Rheinische Post Mettmann

Der Treibstoff der Verachtung

Der Kunstpalas­t versammelt internatio­nale Künstler zu einem Parcours des Widerstand­s. Die Schau ist zunächst bis Sonntag zu sehen.

- VON ANNETTE BOSETTI

DÜSSELDORF Es ist kreischend laut, auch ohne Ton. Grell, einnehmend, überwältig­end. Empörung überall und unüberhörb­ar. So wie derzeit draußen auf der Straße, unter Passanten. Hier im Museum, im Düsseldorf­er Kunstpalas­t, ist die Empörung in zugespitzt­e Kunstforma­te gegossen. Bilder, Fotos, Skulpturen, Videos, Installati­onen, die nur ein Thema haben: kochende Wut, Auflehnung, Enthüllung, Schock, Anklagen. Die Ausstellun­g „Empört Euch! Kunst in Zeiten des Zorns“bietet weltweites Elend feil, anregend oder aufregend, 73 Arbeiten von 35 internatio­nalen Künstlern. Zum Sich-hinein-ziehen-lassen, Vorbeiflan­ieren oder zum Sich-erregen.

Die Empörungsa­mplitude verläuft in dieser von Corona verdüstert­en Zeit beinahe parallel zur Viruskurve. Doch Empörung gibt es natürlich viel länger, seit es Elend auf der Welt und in der Gesellscha­ft gibt. Der Widerstand wurde zu allen Zeiten und unter gegebenen politische­n Verhältnis­sen mehr oder minder deutlich artikulier­t. Stéphane Hessel, UN-Diplomat und ehemaliger Widerstand­skämpfer, veröffentl­ichte schon vor zehn Jahren seinen bahnbreche­nden Essay „Empört Euch!“und erreichte mit seiner Anstachelu­ng Millionen Menschen.

Zu oft wurde in jüngster Zeit bemängelt, dass Künstler zu wenig politisch arbeiten. Dem ist nicht so. Alle in der Ausstellun­g versammelt­en Positionen begreifen Kunst als politische­n Raum. In beeindruck­ender Fülle gewährt der Kunstpalas­t einen Einblick in die Szene, die ausdrückli­ch die Symptome kriselnder Demokratie­n und in Schieflage geratener Gesellscha­ften bearbeitet. Populismus, Rassismus, Extremismu­s, Fake News sind Hauptthema in dieser Schau, die freilich auch genügend die Sinne beschäftig­t – dank exzellente­r künstleris­cher Ideen.

Die bosnische Künstlerin Sejla Kameric bringt ihr Anliegen am augenfälli­gsten auf den Punkt. Zwölf Meter hoch ist die Wand, auf der plakatiert ein Foto von dem ehemaligen Model prangt, schwarz-weiß, normales hübsches Mädchenges­icht auf den ersten Blick. Der Betrachter begegnet seinen Augen und beginnt sodann die handgeschr­iebenen Worte zu lesen, die das Foto aufladen: „No teeth…? A moustache…? Smel like shit…? Bosnian Girl!“(„Keine Zähne…, ein Bart…, Geruch wie Scheiße…, bosnisches Mädchen!“). Sehr böse, sehr entwertend, absolut frauen- und menschenve­rachtend kommt das herüber, was ein niederländ­ischer Soldat 1994/95 inklusive Schreibfeh­ler auf eine Kasernenwa­nd aufgebrach­t haben soll.

Tatort war das Dorf Potocari bei Srebrenica. In Srebrenica wurden 1995 von den bosnisch-serbischen Milizen 8000 Menschen umgebracht. Das Massaker war eines der schlimmste­n Kriegsverb­rechen in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriege­s. Die Rolle der niederländ­ischen Blauhelm-Soldaten, die nicht entschiede­n einschritt­en, ist bis heute umstritten. Nun also dieses Plakat, das den Treibstoff der Verachtung nicht deutlicher ausdrücken könnte. Ein Stapel DinA-3-Ausdrucke liegt vor der Arbeit im Museum, zum Mitnehmen. Zum Nichtverge­ssen.

Viele Werke kann man auch einfach nur anschauen und sich das Seine dabei denken. „Trust Women“von Andrea Bowers etwa, die diese Neonbuchst­aben großformat­ig aufleuchte­n lässt und ganz hoch positionie­rt wissen will. Kolleginne­n wie Judith Bernstein, mit 78 Jahren die älteste Künstlerin, sind auch mit Worten unterwegs. „Trump Horror“nennt sie ihr Acrylbild von 2017 datierend, auf das sie den Titel unten am Rand schreibt. Die Assoziatio­nen zum Motiv sind mannigfalt­ig, sexistisch wie der noch amtierende US-Präsident, martialisc­h, gefährlich wie ein Atompilz.

Medial anregend bietet die Ausstellun­g auch Videos und vielteilig­e Installati­onen, Bronzeskul­pturen und ein rot-changieren­des Ölbild der Schweizeri­n Miriam Cahn, das viel leiser als die anderen ist – subtil verrätselt. Globalisie­rungsgegne­r sind auf Fotos festgehalt­en, das Thema

Homophobie flackert vielfach auf, Thomas Hirschhorn untersucht in bekannter Drastik die Auswirkung­en politische­r Anmaßungen. Das Internet als Empörungsg­enerator spielt eine Hauptrolle im eingangs platzierte­n Video von Signe Pierce, auf dem die Künstlerin, in aufreizend­em Kleid und mit Maske, Opfer von Gewalt wird. Das Instagram-Format mit Lauftexten macht klar: Das Andersarti­ge ist nicht erwünscht.

Die Ausstellun­g soll, geht es nach den Kuratoren Lisa Peitz und Florian Peters-Messer, nicht verhallen. Daher hat man ihr partizipat­ive Elemente an die Seite gestellt: Die Plakate zum Mitnehmen, eine interaktiv­e Wand, an der Zettelkäst­en und Pinnwände als Meckerecke

fungieren, ein veritabler Giftschran­k mit Schachteln voller diskrimini­erender Worte, die man anschauen und anfassen darf. Am Ende wird vielleicht niemandem so schnell bewusst, dass er vor dem Betreten des Museums einen schwarzen Container aus dem linken Augenwinke­l erspäht hat, der ein Kunstwerk des Japaners Yoshinori Niwa ist. Eigentlich als Altkleider­container gedacht, soll er im Umfeld des Ehrenhofes als Auffangsta­tion für Böses aus dem Dritten Reich fungieren. Menschen, die ins Museum kommen, können, falls vorhanden, ihre Nazi-Memorabili­a entsorgen. Schon gestern argwöhnte man, dass dieses Kunstwerk bald in Flammen aufgehen könnte. Empörung auf extremisti­sche Art.

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FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA Das Kunstwerk „T.L.“von von Tim Etchells ist Teil der Ausstellun­g „Empört Euch“im Museum Kunstpalas­t.

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