„Viele leiden an Erschöpfung und Angst“
Wer sich mit dem Coronavirus infiziert, hat nach der Erkrankung oft noch lange mit den Folgen zu kämpfen – physisch wie mental. Die Psychosomatikerin erklärt, wie Reha-Maßnahmen dabei helfen können.
BILK Sabine Zimmerling ist Fachärztin für psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Median-Gesundheitszentrum in Düsseldorf. In der ambulanten Reha-Klinik in Bilk werden auch Patienten behandelt, die eine Covid-19-Erkrankung hinter sich haben. Seit 2019 hat die 42-Jährige die gesamtärztliche Klinikleitung inne.
Frau Zimmerling, welche Reha-Maßnahmen sind für Menschen sinnvoll, die eine Covid-19-Erkrankung hinter sich haben?
SABINE ZIMMERLING Das können verschiedene Anwendungen sein, vor allem aus den Bereichen Lungenheilkunde, Kardiologie, Neurologie und Psychosomatik. In unserer Klinik betreuen wir Patienten mit kardiologischem und psychosomatischem Reha-Bedarf ambulant, andere Beschwerden werden vor allem stationär behandelt. Wie genau das aussieht, hängt von den individuellen Einschränkungen des Patienten ab.
Wie viele solcher Fälle gibt es bei Ihnen derzeit?
ZIMMERLING Im Moment um die sechs. Aber das werden absehbar mehr, wir bekommen sehr viele Anfragen – vor allem zur psychosomatischen Therapie, aber auch in den anderen Bereichen.
Um welche Beschwerden geht es?
ZIMMERLING Es sind zwei Kern-Beschwerden, zum einen extreme Erschöpfung, die sogenannte Fatigue. Die beeinträchtigt die Patienten enorm, sie können teilweise nicht einmal mehr eine Treppe bewältigen, ohne erschöpft zu sein. Zum anderen sind es Ängste – und das nicht nur bei Patienten, die einen schweren Verlauf hinter sich haben. Bei uns melden sich auch viele, die einen leichten Verlauf hatten, sich damit zu Hause isoliert haben – und jetzt Angst haben, wieder rauszugehen. Oder die Sorge haben, andere anzustecken. Das geht teilweise bis zu kompletter Isolation und großer Verzweiflung.
Wie können Sie da helfen?
ZIMMERLING
Unser Konzept baut auf dem auf, was wir sowieso in der psychosomatischen Reha anbieten: die Möglichkeit, eine sichere Tagesstruktur zu etablieren, eine dichte therapeutische Betreuung mit unterschiedlichen Ansatzpunkten anzubieten und natürlich – soweit das mit den corona-bedingten Einschränkungen möglich ist – soziale Kontakte zu etablieren. Da geht es im Kern häufig um die Frage: Wie kann ich fürsorglicher mit mir umgehen? Wir sehen auch, dass sich aus einer Covid-19-Erkrankung eine psychische Erkrankung entwickelt, eine soziale Phobie etwa oder eine Depression. Wir schauen immer individuell, was bei den Patienten im Vordergrund steht, und reagieren dann mit Gesprächstherapie und Psychoedukation, aber auch mit nonverbalen Anwendungen wie
Sport- und Ergotherapie. Bei vielen Menschen geht es auch um die Themen Arbeitsfähigkeit und Reintegration in den Alltag.
Wie funktioniert das in einer ambulanten Klinik?
ZIMMERLING Das ist vergleichbar mit einer Tagesklinik: Die Patienten kommen morgens, bekommen ihre Anwendungen und gehen nachmittags wieder. Auch am Wochenende sind sie zu Hause. Im Moment erschwert die Pandemie die Abläufe natürlich, wir nutzen deshalb zusätzlich zu den Therapien vor Ort eine App, über die die Patienten von zu Hause aus Anwendungen abrufen können – Atemübungen zum Beispiel, die Teil psychosomatischer Therapien sind. Unsere Gruppen hier vor Ort sind außerdem viel kleiner als üblich. Bisher funktioniert das alles erstaunlich gut – auch bei den kardiologischen Anwendungen.
Was steht bei einer kardiologischen Reha im Vordergrund?
ZIMMERLING Da geht es mehr um die körperliche Stärkung und Unterstützung, umgangssprachlich kann man das Cardio-Training nennen. Ziel ist die Stärkung der Herzund Lungenfunktion, zudem eine allgemeine muskuläre Kräftigung. Wir bieten ein EKG-kontrolliertes Training an, viele Patienten haben Angst davor, sich wieder zu bewegen und etwa ohnmächtig zu werden. Aber wenn das EKG mitläuft, bekommt auch der Patient die Rückmeldung: Wie geht es meinem Herzen, wie ist die Frequenz? Oft ist es sehr unterschiedlich, was der Monitor zeigt und wie sich der Patient selbst einschätzt und fühlt – weil viele Covid-19-Patienten das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit verloren haben. Diese Kontrolle gibt Sicherheit.
Wie lange dauert eine Covid-19-Reha in Ihrer Klinik und wie bekommt man einen Platz?
ZIMMERLING Eine kardiologische Reha dauert in der Regel drei bis vier Wochen, eine psychosomatische zwischen fünf und acht. Die meisten Patienten machen sich selbst auf den Weg oder werden von ihrem Hausarzt dazu angeregt. Sie müssen den Antrag selbst bei der Rentenversicherung stellen. Die andere Möglichkeit ist, dass die Reha unmittelbar an einen Akut-Klinikaufenthalt anschließt und von der Klinik in Auftrag gegeben wird.
Covid-19 ist eine neue Erkrankung. War es schwierig, sich darauf einzustellen?
ZIMMERLING Wir haben uns schnell mit allen Chefärzten unseres Median-Klinikverbundes – darunter Psychosomatiker, Neurologen, Pneumologen, Kardiologen – kurzgeschlossen. Jeder hat seine Expertise eingebracht und so konnten wir schnell passende Konzepte für die unterschiedlichen Krankheitsverläufe entwickeln. Aber natürlich lernen wir auch jeden Tag dazu. Was ich zum Beispiel so nicht erwartet hätte, ist die ausgeprägte Erschöpfung vieler Patienten, die eine Covid-19-Erkrankung hinter sich haben.
Die vielzitierte zweite Welle hat auch Düsseldorf fest im Griff. Erwarten Sie einen Anstieg der Patientenzahlen auch bei Ihnen?
ZIMMERLING Auf jeden Fall. Wir haben jetzt mehr Infizierte als in der ersten Welle, da wird es sicherlich auch mehr Menschen geben, die mit den Folgen zu kämpfen haben. Zum Glück können wir das als reine Reha-Klinik ohne zu behandelnde Notfälle gut auffangen.
Behandeln Sie auch weiter Nicht-Corona-Patienten?
ZIMMERLING Sogar überwiegend. Viele Patienten, die etwa wegen Depressionen oder nach einem Herzinfarkt kommen, sind aber ebenfalls stark durch die Pandemie beeinflusst. Diese schränkt ihr tägliches Leben stark ein, viele schotten sich aus Angst vor Ansteckung ab, das Gefühl für Alltagsrisiken geht verloren. Corona verunsichert die Menschen und hat großen Einfluss auf unsere Therapieangebote – bei allen Patienten.