„Masken im Unterricht sind zumutbar“
Die Bundesbildungsministerin über das richtige Schulkonzept im Winter und Erkenntnisse in der Pandemie.
Frau Karliczek, wird es einen verlorenen Corona-Jahrgang an den Schulen geben?
KARLICZEK Wir tun gerade alles dafür, dass das nicht eintritt. Es ist wichtig, dass die Schulen trotz der hohen Infektionszahlen im Land möglichst offenbleiben. Um das zu ermöglichen, werden seit einer Woche andere Bereiche zurückgefahren. Noch einmal eine längere flächendeckende Schulschließung würde vor allem die Kinder treffen, die ohnehin Schwierigkeiten haben und zu Hause nicht die notwendigen Hilfen bekommen. Auch für die berufstätigen Eltern und für die Wirtschaft sind offene Schulen von hoher Bedeutung. Nötig sind an jeder Schule gute Konzepte, um die Verbreitung von Infektionen zu verhindern. Letztlich hängt es aber ganz stark vom Verhalten der gesamten Gesellschaft ab, wie es an den Schulen weitergeht. Wir alle müssen den jetzigen Teil-Lockdown zum Erfolg machen, um die zweite Infektionswelle zu brechen und damit auch den Schulbetrieb in den nächsten Wochen und Monaten zu stabilisieren.
Wenn Sie Kultusministerin eines Landes wären: Welches Konzept würden Sie also vorlegen?
KARLICZEK Die Kultusministerkonferenz hat ein Rahmenkonzept erarbeitet, das gestufte Reaktionen vorsieht – je nach Infektionsgeschehen. Wichtig ist, dass die Schulleitungen genug Freiraum haben, passende Wege für ihre Schule zu finden. Jede Schule ist anders. Sollten die Infektionszahlen, was wir nicht hoffen, weiter steigen, kann ich persönlich hybriden Unterrichtsmodellen gerade in diesem Winter Einiges abgewinnen.
Also einer Mischung aus Präsenzund Digitalunterricht.
KARLICZEK Richtig. Es hängt natürlich davon ab, wie weit die Schulen jeweils in der Digitalisierung sind. Hier muss vielleicht zwischen Jahrgängen differenziert werden. Eine Mischung von Präsenz- und Distanzunterricht gerade in den höheren Jahrgängen könnte gemeinsam mit anderen Maßnahmen als ein Sicherheitspuffer wirken, wenn die Infektionszahlen noch stärker steigen. Ältere Schülerinnen und Schüler kommen auch besser mit einer Mischung von Präsenz- und Distanzunterricht zurecht als jüngere. Der volle Präsenzunterricht birgt natürlich eine Gefahr von gegenseitigen Ansteckungen in sich, die auch nach Hause getragen werden können. Diese Risiken ließen bei hybriden Unterrichtsformen reduzieren, deren Einführung aber, wie gesagt, nicht leicht ist. Deswegen unterstützen wir die Schulen beim Digitalunterricht auch so sehr.
Wie kann das aussehen?
KARLICZEK Wir haben bereits umfangreiche Förderprogramme aufgelegt, um beispielsweise Kindern den Zugang zu digitalen Endgeräten zu ermöglichen, die zu Hause so etwas nicht haben. Die Mittel aus dem 500-Millionen-Programm sollen möglichst bis zum Jahresende abgerufen sein. Ich höre, dass die Endgeräte vielfach schon von den Schulen ausgegeben werden. Die Umsetzung des Programms, das im Juli mit den Ländern vereinbart worden ist, ist damit vergleichsweise wirklich schnell. Das Schüler-Laptop-Programm ist ein Hit. Auch die Länder geben viele Mittel dazu. Aber wir müssen auch weitere unkonventionelle Wege gehen.
Wie zum Beispiel?
KARLICZEK Es sollte noch einmal überlegt werden, ob Lehramtsstudierende in den Klassen oder in der Hort-Nachmittagsbetreuung Lehrkräfte entlasten können. Ein solcher Einsatz muss natürlich gut begleitet werden. Wenn das gewährleistet ist, kann das, davon bin ich überzeugt, zu einer Win-Win-Situation für beide Seiten werden.
Welche anderen Maßnahmen gehören zum guten Winterkonzept?
KARLICZEK Es muss immer an vielen Punkten angesetzt werden, wie das heute auch schon geschieht. Regelmäßiges Stoßlüften hilft, auch wenn es mal kalt wird in den Räumen. Das war auch das Resultat eines Gesprächs der Kultusministerkonferenz mit Experten des Umweltbundesamtes. Es ist in der momentanen Lage den Schülern zuzumuten, einen dickeren Pullover anzuziehen. Eine allgemeine Maskenpflicht im Unterricht halte ich in einer Phase hoher Infektionszahlen selbst an Grundschulen ebenfalls für zumutbar, auch wenn das Maskentragen über den Tag natürlich lästig ist. Das Maskentragen ist aber für mich das effektivste Mittel, um Unterricht zu ermöglichen. Zudem könnten Schulen vielleicht auf andere Räume, etwa in Pfarrzentren ausweichen, wenn sie die benötigen, um mehr Abstand erreichen zu können. Ein entsprechendes Angebot kam kürzlich auch aus dem Museumsbereich. Natürlich sind solche Räume nicht immer für Unterricht geeignet. Hier ist insgesamt viel Kreativität und auch Toleranz von allen Seiten gefragt.
Warum steht nicht längst in Klassenräumen, die schlecht zu lüften sind, ein mobiles Luftfiltergerät?
KARLICZEK Die räumliche Situation der Schulen ist sehr verschieden. Deshalb kann die Entscheidung, wie ein einzelner Raum am besten belüftet werden, nur vor Ort getroffen werden. Hier sind insbesondere die Schulträger gefordert.
Voraussetzung für hybriden Unterricht ist, dass die Lernplattformen funktionieren und die Lehrkräfte ihr Unterrichtsmaterial digital an die Schüler vermitteln können. Wo hakt es da noch?
KARLICZEK Ich bin froh, dass über Ländergrenzen hinweg mittlerweile die Zusammenarbeit im Bildungsbereich als sehr wichtig und Mehrwert stiftend erkannt wird. Ganz bewusst haben wir im Digitalpakt 250 Millionen Euro für die Förderung
länderübergreifender Projekte vorgesehen. Darüber hinaus zeigen wir mit der HPI Schul-Cloud, wie Lernen in der Cloud funktionieren kann. So kommen wir Schritt für Schritt langsam voran. Das stimmt mich sehr optimistisch.
In dieser akuten Situation hilft das aber noch nicht, weil in den vergangenen Jahren zu langsam gehandelt wurde. Würden Sie dem Eindruck zustimmen?
KARLICZEK Ich versuche seit Beginn meiner Amtszeit, Impulse für die Weiterentwicklung des Schulsystems zu setzen – wohlwissend, dass die Länder für die Schulen zuständig sind. Anfangs war die Entwicklung vielleicht etwas zäh. Die Pandemie hat überall Augen geöffnet – gerade für die Digitalisierung. Das Thema steht jetzt ganz oben auf der Tagesordnung. Mit digitalen Lernangeboten werden die Lehrkräfte künftig viel besser auf jede einzelne Schülerin und jeden einzelnen Schüler eingehen können. Digitalisierung in der Bildung bedeutet sehr viel mehr, als nur Lernen auf Distanz zu ermöglichen. Das ist nur ein kleiner Zugewinn gegenüber dem, was die Digitalisierung an Mehrwert schaffen kann, wenn man die neuen Möglichkeiten gut nutzt.