Die Lehren aus dem Spektakel
Leverkusens 4:3 gegen Gladbach wirkt nach: Während Bayer 04 einen Weg gefunden hat, den Abgang von Kai Havertz zu kompensieren, haben sich die Borussen erst einmal als Verfolger positioniert.
LEVERKUSEN Nach dem grandiosen deutschen Gipfeltreffen, das der FC Bayern 3:2 gegen Dortmund gewann, schien klar: Besser wird es an diesem Spieltag nicht mehr. Doch dann lieferten sich Leverkusen und Mönchengladbach am Sonntagabend ein spektakuläres Duell. Nach 95 mitreißenden Minuten flimmerte ein 4:3-Sieg der Werkself über die neuen Videowände der BayArena. Gleichzeitig war das Spiel eine Standortbestimmung für die beiden Dauerkonkurrenten um den Einzug in die Champions League.
Bayer Die Mannschaft von Trainer Peter Bosz hatte erst Mühe, in die Saison zu finden. Der Start in die Liga verlief ernüchternd. Drei Remis standen nach drei Spieltagen in der Bilanz. Der Verlust von Kai Havertz und Kevin Volland schien nicht kompensierbar, die Offensive wirkte uninspiriert und in Stürmer Patrik Schick zog sich auch noch der Königstransfer einen Faserriss zu.
Was dann passierte, ist umso erstaunlicher: Bayer gewann in Mainz, gegen Augsburg, in Freiburg und nun gegen Gladbach. Nicht immer hat die Werkself überzeugt, aber sie ist mit Wolfsburg das einzige noch ungeschlagene Team der Liga. Diese Serie ist freilich ein Verdienst der Mannschaft, aber es gibt Akteure, die herausragen.
Zum Beispiel Mittelstürmer Lucas Alario, der wegen Schicks Verletzung im Dauereinsatz ist und die Chance mehr als nutzt. Gegen Gladbach erzielte er seinen dritten Doppelpack in Serie, mit sieben Treffern nach sieben Spieltagen hat er gar den Vereinsrekord eingestellt. Leon Bailey nähert sich der lange verloren geglaubten Form an, die Fußballästheten bereits 2017/18 begeisterte. Moussa Diaby ist auf dem Weg, einer der besten Flügelspieler der Liga zu werden – einer der schnellsten ist er ohnehin. Und dann ist da noch Florian Wirtz. Längst ist das 17-jährige Toptalent zum Stammspieler avanciert. Nicht nur gegen Gladbach bewies er seine außerordentliche Begabung, die trotz aller Unterschiede stark an die von Havertz erinnert.
Bayer ist auch dank ihm dabei, sich aus dem Schatten des zum FC Chelsea abgewanderten Nationalspielers zu lösen – und über Volland redet in Leverkusen ohnehin niemand mehr. Die Mannschaft wirkt gefestigt, auch Rückstände bringen sie nicht aus dem Konzept. Zwar ist die Defensive anfällig für Konter, aber Bosz zufolge geht es darum, ein Tor mehr als der Gegner zu schießen. Gegen Gladbach ist das eindrucksvoll gelungen.
„Jeder Fußballliebhaber muss dieses Spiel sehen“, sagte Bosz. Dass sein Team trotz Dauerbelastung in drei Wettbewerben stets frisch wirkt, erklärt der Niederländer mit einer Formel, die auch auf die restliche Saison gut anwendbar ist: „Nicht so viel darüber reden, sondern einfach machen – und dann sehen wir, wie weit wir kommen.“
Borussia Den Höhepunkt des Abends in der BayArena produzierten die Borussen, oder besser: Valentino Lazaro mit seinem künstlerisch wertvollen Skorpion-Kick zum 3:4. Dass die Gladbacher das Spektakel können und mögen, ist bekannt, das gehört zu den Grundsätzen der Fohlen-Philosophie. Die impliziert auch gerade Ereignisse wie nun das in Leverkusen, also einigermaßen tragisch auch mal zu verlieren – denn was die Qualität der Chancen angeht, waren die Borussen im Vorteil. Doch die Erkenntnis, die sie aus Leverkusen mitnahmen ist: Diese Saison wird kein Selbstläufer.
Elf Punkte haben die Borussen nach sieben Spielen, das ist ordentlich. Und doch ist da für den Moment schon ein gewisser Abstand zu den Rängen, die in der Endabrechnung das große Geld bedeuten, Platz vier aufwärts also. Vier Punkte sind Leverkusen und Dortmund weg, fünf Leipzig. Das sind die Klubs, die in der vergangenen Saison die direkten Konkurrenten im Rennen um die Königsklasse waren. Wolfsburg hat als Sechster wie der Siebte Gladbach elf Punkte. Borussia, die zuvor nur in Dortmund verlor, hat sich zunächst mal als Verfolger positioniert.
Vergangene Saison war Roses Team nach sieben Spielen Erster mit 16 Punkten. Vor allem aber hatten die Borussen erst sechs Tore kassiert, jetzt sind es doppelt so viele. Daran muss Rose arbeiten. Erster sind die Borussen dennoch – in der Königsklasse. Das ist keine Garantie, in Europa zu überwintern, aber die Chancen stehen gut. Aber: Wie in der Liga, wo dreimal Führungen verspielt wurden, hätte es auch in der Champions League trotz der namhaften Gegner mehr sein können angesichts der späten Gegentore in Mailand und Madrid.
Zusammengefasst kann man sagen: Borussia hat bewiesen, zu was sie in der Lage ist, aber eben auch, dass die große Effektivität, die vergangene Saison den starken Start unterstützte, jetzt nicht da ist. Es sind immer Nuancen, die den Unterschied machen, wie jetzt in Leverkusen.
So war das Spiel in gewisser Weise eine Quintessenz der bisherigen Saison: Borussia macht Spaß, aber es fehlt vorn wie hinten zuweilen die letzte Konsequenz.