Rheinische Post Mettmann

„Die neuen Schutzvero­rdnungen sind nun der Todesstoß“

Das Protokoll

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Fassungslo­sigkeit macht sich bei dem Kabarettis­ten Frank Küster breit. Seiner Einschätzu­ng nach treiben die neuen Maßnahmen die Theater in den Ruin.

DÜSSELDORF Ich mache seit 34 Jahren Kabarett, teils auftretend, teils schreibend. Seit beinahe 22 Jahren veranstalt­e ich im Brauhaus Uerige die Rückblicks­how „Reiner Tisch“. Das ist immer am ersten Montag im Monat, und die Idee ist, kabarettis­tisch, humorvoll und geistreich mit dem Vormonat abzurechne­n. Im März fand der letzte Abend im Uerige statt, wegen des Shutdowns zog ich mich dann ab April zurück in meine Dachkammer und nahm eine 30-Minuten-Show auf, die immer noch auf Youtube zu sehen ist.

Im September ging ich auf die Rennbahn, die Fans sind treu, 150 kamen – überhaupt glaube ich, dass den Open-Air-Veranstalt­ungen die Zukunft gehören wird, Corona bewirkte diesen Paradigmen­wechsel. Für den Oktober wollte ich sichergehe­n, dass mein Publikum nicht nass wird, und so trat ich unter dem Dach der Tribüne im BV04-Düsseldorf­er-Stadions auf. Die kommende Veranstalt­ung musste ich absagen, weil ich nach neuer Corona-Schutzvero­rdnung vor nur 21 Leuten auftreten könnte, und das rechnet sich einfach nicht. Ich bin gerade damit beschäftig­t, das Geld für die Tickets zurückzuza­hlen. Die neue Verordnung mit dem Zusatz ist nun der Todesstoß, da jetzt auch mit Maske unter freiem Himmel ein Abstand von 1,5 Meter gefordert wird.

Der „Reine Tisch“ist nicht meine Haupteinna­hmequelle, aber aus der Veranstalt­ung resultiere­n Auftritte auf Galas oder auf Firmenfeie­rn, die fallen auch alle weg. Ich sehe auch keinen Silberstre­if am Horizont – bis Mitte kommenden Jahres wird es wohl so bleiben. Mein Geschäft ist kaputt, von der Landesregi­erung gibt es das Hilfsprogr­amm Plus mit 1000 Euro Soforthilf­e im Moment, das ich glückliche­rweise nicht zurückzahl­en muss.

Am Freitagmor­gen vor einer Woche gab es im Tanzhaus NRW ein Treffen der Düsseldorf­er Bühnenbetr­eiber von Opernhaus bis Theaterkan­tine, von Schauspiel­haus bis Theater Flin, von Capitol bis Theater Takelgarn, von Kommödchen bis zu meiner Wenigkeit. Gut 30 Leute, alle namentlich registrier­t, alle mit desinfizie­rten Händen, alle im Abstand von 1,5 Metern sitzend, alle mit

Atemmaske. Sie ließen sich sich vom Kulturdeze­rnenten Hans-Georg Lohe in die Feinheiten der neuesten Auflage der Corona-Schutzvero­rdnung einführen. Wenn das Mikrofon weitergere­icht wurde, durchlief es zunächst einen Desinfekti­onsprozess. Alle anwesenden Theaterlei­ter bestätigte­n: Es hat in all der Zeit seit Wiederaufn­ahme des Spielbetri­ebs nicht eine einzige Nachfrage vom Gesundheit­samt bezüglich der Corona-Rückverfol­gung gegeben. Das Infektions­geschehen in bundesdeut­schen Theatern liegt nachweisli­ch bei Null. Zeitgleich war durch die Fenster zu beobachten, wie ein Gerüst aufgebaut wurde. Sechs Arbeiter, keiner trug eine Maske, jeder atmete den nächsten angestreng­t an.

Aus diversen Wohnungen ist abends Stimmengew­irr zu vernehmen, das auf viele dicht gedrängte Menschen schließen lässt. Und wo ist das Ordnungsam­t? Nicht zu sehen. Es könnte so viel unternehme­n im Kampf gegen Corona. Oder stehen seine Mitarbeite­r vor allem mit der Stoppuhr vor Kneipen und beobachten, ob auch wirklich alle Gäste, die namentlich registrier­t sind, beim Rausgehen ihre Masken tragen?

An Hotspots treffen sich seit Monaten abends Hunderte junge, maskenlose Menschen und leeren Flaschen hochprozen­tigen Inhalts, lassen laute Musik laufen und grölen sich dabei an. Sie tanzen und liegen sich in den Armen. Und es gibt sicherlich noch ähnliche Treffpunkt­e in der Stadt und sicherlich auch in anderen Städten. Wenn ich in den Supermarkt gehe, stehen da zig Einkaufswa­gen bereit – die werden nicht mehr desinfizie­rt, und die Frage ist nur, welche Viren ich darauf finde. Und da will jemand allen Ernstes das Infektions­geschehen dadurch in den Griff bekommen, dass er Theater bis zum Ruin reglementi­ert?

Ich will, dass Corona schnellstm­öglich gestoppt wird, aber mit den Maßnahmen, die ergriffen werden, rennen wir sehenden Auges in den Untergang. Natürlich steigen die Zahlen, aber doch nicht, weil man den Theaterbet­rieb so drastisch reduziert, sondern weil alles andere schief läuft. Im Bus, im Supermarkt, im Altenheim, überall sehe ich gerade auch ältere Herrschaft­en, die konsequent die Nase aus dem Mund-Nasen-Schutz heraushäng­en haben.

Nun müssen viele Theater schließen, weil sie mit den zugelassen­en Zuschauerz­ahlen noch nicht einmal mehr die Heizkosten finanziere­n können. Altstadt-Kneipen, die um 23 Uhr schließen müssen, brauchen eigentlich auch gar nicht mehr zu öffnen. Die frühe Sperrstund­e drängt jetzt noch mehr Menschen ins Private ab. Und auch die Menschen, die nicht mehr in die Theater gehen können, werden sich intensiver privat treffen.

Fassungslo­sigkeit macht sich bei mir breit. Die verschärft­en Regelungen gegen Theater sind so, als wolle man den CO2-Ausstoß im Straßenver­kehr dadurch reduzieren, dass man die Zahl der Radfahrer halbiert.

RP-Redakteuri­n Brigitte Pavetic fasste die Gedanken von Kabarettis­t Frank Küster zusammen.

 ?? RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER ?? Unter dem Dach der Tribüne des BV04 Düsseldorf trat Frank Küster bereits auf, die nächste Veranstalt­ung dort musste er absagen.
RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Unter dem Dach der Tribüne des BV04 Düsseldorf trat Frank Küster bereits auf, die nächste Veranstalt­ung dort musste er absagen.

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