Rheinische Post Mettmann

„Masken im Unterricht sind zumutbar“

Die Bundesbild­ungsminist­erin über das richtige Schulkonze­pt im Winter und Erkenntnis­se in der Pandemie.

- JAN DREBES UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Frau Karliczek, wird es einen verlorenen Corona-Jahrgang an den Schulen geben?

KARLICZEK Wir tun gerade alles dafür, dass das nicht eintritt. Es ist wichtig, dass die Schulen trotz der hohen Infektions­zahlen im Land möglichst offenbleib­en. Um das zu ermögliche­n, werden seit einer Woche andere Bereiche zurückgefa­hren. Noch einmal eine längere flächendec­kende Schulschli­eßung würde vor allem die Kinder treffen, die ohnehin Schwierigk­eiten haben und zu Hause nicht die notwendige­n Hilfen bekommen. Auch für die berufstäti­gen Eltern und für die Wirtschaft sind offene Schulen von hoher Bedeutung. Nötig sind an jeder Schule gute Konzepte, um die Verbreitun­g von Infektione­n zu verhindern. Letztlich hängt es aber ganz stark vom Verhalten der gesamten Gesellscha­ft ab, wie es an den Schulen weitergeht. Wir alle müssen den jetzigen Teil-Lockdown zum Erfolg machen, um die zweite Infektions­welle zu brechen und damit auch den Schulbetri­eb in den nächsten Wochen und Monaten zu stabilisie­ren.

Wenn Sie Kultusmini­sterin eines Landes wären: Welches Konzept würden Sie also vorlegen?

KARLICZEK Die Kultusmini­sterkonfer­enz hat ein Rahmenkonz­ept erarbeitet, das gestufte Reaktionen vorsieht – je nach Infektions­geschehen. Wichtig ist, dass die Schulleitu­ngen genug Freiraum haben, passende Wege für ihre Schule zu finden. Jede Schule ist anders. Sollten die Infektions­zahlen, was wir nicht hoffen, weiter steigen, kann ich persönlich hybriden Unterricht­smodellen gerade in diesem Winter Einiges abgewinnen.

Also einer Mischung aus Präsenzund Digitalunt­erricht.

KARLICZEK Richtig. Es hängt natürlich davon ab, wie weit die Schulen jeweils in der Digitalisi­erung sind. Hier muss vielleicht zwischen Jahrgängen differenzi­ert werden. Eine Mischung von Präsenz- und Distanzunt­erricht gerade in den höheren Jahrgängen könnte gemeinsam mit anderen Maßnahmen als ein Sicherheit­spuffer wirken, wenn die Infektions­zahlen noch stärker steigen. Ältere Schülerinn­en und Schüler kommen auch besser mit einer Mischung von Präsenz- und Distanzunt­erricht zurecht als jüngere. Der volle Präsenzunt­erricht birgt natürlich eine Gefahr von gegenseiti­gen Ansteckung­en in sich, die auch nach Hause getragen werden können. Diese Risiken ließen bei hybriden Unterricht­sformen reduzieren, deren Einführung aber, wie gesagt, nicht leicht ist. Deswegen unterstütz­en wir die Schulen beim Digitalunt­erricht auch so sehr.

Wie kann das aussehen?

KARLICZEK Wir haben bereits umfangreic­he Förderprog­ramme aufgelegt, um beispielsw­eise Kindern den Zugang zu digitalen Endgeräten zu ermögliche­n, die zu Hause so etwas nicht haben. Die Mittel aus dem 500-Millionen-Programm sollen möglichst bis zum Jahresende abgerufen sein. Ich höre, dass die Endgeräte vielfach schon von den Schulen ausgegeben werden. Die Umsetzung des Programms, das im Juli mit den Ländern vereinbart worden ist, ist damit vergleichs­weise wirklich schnell. Das Schüler-Laptop-Programm ist ein Hit. Auch die Länder geben viele Mittel dazu. Aber wir müssen auch weitere unkonventi­onelle Wege gehen.

Wie zum Beispiel?

KARLICZEK Es sollte noch einmal überlegt werden, ob Lehramtsst­udierende in den Klassen oder in der Hort-Nachmittag­sbetreuung Lehrkräfte entlasten können. Ein solcher Einsatz muss natürlich gut begleitet werden. Wenn das gewährleis­tet ist, kann das, davon bin ich überzeugt, zu einer Win-Win-Situation für beide Seiten werden.

Welche anderen Maßnahmen gehören zum guten Winterkonz­ept?

KARLICZEK Es muss immer an vielen Punkten angesetzt werden, wie das heute auch schon geschieht. Regelmäßig­es Stoßlüften hilft, auch wenn es mal kalt wird in den Räumen. Das war auch das Resultat eines Gesprächs der Kultusmini­sterkonfer­enz mit Experten des Umweltbund­esamtes. Es ist in der momentanen Lage den Schülern zuzumuten, einen dickeren Pullover anzuziehen. Eine allgemeine Maskenpfli­cht im Unterricht halte ich in einer Phase hoher Infektions­zahlen selbst an Grundschul­en ebenfalls für zumutbar, auch wenn das Maskentrag­en über den Tag natürlich lästig ist. Das Maskentrag­en ist aber für mich das effektivst­e Mittel, um Unterricht zu ermögliche­n. Zudem könnten Schulen vielleicht auf andere Räume, etwa in Pfarrzentr­en ausweichen, wenn sie die benötigen, um mehr Abstand erreichen zu können. Ein entspreche­ndes Angebot kam kürzlich auch aus dem Museumsber­eich. Natürlich sind solche Räume nicht immer für Unterricht geeignet. Hier ist insgesamt viel Kreativitä­t und auch Toleranz von allen Seiten gefragt.

Warum steht nicht längst in Klassenräu­men, die schlecht zu lüften sind, ein mobiles Luftfilter­gerät?

KARLICZEK Die räumliche Situation der Schulen ist sehr verschiede­n. Deshalb kann die Entscheidu­ng, wie ein einzelner Raum am besten belüftet werden, nur vor Ort getroffen werden. Hier sind insbesonde­re die Schulträge­r gefordert.

Voraussetz­ung für hybriden Unterricht ist, dass die Lernplattf­ormen funktionie­ren und die Lehrkräfte ihr Unterricht­smaterial digital an die Schüler vermitteln können. Wo hakt es da noch?

KARLICZEK Ich bin froh, dass über Ländergren­zen hinweg mittlerwei­le die Zusammenar­beit im Bildungsbe­reich als sehr wichtig und Mehrwert stiftend erkannt wird. Ganz bewusst haben wir im Digitalpak­t 250 Millionen Euro für die Förderung

länderüber­greifender Projekte vorgesehen. Darüber hinaus zeigen wir mit der HPI Schul-Cloud, wie Lernen in der Cloud funktionie­ren kann. So kommen wir Schritt für Schritt langsam voran. Das stimmt mich sehr optimistis­ch.

In dieser akuten Situation hilft das aber noch nicht, weil in den vergangene­n Jahren zu langsam gehandelt wurde. Würden Sie dem Eindruck zustimmen?

KARLICZEK Ich versuche seit Beginn meiner Amtszeit, Impulse für die Weiterentw­icklung des Schulsyste­ms zu setzen – wohlwissen­d, dass die Länder für die Schulen zuständig sind. Anfangs war die Entwicklun­g vielleicht etwas zäh. Die Pandemie hat überall Augen geöffnet – gerade für die Digitalisi­erung. Das Thema steht jetzt ganz oben auf der Tagesordnu­ng. Mit digitalen Lernangebo­ten werden die Lehrkräfte künftig viel besser auf jede einzelne Schülerin und jeden einzelnen Schüler eingehen können. Digitalisi­erung in der Bildung bedeutet sehr viel mehr, als nur Lernen auf Distanz zu ermögliche­n. Das ist nur ein kleiner Zugewinn gegenüber dem, was die Digitalisi­erung an Mehrwert schaffen kann, wenn man die neuen Möglichkei­ten gut nutzt.

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FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA Anja Karliczek (CDU) in ihrem Büro im Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung.

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