Erwerbsminderung: Rentner hoffen auf Nachschlag
Verfahren am Bundessozialgericht trifft 1,8 Millionen.
BERLIN Manchmal kann eine gut gemeinte Reform neuen Ärger verursachen. So wie die Reform der Erwerbsminderungs-Rente. Nun hat ein Betroffener aus Mülheim an der Ruhr geklagt. Er wehrt sich gegen eine Stichtags-Regelung, die Neurentner seit 2019 besser stellt als Altrentner. Und ist damit weit gekommen: Das Bundessozialgericht lässt in diesem Musterstreitverfahren nun eine Revision zu. Wenn der Kläger Recht bekommt, hätte das weitreichende Folgen: „Nun wird entschieden, ob den Erwerbsminderungs-Rentnern Gerechtigkeit widerfährt. 1,8 Millionen Rentner dürfen auf höhere Renten hoffen, wenn die Stichtagsregelung fallen sollte“, sagte Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK, unserer Redaktion. Die Deutsche Rentenversicherung bestätigte, dass sie 2019 rund 1,8 Millionen Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gezahlt habe.
Darum geht es: Früher hat die Rentenversicherung die Höhe der Erwerbsminderungs-Rente berechnet, indem sie unterstellte, dass der Betroffene bis zum 60. Lebensjahr weiterarbeitet wie bisher. Seit 2019 unterstellt sie, dass er bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze tätig ist, also maximal bis zum 67. Lebensjahr.
Mit der Erhöhung wollte die Politik etwas gegen Altersarmut unternehmen.
Die Ungerechtigkeit aus Sicht des VdK: Wer nach dem Stichtag die Leistung beantragt hat, profitiert von höheren Zurechnungszeiten und erhält mehr Rente. Wer dagegen vor dem Stichtag den Antrag gestellt hat, bekommt keinen Nachschlag. Nach neuem Recht würde der Kläger etwa 100 Euro mehr Rente pro Monat bekommen als derzeit.
Mit dem VdK und dem Sozialverband SoVD an seiner Seite klagt der Mülheimer nun auf Gleichbehandlung. „Die Erwerbsminderungs-Rentner sind in den vergangenen Jahren mehrfach leer ausgegangen. Wir hoffen auf eine Grundsatzentscheidung im Sinne unseres Klägers“, sagte Adolf Bauer, Chef des SoVD: „Das Bundessozialgericht kann einen Fehler der Bundesregierung korrigieren.“Schon die Zulassung der Revision sei ein Erfolg. Das Bundessozialgericht lehnt die meisten Nichtzulassungsbeschwerden ab. Sie sei sehr froh, dass man das Nadelöhr beim Gericht geschafft habe, so Bentele. Mit der Entscheidung rechnen die Verbände im nächsten Jahr. SoVDChef Bauer sagt: „Sollte das Bundessozialgericht anderer Meinung sein, legen wir den Fall dem Bundesverfassungsgericht vor.“