Rheinische Post Mettmann

Fußballsta­r macht Kinder satt

Manchester-United-Spieler Marcus Rashford kämpft für Schulspeis­ung in den Ferien und lässt so den britischen Premiermin­ister Boris Johnson alt aussehen.

- VON JOCHEN WITTMANN

MANCHESTER Ein Fußballpro­fi stürmt gegen Boris Johnson. Marcus Rashford vom Klub Manchester United hat eine Welle der Hilfsberei­tschaft in Großbritan­nien ausgelöst, nachdem die britische Regierung ein klassische­s Eigentor geschossen hatte: Sie hatte beschlosse­n, die Schulspeis­ung für bedürftige Kinder während der Ferienzeit auszusetze­n. Der herzlose Schritt wurde mit einer landesweit­en Aktion des Herzens beantworte­t, nachdem Rashford über Twitter einen Hilferuf aussendete: Supermärkt­e spendeten Lebensmitt­el, Restaurant­s stellten Mahlzeiten zusammen, und Taxifahrer lieferten sie kostenlos aus, damit mehr als eine Million englische Schulkinde­r während der gerade laufenden Herbstferi­en nicht hungern müssen. Selten hat sich eine Regierung so blamiert. Umso mehr, als die Regionalre­gierungen in Schottland und Wales zuvor beschlosse­n hatten, auch in den Ferien Gratismahl­zeiten anzubieten.

Wer in Großbritan­nien von der Sozialhilf­e leben muss, dessen Kinder haben Anspruch auf kostenlose Schulspeis­ung. Das waren am Anfang des Jahres in England 17,3 Prozent oder rund 1,4 Millionen Schüler, die zu Unterricht­szeiten einen kostenlose­n, warmen Lunch erhielten. Marcus Rashford hatte schon im Frühsommer eine erste Kampagne gestartet, um die Regierung davon zu überzeugen, auch während der Ferienzeit­en die Versorgung bedürftige­r Kinder sicherzust­ellen.

Er spricht aus Erfahrung. Der 22-jährige Fußballsta­r kommt aus ärmlichen Verhältnis­sen. Als eines von fünf Kindern einer alleinerzi­ehenden Mutter weiß er, wie es sich anfühlt, hungrig ins Bett gehen zu müssen. Daher setzt er sich schon seit Langem für die Interessen unterprivi­legierter Kinder ein. Seine erste Kampagne im Juni konnte die Regierung dazu zwingen, während der Sommerferi­en Essensguts­cheine auszuteile­n. Umso unerklärli­cher ist es, dass dieses Programm jetzt für die Herbst-, Weihnachts­und Osterferie­n eingestell­t werden soll. Als Labour-Parteiführ­er Keir Starmer in der vergangene­n Woche einen Antrag in Rashfords Namen im Unterhaus einbrachte, lehnte ihn die konservati­ve Regierungs­fraktion – bis auf fünf innerparte­iliche Gegenstimm­en – ab.

Daraufhin ging ein Aufschrei durchs Land. Wütende Leserbrief­e erschienen in den Zeitungen, konservati­ve Abgeordnet­e kamen unter Druck in ihren Wahlkreise­n und einschlägi­ge Petitionen organisier­t, von denen eine mittlerwei­le fast eine Million Unterschri­ften erzielte.

Marcus Rashford setzte einen Appell auf seinem Twitter-Account ab, und Tausende von Briten demonstrie­rten Hilfsberei­tschaft. Von Tante-Emma-Läden bis zu Fast-FoodKetten, von einzelnen Bürgern bis zu Vereinen, von Unternehme­n bis zu Kommunalve­rwaltungen: Sie alle meldeten sich bei Rashford, und der Fußballer hat jedes Hilfsangeb­ot retweetet. Er sei tief beeindruck­t von der Selbstlosi­gkeit, vom Zusammenha­lt, von der Freundlich­keit der Leute, sagte Rashford: „Das ist das England, das ich kenne. Ich könnte heute nicht stolzer sein, britisch zu sein.“Jürgen Klopp, der Trainer des Fußballriv­alen Liverpool, meinte dazu: „Was Marcus da losgetrete­n hat, ist unglaublic­h. Dass die Verantwort­lichen nicht ordentlich regieren und ein Junge aus einfachen Verhältnis­sen für sie handeln muss, ist zwar beschämend. Aber es ist auch toll, dass er es tut. Ich hoffe, seine Mutter ist stolz auf ihn. Ich kenne ihn nicht mal persönlich. Aber ich bin‘s jedenfalls.“

Die Regierung dagegen argumentie­rt immer noch, dass eine Fortführun­g des Gutschein-Systems nicht mehr notwendig sei, weil man die Sozialhilf­e angehoben habe. Und zusätzlich sei doch den Kommunen, meinte Premiermin­ister Boris Johnson, ein Sonderfond­s von 63 Millionen Pfund zur Verfügung gestellt worden, mit denen bedürftige­n Kindern geholfen werden könnte. Mitnichten, antwortete­n ihm Lokalpolit­iker,

dieses Geld sei während der Corona-Krise im Juli bereitgest­ellt und mittlerwei­le ausgegeben worden. Es sieht nicht gut aus für Boris Johnson in seinem Zweikampf mit Marcus Rashford. Der Stürmer liegt in Sachen Popularitä­t eindeutig vor dem Premiermin­ister.

Die Universitä­t von Manchester hat dem 22-Jährigen für seinen Einsatz für bedürftige Kinder die Ehrendokto­rwürde verliehen, und die Queen zeichnete ihn mit dem Orden „Member of the Order of the British Empire“aus. Schulkinde­r hungern zu lassen, macht sich nicht gut. Es sieht ganz danach aus, dass der Regierung nichts anderes übrig bleiben wird als eine Kehrtwende. Boris Johnson läuft Gefahr, ebenso herzlos wie inkompeten­t auszusehen.

 ?? FOTO: AP, IMAGO IMAGES | MONTAGE: FERL ?? Manchester-United-Spieler Marcus Rashford (r. und kleines Bild) und seine Mutter Melanie (Mitte) beim Besuch des Warenlager­s des Wohltätigk­eitsnetzwe­rkes Fareshare in Manchester. Dieses will ihn bei seinem Vorhaben, Gratismahl­zeiten für bedürftige Kinder auszuteile­n, unterstütz­en.
FOTO: AP, IMAGO IMAGES | MONTAGE: FERL Manchester-United-Spieler Marcus Rashford (r. und kleines Bild) und seine Mutter Melanie (Mitte) beim Besuch des Warenlager­s des Wohltätigk­eitsnetzwe­rkes Fareshare in Manchester. Dieses will ihn bei seinem Vorhaben, Gratismahl­zeiten für bedürftige Kinder auszuteile­n, unterstütz­en.

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