„Trump wurde für das gewählt, was er ist“
Der Schriftsteller sagt, der US-Präsident habe erneut so viel Zuspruch erhalten, weil sich die Lage für seine Anhänger kaum geändert habe. Und weil er ihnen als Identifikationsfigur diene.
DÜSSELDORF Der Schriftsteller und Jurist Bernhard Schlink lebt in Berlin und New York. Er war Professor für öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Yeshiva University in New York und Richter am Verfassungsgerichtshof für NRW. Ein Gespräch über die Wahl in den USA und das gesellschaftliche Klima nach vier Jahren Donald Trump.
Warum ist es in den USA so weit gekommen, dass ein Präsident die Regeln der Demokratie angreift?
SCHLINK Trump ist genau der Präsident geworden, der zu werden er angekündigt hatte. Die, die ihn mit dieser Ankündigung wollten, die wollten ihn auch weiter. Die Demokraten haben diesmal mehr Anhänger mobilisiert, aber das haben die Republikaner auch getan.
Was haben Menschen, die in diesen Tagen erstaunt auf die USA blicken, von den Entwicklungen dort nicht verstanden?
SCHLINK Sie haben nicht begriffen, dass Trump beim zweiten wie beim ersten Mal für das gewählt wurde, was er ist. Für die meisten seiner Anhänger hat sich die Lage nicht verändert und damit auch kein Grund ergeben, jetzt anders zu wählen als damals. Vor vier Jahren wurde Trump von den Reichen gewählt, weil sie mit seiner Hilfe reicher werden wollten. Das wurden sie auch. Die Evangelikalen, die ihn in der Hoffnung auf einen Supreme Court gewählt haben, der die Freiheit des Schwangerschaftsabbruchs einschränkt, sehen ihre Hoffnung bestätigt. Die, die fürchten mussten, dass sie ökonomisch abgehängt werden, müssen das immer noch fürchten und hoffen immer noch, dass Trump, der viel Geld gemacht hat und nicht aus dem politischen System kommt, dem sie die ökonomische Entwicklung anlasten, an ihrer Lage etwas ändert. Dazu kommen die vielen, die Trump nicht gewählt haben, weil er ihren Interessen dient, sondern weil er so ist, wie sie sich selbst gerne sähen. So wie er würden sie selbst gerne auf den Tisch hauen. So wie er würden sie selbst sich gerne um nichts scheren, nicht um die Welt, nicht um das Klima, nicht um Institutionen wie die Uno oder die WHO, nicht um den Apparat in Washington. So wie er würden sie selbst gerne die Sau rauslassen, wenn es um Farbige, Frauen oder Einwanderer geht. Die Bestätigung ihres Bilds von sich ist stärker als ihre Interessen.
Eine bestürzende Diagnose.
SCHLINK Ja, es ist bestürzend, dass die Spaltung in der amerikanischen Gesellschaft so tief geht, dass die Bilder, die Menschen von der Welt und von sich haben, und ihre politischen Motiv- und Zielbündel überhaupt nicht mehr miteinander ausgetauscht und im Austausch füreinander geöffnet und verändert werden.
Sie leben ja zum Teil in New York...
SCHLINK Und auf dem Land. Auf dem Land ist für viele Amerikaner vieles, was für uns so nah ist – die staatlichen und europäischen Institutionen, die Gesellschaft als ganze, die Nachbarstaaten – unendlich weit weg. Man lebt vor Ort. Was Sender wie Fox News aus der Welt und nur schon aus den USA berichten, ist reduziert und verzerrt.
Würde es Sie reizen, einen Trump-Roman zu schreiben?
SCHLINK Nein.
Warum nicht?
SCHLINK Tolstoi hat auch deshalb so gut über Krieg und Frieden geschrieben, weil der Krieg mit Napoleon 50 Jahre zurück lag. Direkte literarische Reaktionen auf politisches Geschehen greifen oft zu kurz. Ohnehin braucht’s für den Trump-Roman einen Amerikaner.
Hat Trump nicht etwas von einer Shakespeare-Figur, wie er die Wirklichkeit verdrehte und seine Gegner eine Zeit lang auf tragische Weise
ohnmächtig wirken ließ?
SCHLINK Das Schöne bei Shakespeare ist, dass alles bei ihm vorkommt, und so passt zu ihm auch ein Trump. Aber Trump, der mit den Medien spielt, ist eine moderne Figur. In den Dramen Shakespeares gibt es eine gemeinsame Wirklichkeit, in der die Akteure mit- und gegeneinander sprechen und agieren. Die Wirklichkeit der digitalen Welt ist in Bubbles zerfallen, in denen die Menschen leben. Seine Anhänger und die, die es werden könnten, in ihren Bubbles zu finden und zu bedienen, beherrscht Trump meisterlich.
Sehen Sie Entwicklungen, die Sie in den USA hautnah erlebt haben, auch auf Deutschland zukommen?
SCHLINK Wir erleben in der ganzen Welt eine Rückkehr des Autoritären. Nicht nur in den USA, auch in Polen, Ungarn, Russland, der Türkei, und ohnehin in China. Das Irrationale, ein Geschwister des Autoritären, hat selbst bei den Engländern Einzug gehalten, denen wir immer besondere politische Vernunft zutrauten. Und schauen Sie auf die Rückkehr des Religiösen in der Welt, die wir beobachten können – sie geht mit der Rückkehr des Autoritären Hand in Hand.
Es gibt Menschen in Deutschland, die sehr an den USA hängen, dort studiert haben, die Kultur schätzen, jetzt aber sagen, wenn Trump wiedergewählt wird, ist das nicht mehr „mein Amerika“. Kennen Sie solche Gefühle?
SCHLINK Ja. Trump hat sich in den vergangenen vier Jahren wie Mehltau auf alles gelegt. Die Gespräche waren nicht mehr so unbefangen wie früher. Wenn es, wie in meinem Freundeskreis, Trump-Anhänger gibt, redete man über alles, was mit Politik und Gesellschaft zu tun hat, lieber nicht. Auch sonst vermied man, über Politik und Gesellschaft zu reden, weil es so unerfreulich war. Und der Abbau dessen, was an Klimaund Umweltschutz, Gesundheitsund Arbeitsschutz erreicht worden war, und die Kultur-, Wissenschaftsund Bildungsfeindlichkeit waren bedrückend. Nein, keine weiteren vier Jahre Trump!