Klassenkampf in der Aristokratenküche
Das Personal begehrt auf: Mieczyslaw Weinbergs Musiktheaterwerk „Masel Tov! Wir gratulieren!“hatte Premiere in der Rheinoper.
DÜSSELDORF Bevor jetzt wieder für einen Monat alle Türen schließen und sich kein einziger Vorhang mehr öffnet, schnell noch einmal in die Oper, noch dazu aus einem schönen Anlass. In Düsseldorf gibt es ein Werk, das kein Mensch kennt, das grandios schöne Momente hat und das von einem Komponisten stammt, der mit einem anderen Stück berühmt wurde. Vor einigen Jahren fand die Oper „Die Passagierin“des jüdisch-polnischen Komponisten Mieczyslaw Weinberg (1919– 1996) den Weg in die Welt, und die Geschichte der KZ-Aufseherin, die an Bord eines Passagierschiffs eine ehemalige Gefangene wiederzuerkennen glaubt, rührte bei den Bregenzer Festspielen alle Zuschauer bis ans Herz.
Jetzt lernen wir Weinberg in der Düsseldorfer Rheinoper von einer anderen Seite kennen: von seiner humoristischen und ironischen. Ähnlich wie sein Freund und Förderer, der russische Komponist Dmitri Schostakowitsch, webt er in seiner Oper „Masel Tov! Wir gratulieren!“satirische Elemente ein, Persiflage und Slapstick, er zitiert alle möglichen Stile und Tanzformen, wehmütig lugt eine Klezmer-Melodie um die Ecke, Jiddisches feiert fröhliche Urstände, und wer Schostakowitschs Symphonien kennt, wird hier, bei Weinberg, einem Geistesverwandten begegnen. Hier pfeift es grell, dort schäkert es lyrisch.
Und worum geht es? Um eine heiter-amouröse Begebenheit unter den Dienstboten einer jüdischen Dame im Odessa des Jahres 1899, die oben, in der Beletage des hochherrschaftlichen Anwesens, eine Feier ausrichtet, während das Personal im Keller werkelt. Dort gibt es Avancen, Annäherungen, Anträge. Und es geht nebenbei auch um eine Liebeserklärung an den jüdischen Autor Scholem Alejchem, den Schöpfer der „Anatevka“-Geschichte, der mit seinem Theaterstück „Masel Tov!“die Vorlage für Weinbergs Oper lieferte.
Philipp Westerbarkei hat das ebenso liebevoll wie pfiffig inszeniert. Selbstverständlich lässt der
Regisseur durchscheinen, dass Weinberg im sozialistischen Russland einige stalintreue Aspekte einmontieren musste, um als Jude keinen Anfeindungen ausgesetzt zu sein. Aber das sind gleichsam folkloristische Miniaturen. Nicht verhindern kann Westerbarkei, dass die Längen und dramaturgischen Ungeschicklichkeiten des Werks auffallen. Der Beginn als einsamer Monolog der Köchin Bejlja zieht sich ziemlich in die Länge, bis auf dem Fahrrad der Bücherwurm Reb Alter erscheint, mit dem Bejlja eine anfangs etwas unklare emotionale Verbindung führt. Dann kommt Chaim, Diener aus dem Nachbarhaus, der sich zu Fradl, dem Dienstmädchen, hingezogen fühlt.
In dieser Küche brodelt auch die Wut. Alle eint der Verdruss über das anmaßende aristokratische Gebaren der Madame. Einmal wirft – damit wir ahnen, wie die Lage steht und wohin sie sich entwickeln wird – der scheinbar dezente Reb Alter ein paar vorrevolutionäre Papiere mit Hammer-und-Sichel-Motiv in die Luft. Der sich anbahnende Klassenkampf führt am Ende zu der gesungenen Formel: „Ob wir arm sind oder reich / Ehr’ gebühret allen gleich.“
Diesen Schluss gestaltet Westerbarkeit im geräumigen Küchen-Ambiente von Heike Scheele mit zugespitzter, im Textbuch so nicht vorgesehener Schärfe und Erbarmungslosigkeit: Das Menü, das eilig für die Dame bereitet wurde, die schimpfend im Keller erschien, enthält offenbar ein schnell wirksames Gift. Angesichts der Mäuse und Ratten, die in diesem Keller hausen, kann man sich vorstellen, wozu es ansonsten verwendet wird. Jedenfalls fällt der Madame auf ihrem Stuhl der Kopf plötzlich nach hinten, und sie bewegt sich nicht mehr. Was hat sie sich auch so lumpig gegenüber ihren Angestellten verhalten, die sie „Pest und Cholera“nennt!
Ralf Lange dirigiert ein Kammerensemble der Düsseldorfer Symphoniker, die Musiker spielen blitzsauber, mit großen Abständen im Orchestergraben, trotzdem sehr homogen. Ein feines Ensemble bilden Lavinia Dames (Fradl), Kimberley Boettger-Soller (Bejlja), Sylvia Hamvasi (Madame), Jorge Espino (Chaim) und Norbert Ernst (Reb Alter). Das A-cappella-Quartett des Personals ist eine Zaubernummer; es schwebt gleichsam durch den Raum, als stünde die Zeit still.
Tatsächlich wird die Zeit auch in der Rheinoper stillstehen, von Montag an wird hier für einen Monat nicht mehr gespielt. Am Sonntag kann man „Masel Tov! Wir gratulieren!“noch einmal in Düsseldorf sehen, danach vorerst nicht mehr. Wie bitter, wie traurig: Wir kondolieren!