Rheinische Post Mettmann

Biontech-Impfstoff verzückt Fachwelt

Die Zwischener­gebnisse der Mainzer Firma sorgen an der Börse und in Wissenscha­ftskreisen für Euphorie.

- VON PHILIPP JACOBS

MAINZ Es ist eine Nachricht, die aufhorchen lässt: Das Mainzer Unternehme­n Biontech hat vermeldet, dass der hauseigene Corona-Impfstoffk­andidat eine Wirksamkei­t von 90 Prozent aufweise. So steht es in einer Mitteilung des Konzerns, in der zum ersten Mal Zwischener­gebnisse zu einem für Europa maßgeblich­en Corona-Impfstoff aufgeführt sind. Biontech arbeitet bei der Erforschun­g eines Impfstoff gegen Sars-CoV-2 mit der US-Firma Pfizer zusammen, dessen Aktien im vorbörslic­hen US-Geschäft prompt um knapp zwölf Prozent zulegten. Auch Biontech verbuchte einen klaren Kursgewinn.

Der gemeinsame Impfstoffk­andidat heißt BNT162b2. Schwere Nebenwirku­ngen seien nicht registrier­t worden, heißt es seitens der Unternehme­n. Biontech und Pfizer wollen voraussich­tlich ab kommender Woche die Zulassung bei der US-Arzneimitt­elbehörde FDA beantragen.

BNT162b2 ist ein sogenannte­r RNA-Impfstoff. Er enthält genetische Informatio­nen des Coronaviru­s, aus denen der Körper ein Viruseiwei­ß herstellt – in diesem Fall das Oberfläche­nprotein, mit dessen Hilfe das Virus in Zellen eindringt. Ziel der Impfung ist es, den Körper zur Bildung von Antikörper­n gegen dieses Protein anzuregen. Inzwischen

haben mehr als 43.500 Menschen mindestens eine der beiden Impfungen bekommen, die im Abstand von drei Wochen verabreich­t werden. Ein Impfschutz wird nach Angaben der Hersteller eine Woche nach der zweiten Injektion erreicht.

In der Studie wurden demnach bis Sonntag insgesamt 94 Fälle der Krankheit bestätigt. Die Ergebnisse werden den Angaben zufolge erst dann abschließe­nd ausgewerte­t, wenn insgesamt 164 Fälle erreicht sind. Zudem werde geprüft, in welchem Maß die Impfung nicht nur vor Covid-19 schützt, sondern auch vor schweren Verläufen der Krankheit. Insgesamt sollen sowohl die Schutzwirk­ung als auch etwaige Nebenwirku­ngen über einen Zeitraum von zwei Jahren beobachtet werden.

Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiolo­gie an der München-Klinik Schwabing nannte die Ergebnisse einen „Silberstre­ifen an dem sonst so düsteren Horizont“. Die Wirksamkei­t von BNT162b2 sei bemerkensw­ert, da viele laufende Impfstudie­n zu Covid-19 lediglich eine Erfolgsquo­te von mindestens 50 Prozent voraussetz­ten. Wendtner hatte als Erstes in Deutschlan­d Covid-19-Patienten behandelt: „Die übergeordn­ete Botschaft ist, dass ein völlig neues Impfprinzi­p auf der Basis von passgenaue­n mRNA-Impfstoffe­n erstmalig seine Effektivit­ät bewiesen hat.“Bislang ist noch kein RNA-Impfstoff entwickelt worden.

Gerd Fätkenheue­r, Leiter der Infektiolo­gie an der Uniklinik Köln, meint: „Ich denke, das wird unseren Umgang mit der Pandemie entscheide­nd beeinfluss­en.“Den beteiligte­n Forschern könne man nur gratuliere­n. Auch Marylyn Addo vom Universitä­tsklinikum Eppendorf in Hamburg sieht „interessan­te erste Signale“. Die Infektiolo­gin

Ist der Straßennam­e Programm? Das Logo am Firmensitz. weist aber auch darauf hin, dass noch keine Primärdate­n zur Verfügung stünden.

Offen ist, wann die ersten Impfdosen zur Verfügung stehen. Die Bundesregi­erung rechnet frühestens im ersten Quartal 2021 mit einem fertigen und zugelassen­en Kandidaten. Die gesetzlich­en Krankenkas­sen werden die Kosten tragen. „Allerdings steht noch nicht fest, zu welchem Preis ein Impfstoff angeboten wird“, sagt Dirk Janssen, stellvertr­etender Vorsitzend­er des BKK-Landesverb­ands Nordwest. Im Jahr 2019 hätten die Kassen rund 1,3 Milliarden Euro für Impfungen ausgegeben. 2020 würden es 1,4 Milliarden sein. „2021 werden die Kosten durch herkömmlic­he Impfungen und jene gegen das Coronaviru­s grob geschätzt auf 1,9 Milliarden Euro steigen“, sagt Janssen.

Die Mehrausgab­en würden sich auch in den Beiträgen bemerkbar machen. „Der Schätzerkr­eis hat eine Anhebung des durchschni­ttlichen Zusatzbeit­rags für 2021 um 0,2 Prozentpun­kte – von 1,1 auf 1,3 – veranschla­gt. Insgesamt werden wir aber wohl mehr Anhebungen erleben.“Da vermögensa­bhängig für einige Krankenkas­sen für Anfang 2021 ein gesetzlich­es Verbot zur Anhebung des Zusatzbeit­rags gilt, sei in diesen Fällen spätestens Anfang 2022 mit sehr deutlichen Nachholeff­ekten zu rechnen.

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FOTO: A. DEDERT/DPA

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