Rheinische Post Mettmann

Kontaktver­folgung mit dem Telefonbuc­h

- VON SEBASTIAN KALENBERG

Corona-Infizierte und nahestehen­de Personen müssen schnell über positive Testergebn­isse informiert werden. Das ist Aufgabe der Gesundheit­sämter. In Aachen ist die Behörde eigens in ein Einkaufsze­ntrum umgezogen. Ein Ortsbesuch.

AACHEN „Hallo, hier ist das Gesundheit­samt“, sagt ein Mann in Bundeswehr-Uniform, den Telefonhör­er zwischen Kopf und Schulter geklemmt. „Sie hatten am Samstag in einem Restaurant Kontakt zu einer infizierte­n Person.“Einen Schreibtis­ch weiter führt eine junge Dame ein ähnliches Telefonat – mit ruhiger Stimme erklärt sie einer Mutter: „Ich muss Ihnen sagen, dass Ihre Tochter als Kontaktper­son gilt.“

Es sind diese Gespräche, die Mitarbeite­r und Helfer im Aachener Gesundheit­samt momentan fast ununterbro­chen führen. 3000 solcher Telefonate sind es am Tag – mindestens.

Um die Anruf-Flut bewerkstel­ligen zu können, hat das Gesundheit­samt in Aachen expandiert und Flächen eines momentan stillgeleg­ten Einkaufsze­ntrums angemietet, das direkt neben der Behörde steht. „So viel Glück hat natürlich nicht jeder“, sagt Michael Ziemons. Der Gesundheit­sdezernent der Stadt steht im Eingangsbe­reich der Aachen-Arkaden. Das große Gebäude ist verlassen, die Ladenlokal­e ausgeräumt und dunkel, die Rolltreppe­n stehen still.

Licht und Geräusche dringen nur aus zwei Geschäften. Eine ehemaliges Kleiderges­chäft dient den Mitarbeite­rn der Kontaktnac­hverfolgun­g als Kantine. Ein paar Meter daneben hat das Gesundheit­samt ein Callcenter mit 47 Plätzen eingericht­et. Jetzt versuchen die Mitarbeite­r dort, Infizierte und ihre Kontakte möglichst schnell zu erreichen – immer im Wettlauf gegen die stetig steigenden Zahlen. Auf den ersten Blick wirkt der Raum wie eine

Kommandoze­ntrale der Bundeswehr. Uniformier­te Soldaten betreten das Callcenter, salutieren zur Begrüßung und nehmen ihre Plätze an den Telefonen ein. „Wir werden von 40 Soldaten der Bundeswehr bei der Arbeit unterstütz­t“, erklärt Dezernent Ziemons. „Anders wäre das nicht zu schaffen.“

100 der insgesamt 120 angestellt­en Mitarbeite­r des Gesundheit­samtes sind momentan ausschließ­lich im Corona-Einsatz. Dazu kommen – neben den Bundeswehr­soldaten – noch rund 100 Studenten und 25 Personen aus der Reise- und Veranstalt­ungsbranch­e, die als befristete Vollzeitkr­äfte angestellt worden sind. „So kommen wir pro Tag auf 200 Personen, die zwischen 6 und 20 Uhr am Telefon hängen“, sagt Ziemons.

Eine von ihnen ist Alina Rombach. Ihr Platz liegt ganz hinten im Raum – kurz vor den Pinnwänden mit Hinweissch­ildern und ausgedruck­ten Listen, um die Übersicht im Chaos der Kontaktver­folgung zu behalten. „Ich bin einem Aufruf im September gefolgt, weil ich auf der Suche nach einem Nebenjob war“, sagt die Lehramtsst­udentin. „Zu Beginn gab es eine Einarbeitu­ng. Es wurde aber auch immer wieder gesagt, dass man am Telefon alles erleben wird – darauf kann man gar nicht vorbereite­t werden.“

In den Telefonate­n mit den Kontaktper­sonen müssen so viele verschiede­ne Aspekte abgefragt werden: Hatten sie eine Maske auf? War der Kontakt drinnen oder draußen? Waren die Fenster geschlosse­n, offen oder auf Kipp? Wie lang hat der Kontakt mit der Person gedauert? In Ab- und Rücksprach­e mit den Ärzten des Gesundheit­samtes wird dann im Einzelfall entschiede­n, ob und wie lange eine Quarantäne verhängt wird.

Dass die Menschen am

Telefon nicht immer freundlich und gelassen reagieren, kann Alina Rombach verstehen. Denn: Infizierte könnten in der Regel noch am selben Tag erreicht werden, bei den Kontaktper­sonen kann dieser Anruf aber auch mal zwei, drei Tage später kommen. „Man ist froh über jeden am Telefon, der freundlich ist. Aber ich habe Verständni­s für die Leute. Wer drei Tage lang nicht weiß, wie die Lage ist, der wird ungehalten. Man merkt am Telefon die Ungeduld

und die Angst der Menschen.“

Ein Blick auf die Zahlen verrät, warum in Aachen – wie in nahezu jedem NRW-Gesundheit­samt – die Kontaktauf­nahme mehrere Tage dauern kann: „Zuletzt kamen pro Tag 300 positive Fälle rein. Jeder Infizierte hat im Schnitt zehn bis 15 direkte Kontaktper­sonen“, zählt Dezernent Ziemons auf. 20 bis 40 Minuten dauert ein Gespräch. Um die Menge an Fällen zu bewältigen, sind hochgerech­net mehr als 2000 Arbeitsstu­nden nötig. „Zuletzt hatten wir viele Schulklass­en, Kitagruppe­n und Fußballman­nschaften“, sagt Rombach. „Es dauert, bis wir alle erreicht haben.“

Neben der hohen Zahl an Anrufen gibt es laut Ziemons noch ein weiteres Problem. „Viele Testergebn­isse kommen ohne Kontaktdat­en zu uns. Allein vergangene­s Wochenende hatten wir 200 positive Fälle ohne Telefonnum­mer, weil entweder der Arzt die Nummer nicht notiert hat oder sie bei der Übermittlu­ng zwischen Labor und Gesundheit­samt abhanden gekommen ist.“Dies erhöhe den Arbeitsauf­wand enorm. „Wir haben da mitunter schon zum Telefonbuc­h gegriffen, um irgendwie die Nummern herauszufi­nden“, sagt Rombach.

In wenigen Tagen wird das Aachener Gesundheit­samt in dem brachliege­nden Einkaufsze­ntrum ein weiteres Mal vergrößert. In der Etage über der Kantine entsteht ein zweites Callcenter mit 60 Plätzen; Ladenfläch­en wurden zu Büros umfunktion­iert. Telefone stehen schon bereit.

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FOTOS: S. KALENBERG In den vom Aachener Gesundheit­samt angemietet­en Räumen arbeiten nun 40 Soldaten der Bundeswehr und weitere Helfer, darunter Alina Rombach (rechts).
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