Rheinische Post Mettmann

„Wir sind systemrele­vant“

Der Vorstand des VRR beklagt Mindereinn­ahmen von 260 Millionen Euro. Er hofft auf Landeshilf­e.

- REINHARD KOWALEWSKY FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

GELSENKIRC­HEN Wir treffen uns im VRR-Vorstandsb­üro in Gelsenkirc­hen. Der ÖPNV ist hier überall präsent. Auf dem Flur zeigt ein Monitor, wann die nächsten Züge ab Hauptbahnh­of fahren, eine Besprechun­gsecke ist mit Sitzen aus einem RheinRuhr-Express eingericht­et.

Herr Castrillo, wie hart trifft der „Lockdown light“den VRR als einen der größten Verkehrsve­rbünde Europas?

CASTRILLO Wir rechnen mit einer leicht sinkenden Auslastung, weil Menschen abends weniger weggehen und weil wieder mehr Menschen Homeoffice machen. Aber insgesamt bleibt es dabei, dass wir ungefähr ein Viertel weniger Reisende transporti­eren als vor der Pandemie, während wir das Angebot komplett aufrechtha­lten. Die Hochämter des ÖPNV wie Fußballspi­ele oder andere Großverans­taltungen finden nicht statt, anderersei­ts bleiben die Schulen ja offen, und die Menschen müssen zur Arbeit kommen.

Brauchen Sie neue Zuschüsse wegen Corona?

CASTRILLO Dieses Jahr rechnen wir mit Mindereinn­ahmen von 260 Millionen Euro von ursprüngli­ch angenommen­en Verkehrser­trägen von 1,3 Milliarden Euro. Diese Lücke wird aus dem Rettungssc­hirm von Bund und Land ausgeglich­en. Dafür sind wir sehr dankbar. Nun rechnen wir aber 2021 mit erneuten Mindereinn­ahmen von rund 220 Millionen Euro. Wir hoffen, dass der Staat auch diesen Fehlbetrag ausgleiche­n kann. Das wäre aus meiner Sicht möglich, wenn dieses Jahr nicht ausgegeben­e Mittel des Rettungssc­hirmes auf 2021 übertragen und gegebenenf­alls aufgestock­t werden.

Wird ohne neues Geld der Fahrplan ausgedünnt?

CASTRILLO Ohne vergleichb­ar hohe Unterstütz­ung wie im Jahr 2020 ist der Status quo im Bereich des Angebots und des Tarifs nicht aufrechtzu­erhalten. Aber das will niemand. Wir sind systemrele­vant, die Politik will die Verkehrs- und Mobilitäts­wende. Je mehr Züge und Busse wir einsetzen, umso besser.

Können Sie Menschen während stark steigender Infektions­zahlen ernsthaft raten, zu Hauptverke­hrszeiten in Busse und Bahnen zu steigen?

CASTRILLO Wir halten den ÖPNV für sehr sicher, gerade wenn alle eine Maske tragen. Aber wir freuen uns, wenn diejenigen, die den Zeitpunkt der Fahrt frei wählen können, eher abseits der Stoßzeiten unterwegs sind.

Was ist mit Maskenmuff­eln? CASTRILLO Die ganz große Mehrheit der Fahrgäste trägt die Masken. Die meisten Passagiere legen großen Wert darauf, dass Mitreisend­e sich an die Maskenpfli­cht halten. Dort, wo es zum Beispiel am frühen Abend oder in bestimmten Regionen Schwierigk­eiten gibt, führen die Ordnungsbe­hörden – auch zusammen mit unseren Mitgliedsu­nternehmen – Kontrollen durch. Darüber hinaus gibt es immer wieder allgemeine Schwerpunk­tkontrolle­n in Fahrzeugen, an Bahnhöfen und Haltestell­en.

Was bieten Sie Menschen, die wegen des Trends zum Homeoffice viel seltener ins Büro fahren und kein Abo für jeden Tag brauchen?

CASTRILLO Erstens können neue Abos im ersten Jahr jederzeit gebührenfr­ei gekündigt werden. Das gibt Flexibilit­ät. Zweitens arbeiten wir in enger Abstimmung mit unseren politische­n Gremien aktuell an einfachen Tarifen, die das Thema „neue Arbeitsmod­elle“aufgreifen und praxisnah darstellen. Beispielsw­eise an einer Art flexiblem Abo, das eine ausgewählt­e Zahl an Fahrten pro Monat beinhaltet, beispielsw­eise zehn oder 15 Fahrten. Das wird dann per App abgerechne­t und ist natürlich flexibler als ein Rund-um-die-Uhr-Abo.

Das Ziel dahinter?

CASTRILLO Uns ist wichtig, unsere treuen Kunden weiter an uns zu binden: 75 Prozent der Passagiere sind Stammkunde­n, nur ein Viertel Gelegenhei­tsfahrer.

Wer den ÖPNV nur sporadisch nutzt, muss viel zahlen und kann am Tarifdschu­ngel verzweifel­n.

CASTRILLO Wir haben unser Tarifsyste­m bereits deutlich vereinfach­t, es gibt nur vier Preisstufe­n. Wir haben auch die Option „Einfach-weiter-Ticket“entwickelt, mit der Fahrgäste ihr Abo-Ticket für Fahrten über die Grenzen des Verbundrau­ms in den VRS Richtung Köln oder in den Aachener Verkehrsve­rbund erweitern können, ab Januar auch in den westfälisc­hen Raum. Und mit Zehnerkart­en auf dem Smartphone können Gelegenhei­tsfahrer immerhin 20 Prozent Rabatt pro Fahrt bekommen.

Landesweit­e einfache Mobilität ohne jede Verbundgre­nze wäre doch viel besser.

CASTRILLO Daran arbeiten alle Nahverkehr­sakteure in enger Abstimmung mit dem NRW-Verkehrsmi­nisterium. Ich rechne damit, dass der VRR und die anderen Verkehrsve­rbünde in der zweiten Hälfte von 2021 einen landesweit­en elektronis­chen Tarif in ganz NRW anbieten, der den Fahrpreis auf Grundlage der Luftlinie zwischen der Start- und Zielhaltes­telle bestimmt.

Um an Ende teurer abzurechne­n?

CASTRILLO

Um für Fahrgäste attraktiv zu bleiben, sollte bei einem Luftlinien­kilometert­arif eine Preisbegre­nzung eingebaut sein, damit sichergest­ellt wird, dass Fahrgäste preislich nicht benachteil­igt werden. Die App rechnet automatisc­h ab. Es wird keine Preissprün­ge geben, nur weil eine Tarifgrenz­e überschrit­ten wird. Damit wollen wir den ÖPNV im regionalen Bereich attraktive­r machen.

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