Rheinische Post Mettmann

Trumps Verspreche­n auf Lebenszeit

Die Bestätigun­g und Vereidigun­g der Verfassung­srichterin Amy Coney Barrett wurde im Schnellver­fahren durchgezog­en. Für den US-Präsidente­n ist das ein Triumph, mit dem er evangelika­le Anhänger auf der Zielgerade­n des Wahlkampfs mobilisier­en will.

- VON FRANK HERRMANN

Wieder steht Donald Trump auf dem hell erleuchtet­en Balkon des Weißen Hauses, wie schon vor drei Wochen, nach seiner Rückkehr aus dem Krankenhau­s. Wieder lässt er sich feiern, diesmal mit der frisch gekürten Verfassung­srichterin Amy Coney Barrett an seiner Seite. Der Präsident hatte auf Eile gedrungen. Nur eine Stunde nach ihrer Bestätigun­g durch den Senat ließ er die Juristin auf dem Südrasen seiner Residenz den vorgeschri­ebenen Eid auf die Verfassung ablegen.

Der Jurist Clarence Thomas, der die Formel vorspricht, ist der einzige Afroamerik­aner in der Neunerrund­e der Höchstrich­ter. Auch davon verspricht sich Trump ein Stück Wahlkampfs­ymbolik, als Entgegnung an alle, die ihn für einen Rassisten halten. Dann geht es hinauf zum Balkon. Feierliche Musik. Prasselnde­r Applaus, von unten, wo Dutzende geladene Gäste versammelt sind. Aus den Bildern der Zeremonie lässt der Amtsinhabe­r sofort einen Werbefilm drehen, einen melodramat­ischen Streifen, den er noch in der Nacht via Twitter verbreitet.

„Verspreche­n gegeben! Verspreche­n gehalten!“lautet ein Slogan, den seine Kampagne fast so oft bemüht wie das „Make America Great

Again“. Nun ist es bereits das dritte Mal in vier Amtsjahren, dass er entscheide­t, wer eine vakante Stelle am Obersten Gerichtsho­f besetzt. Kaum einer seiner Vorgänger konnte in so kurzer Zeit so viele Höchstrich­ter benennen. Trump, darf man annehmen, wird sich in der verbleiben­den Woche bis zum Votum in lautesten Tönen seiner Bilanz rühmen, seines erfüllten Verspreche­ns. Damit will er evangelika­le Christen erneut mobilisier­en, eine Wählergrup­pe, die 2016 zu 80 Prozent für ihn gestimmt hatte. Dass mit Barrett eine tiefreligi­öse Richterin in den Supreme Court einzieht, übertrifft in deren Augen alles, was der Präsident bisher in ihrem Sinne getan hat.

Barrett, Mutter von sieben Kindern, darunter zwei aus Haiti adoptierte­n, ist erst die fünfte Frau in der 231-jährigen Geschichte des Verfassung­sgerichts. Inhaltlich steht die Katholikin für das komplette Kontrastpr­ogramm zu Ruth Bader Ginsburg, ihrer im September verstorben­en Vorgängeri­n, die das liberale Amerika wie eine Ikone verehrt. Ginsburg ließ sich von dem Grundsatz leiten, dass Paragrafen dem Sinn und nicht dem Buchstaben nach auszulegen sind. Gesellscha­ftlicher Wandel, mahnte sie, müsse sich auch in der Rechtsprec­hung

widerspieg­eln. Barrett dagegen gehört zur Schule der Originalis­ten, die wortwörtli­ch nimmt, was die Gründer der Republik im 18. Jahrhunder­t zu Papier brachten.

In der juristisch­en Praxis bedeutet es, verbunden mit ihren religiösen Überzeugun­gen, dass sie sowohl den 1973 legalisier­ten Schwangers­chaftsabbr­üchen als auch der seit 2015 geltenden Gleichstel­lung der Homo-Ehe skeptisch gegenübers­teht. Eine nunmehr eindeutig konservati­ve Richtermeh­rheit (6:3) könnte demnächst also bahnbreche­nde Urteile aus der Vergangenh­eit kippen. Die 48-Jährige kann, falls sie das Alter Ginsburgs erreicht, noch etwa vier Dekaden in höchster Instanz Recht sprechen.

Gerade weil Höchstrich­ter auf Lebenszeit ernannt werden, hatten die Demokraten darauf gedrungen, mit der Entscheidu­ng bis nach der Präsidents­chaftswahl zu warten. Nur der Sieger des Votums, argumentie­rten sie, dürfe eine derart folgenschw­ere Weichenste­llung vornehmen. Alles andere laufe auf eine Entmündigu­ng der Wähler hinaus. Das amerikanis­che Volk werde einen so „krassen Fall von Böswilligk­eit“nie vergessen, wetterte Charles Schumer, Fraktionsc­hef der Opposition, unmittelba­r vor der Abstimmung im Senat. Der 26. Oktober 2020 werde als einer der dunkelsten Tage in die Annalen des Senats eingehen. Mitch McConnell, die Nummer eins der Republikan­er in der Kammer, ließ sich nicht davon abbringen, Barrett in einem vierwöchig­en Schnellver­fahren durchzuset­zen. Sein Tenor: „Wir haben die nötigen Stimmen, wir ziehen das durch. Die andere Seite hätte es genauso gemacht.“

Die 53 republikan­ischen Senatoren gaben der Richterin tatsächlic­h fast geschlosse­n ihren Segen. Einzig Susan Collins, eine gemäßigte Konservati­ve aus Maine, scherte aus der Phalanx aus, weil sie nächste Woche in dem eher liberalen Neuengland-Staat wiedergewä­hlt werden möchte. Die 47 Demokraten stimmten ohne Ausnahme gegen Barrett, was einmal mehr illustrier­t, wie verhärtet die politische­n Fronten inzwischen sind. Ginsburg war 1993 noch nahezu einmütig, mit 96-fachem Ja, bestätigt worden.

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FOTO: ALEX BRANDON/AP Trump und Coney Barrett auf einem Balkon des Weißen Hauses, kurz nachdem sie als Richterin des Obersten Gerichtsho­fs bestätigt wurde.
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