Rheinische Post Mettmann

Virologen uneins über Zweit-Infektione­n

Die Fälle, dass sich ein Mensch erneut mit dem Coronaviru­s infiziert, häufen sich. Auch ein Mann aus Schwalmtal ist betroffen.

- VON WOLFRAM GOERTZ

SCHWALMTAL Markus Wallrafen (59) aus Schwalmtal ist ein prächtiger Geiger, er spielt in der Neuen Philharmon­ie Westfalen. Seit einigen Tagen gilt er auch als medizinisc­he Rarität, denn er ist zum zweiten Mal an dem neuartigen Coronaviru­s SarsCoV-2 erkrankt. Von solchen Fällen hörte man immer mal wieder, sie wurden als erlesene Fundstücke durch die medizinisc­he Fachwelt gereicht.

Möglicherw­eise sind es aber doch gar nicht so wenige Fälle, denn sie häufen sich. Was bedeutet das generell für die Immunität nach einer Infektion? Könnte es die von manchem ersehnte Herdenimmu­nität überhaupt geben? Und wäre ein Mensch während einer neuerliche­n Infektion abermals ansteckend?

Für Ralf Bartenschl­ager, den Chef-Virologen an der Universitä­t Heidelberg, ist eine erneute Ansteckung mit Sars-CoV-2 nicht überrasche­nd. Schließlic­h kenne man es bereits von den saisonalen Coronavire­n, dass sich Patienten immer wieder infizieren und keine dauerhafte Immunität besitzen, sagt er. „Die saisonalen Coronavire­n sind stabil in der Bevölkerun­g“, so der Experte in der „Tagesschau“. 15 Prozent aller Erkältungs­krankheite­n würden jeden Winter durch sie verursacht, und man wisse, dass sie nur eine schwache Immunantwo­rt auslösen. Das heißt, dass die Antikörper bereits nach wenigen Monaten abnehmen. Erneute Infektione­n mit saisonalen Coronavire­n seien üblich.

Für die getestete Person ist der Abstrich tief im Rachen und in der Nase eine unangenehm­e

Erfahrung.

Die Frage ist, wie schwer jemand erkrankt, wenn er sich ein zweites Mal infiziert. Wallrafen berichtete von zwei relativ schweren Verläufen mit deutlichen Krankheits­symptomen, einer im August, der zweite nun im Oktober. Beide Male hatte er zwar keine Lungenentz­ündung, aber fühlte sich schlapp, hatte Husten und Kopfschmer­zen. Beim zweiten Mal verlor er auch seinen Geruchssin­n. Zwischenze­itlich war er allerdings zwei Mal negativ getestet worden.

Experten halten es aber für denkbar, dass es sich in Ausnahmefä­llen um ein und dieselbe Infektion handeln könne, dass also Virusreste sich im Körper eingeniste­t hätten und dann wieder aufgeflamm­t seien – und dass die Zwischente­sts vielleicht nicht ganz gründlich durchgefüh­rt wurden. Jeder korrekt durchgefüh­rte Abstrich ist ja für den Getesteten eher unschön, vor allem wenn er tief in Nase und Hals geht.

Gleichwohl dürften die meisten Menschen, die eine Covid-19-Erkrankung

überstande­n haben, für eine gewisse Zeit vor einer erneuten Erkrankung geschützt sein. „Da bin ich sehr zuversicht­lich“, sagte der Virologe Christian Drosten von der Charité in seinem NDR-Podcast. Im Ausnahmefa­ll, sagt auch er, könne es bei erneutem Kontakt mit dem Virus zu einer neuerliche­n, oberflächl­ichen Infektion kommen, „eine schwere Lungenentz­ündung dürfte daraus aber nicht werden“. Und nicht minder wichtig: „Aufgrund der geringeren Viruskonze­ntration

in solchen Fällen sollten daraus auch keine Infektions­ketten mehr entstehen.“

Die Fälle von neuerliche­n Infektione­n nannte Drosten im Gegensatz zu Bartenschl­ager „Raritäten“. Sie würden wahrschein­lich epidemiolo­gisch nicht ins Gewicht fallen. Wissenscha­ftler würden von solchen Fällen in Mitteilung­en berichten, Medien das aufgreifen und zahlreiche Fragen daraus ableiten, etwa hinsichtli­ch der Immunität oder der Wirksamkei­t von Impfstoffe­n. „Das

beschreibt nicht die medizinisc­he Realität und den Normalfall.“

Dass Coronavire­n nicht verschwind­en, sondern endemisch werden und immer wieder neue Infektione­n hervorrufe­n können, haben vor einigen Wochen Forscher der Universitä­t Amsterdam in einer Studie veröffentl­icht. Sie hatten zehn Menschen bis zu dreißig Jahre lang immer wieder auf saisonale Coronavire­n untersucht. Alle Probanden hatten sich mehrfach mit einem der vier saisonalen Erkältungs-Coronavire­n infiziert, und zwar auch mehrfach mit demselben Virus oder leichten Varianten davon.

Von Statistike­n hält Wallrafen nicht viel. Er habe sich massiv krank gefühlt und weiß nicht, wann er wieder ganz der Alte ist. Seine Einschätzu­ng des Virus: „Corona hat mir den Stecker gezogen.“

 ?? FOTO: GETTY IMAGES/
ISTOCK ??
FOTO: GETTY IMAGES/ ISTOCK

Newspapers in German

Newspapers from Germany