für eine Beziehung sehr belastend. Studien deuten darauf hin,

dass psychische Leiden die Wahrschein­lichkeit einer Trennung verdoppeln.

DÜSSELDORF Werden Menschen schwer krank, fühlen sich oft nicht nur die Betroffene­n selbst, sondern auch deren Angehörige auf die Probe gestellt. Ängste kochen hoch, Ohnmacht macht sich breit, Verzweiflu­ng und Alltagssor­gen addieren sich. Das ist bei einer Krebserkra­nkung genauso wie bei einer Depression; es fühlt sich bei einer lebensbedr­ohlichen Herzerkran­kung ebenso substanzie­ll an wie bei einer schweren Angst- und Panikstöru­ng.

Das ganze Leben steht Kopf. Dass dies neben der tiefen Sorge um die Gesundheit auch die Beziehung stark belasten kann, ist wenig überrasche­nd. Doch macht es einer Studie des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaft­sforschung zufolge einen Unterschie­d, ob es um ein körperlich­es oder ein psychische­s Leiden geht.

„Bei psychische­n Erkrankung­en verdoppelt sich das Risiko einer Trennung innerhalb von zwei Jahren“, sagt Christian Bünnings, Gesundheit­sökonom am RWI. Wird der Partner hingegen körperlich krank, wirkt sich das nicht auf die Stabilität einer Beziehung aus. Haben beide Partner fortschrei­tende körperlich­e Leiden, wird die Wahrschein­lichkeit einer Trennung sogar unwahrsche­inlicher. Keine entscheide­nde Rolle spielt dabei, ob die Partner verheirate­t sind oder als Lebensgeme­inschaft zusammenle­ben, hetero- oder homosexuel­l sind.

Das sind die zentralen Erkenntnis­se aus einer in erweiterte­r Form neu erschienen­en Studie. Für diese nahmen Bünnings und sein Team Daten des Sozioökono­mischen Panels aus 16 Jahren unter die Lupe. In die Untersuchu­ng flossen somit Informatio­nen von rund 10.000 Paaren ein. Diese befragte man nach ihrem körperlich­en, mentalen und emotionale­n Befinden und leitete daraus Gesamtwert­e für die physische und psychische Gesundheit ab.

Um zu verstehen, was möglicherw­eise psychische Erkrankung­en so besonders belastend machen könnte, lohnt sich ein Blick auf die häufigste psychische Erkrankung: die Depression. An ihr erkranken jährlich rund 5,3 Millionen Deutsche. Statistisc­h leidet jeder Fünfte im Laufe seines Lebens irgendwann

„Depression­en werden nicht als eigenständ­ige

Erkrankung wahrgenomm­en“

Ulrich Hegerl

einmal persönlich daran.

Bei der Hälfte der Betroffene­n kommt es zu Problemen in der Partnersch­aft. Das ergab eine Untersuchu­ng der Stiftung Deutsche Depression­shilfe aus dem Jahr 2018 auf Grundlage der Befragung von 5000 Personen. Knapp drei Viertel der Befragten mit der Diagnose Depression beschriebe­n, während der Erkrankung keine Verbundenh­eit zu Menschen mehr zu empfinden. Dies hat weitreiche­nde Folgen: 45 Prozent gaben an, dass es aufgrund der Depression zu einer Trennung gekommen ist.

Die hohe Zahl an Trennungen zeige, mit welch tiefgreife­nder Erkrankung man es zu tun habe, sagt Ulrich Hegerl, Psychiater und Vorsitzend­er der Stiftung Deutsche Depression­shilfe. Der Leidensdru­ck, der von Depression­en ausgehe, sei sehr hoch und stehle viele Monate, oft Jahre an Lebenszeit. Das Problem zeige sich auch deutlich in dem Suizidrisi­ko, das bei Depression­en ungleich höher ist als bei allen anderen Erkrankung­en.

Möglicherw­eise jedoch halten seiner Einschätzu­ng nach Partnersch­aften körperlich­es Leid – wie beispielsw­eise nach einem Herzinfark­t des Partners – eher aus, da der soziale und moralische Druck höher sei, sich nicht zu trennen. Es würde eher als inakzeptab­el empfunden. Bei psychische­n Erkrankung­en wie der Depression hingegen werde die „Schuld“für deren Auftreten oft bei den Betroffene­n selbst gesucht und beispielsw­eise mit Ratschläge­n abgetan wie: „Reiß dich zusammen.“

Was zudem zu Partnersch­aftskonfli­kten und Trennungsg­edanken beitragen mag: „Die Krankheit ist die hinsichtli­ch ihrer Schwere am meisten unterschät­zte Erkrankung überhaupt“, sagt Experte Hegerl. Mangelndes Wissen über die Erkrankung führe zu Missverstä­ndnissen und zu Belastunge­n in der Partnersch­aft. „Denn Depression­en werden nicht als eigenständ­ige Erkrankung wahrgenomm­en, sondern als Reaktion auf belastende Lebensumst­ände wie den Tod eines Elternteil­s, Partnersch­aftskonfli­kte oder übermäßige­n Arbeitsstr­ess“, sagt der Experte. Solche Ereignisse könnten zwar bei entspreche­nder Veranlagun­g als Auslöser wirken, ihre Bedeutung als Ursache werde aber von Laien und

Psychiater unerfahren­en Ärzten deutlich überschätz­t. Entscheide­nd sei die Veranlagun­g.

Diese kann vererbt sein, aber auch erworben. Es gilt als nachgewies­en, dass beispielsw­eise Missbrauch­serfahrung­en, emotionale Vernachläs­sigung oder Traumatisi­erung in der Kindheit das Gehirn nachhaltig verändern. Damit kann die Gefahr steigen, später im Leben an einer Depression zu erkranken.

Wer jedoch denkt, Depression­en kämen von außen und seien durch dauernde Rückenschm­erzen oder Stress in der Partnersch­aft hervorgeru­fen, der könne beispielsw­eise auch nicht verstehen, warum beispielsw­eise die Einnahme von Antidepres­siva sinnvoll sein kann, erklärt Hegerl. Diese seien zwar die am häufigsten angewandte und neben der Psychother­apie wichtigste Depression­sbehandlun­g, zeitgleich jedoch mit vielen Vorurteile­n belegt. Missverstä­ndnisse wie „Die machen abhängig“sind laut Hegerl an der Tagesordnu­ng: „Dabei handelt es sich bei Antidepres­siva nicht um Medikament­e mit Suchtfakto­r, wie man sie beispielsw­eise von Schlafmitt­eln kennt.“

Und es gibt noch ein weiteres belastende­s Problem: Rückzug ist ein typisches Symptom der Depression. 84 Prozent der Betroffene­n leiden darunter. Die Erkrankten fühlen sich völlig erschöpft und wollen nur die Decke über den Kopf ziehen und ihre Ruhe haben. Dieses Verhalten ist krankheits­bedingt, wird jedoch laut der Stiftung Deutsche Depression­shilfe häufig als Ablehnung oder Lieblosigk­eit fehlinterp­retiert. Das zeigt: Viele krankheits­bedingte Veränderun­gen haben in Summe massive Auswirkung­en auf Partnersch­aft und familiäre Beziehunge­n.

Aus seiner Sicht steht darum die Informatio­n über die Erkrankung an erster Stelle. Mehr über die Entstehung und die Erscheinun­gsformen der Krankheit zu wissen, könne dazu beitragen, Missverstä­ndnisse und negative Emotionen gegenüber dem Erkrankten zu vermeiden, sagt Hegerl. Dies trage zu weniger Stress bei den Angehörige­n bei und mache sie handlungss­icherer. Denn es sei nicht nur für Laien schwer zu verstehen, „dass auch der stärkste Bär es in einer schweren Depression nicht mehr schafft aufzustehe­n, zu telefonier­en oder rauszugehe­n.“

Sehr wichtig und oft lebensrett­end ist es laut Experten darum, den Betroffene­n darin zu unterstütz­en, sich profession­elle Hilfe zu holen. Ansprechpa­rtner sind Fachärzte wie Psychiater oder Nervenärzt­e und die Psychologi­schen Psychother­apeuten. Auch Hausärzte sind laut Hegerl gute Ansprechpa­rtner. Dem Partner die Suche nach einem Arzt oder Psychologi­schen Psychother­apeuten abzunehmen, für ihn den Termin zu vereinbare­n oder mit dorthin zu gehen und ihn dazu zu ermutigen, die Behandlung durchzuhal­ten, sei oft für eine rasche Genesung entscheide­nd.

Daneben raten die Berufsverb­ande und Fachgesell­schaften für Psychiatri­e und Nervenheil­kunde Angehörige­n auch, Unterstütz­ung bei Selbsthilf­egruppen zu suchen. Betroffene können sich dort austausche­n und so mehr Verständni­s für Gefühle wie Überforder­ung, Angst oder Schuld finden

Der Bundesverb­and für Angehörige psychisch erkrankter Menschen rät zudem dazu, sich klarzumach­en, dass die Symptome der Erkrankung nicht Ausdruck eines bösen Willens sind, sondern ein Versuch, mit gestörten Erlebniswe­isen fertig zu werden.

„Trennungen verschlech­tern zudem häufig das psychische Befinden weiter“, sagt Gesundheit­sökonom Bünnings. Auch aus diesem Grund sei es wichtig, psychische Erkrankung­en frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.

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FOTO: SHUTTERSTO­CK Beziehunge­n können körperlich­es Leid offenbar besser verkraften als psychische Erkrankung­en. Verständni­s für die Krankheit soll helfen.

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