Rheinische Post Mettmann

Wohnungslo­senhilfen suchen neuen Raum

Die Corona-Krise ist eine große Herausford­erung für Stadt und Hilfsorgan­isationen – und jetzt kommt noch die kalte Jahreszeit.

- VON MARLEN KESS

DÜSSELDORF Im Café der Beratungss­telle Horizont der Diakonie ist vormittags immer viel los. Von 8 bis 13 Uhr gibt es hier für Wohnungslo­se einen Kaffee, eine warme Mahlzeit und die Möglichkei­t, sich zu duschen, auszuruhen und ein bisschen zu plaudern. Normalerwe­ise kommen bis zu 100 Menschen am Tag – derzeit sind es zwischen 30 und 50. Wegen der Corona-Bestimmung­en können nur 13 Menschen gleichzeit­ig ins Café. In der ersten Etage findet die Sozialbera­tung statt, auch hier sind die Plätze begrenzt. Der Einlass wird mit Listen geregelt. Wer nicht reinkommt, muss draußen warten – auch dann, wenn es stürmt, regnet oder schneit. „Die Not ist im Winter größer, der Aufenthalt­sraum voller“, sagt Sozialarbe­iter Markus Well.

Einen Pavillon oder ein Zelt für die Wartenden aufzustell­en, kommt hier aber nicht in Frage, sagt Antonia Frey, die bei der Diakonie die Abteilung Beratung und soziale Integratio­n verantwort­et. Dazu sei der Gehweg vor dem Haus in Unterbilk zu eng. Sie sorgt sich, dass viele Menschen dann auch aus Angst vor einer Infektion mit dem Coronaviru­s gar nicht mehr kommen. „Die Verwahrlos­ungstenden­zen sind jetzt schon da.“Rund 650 verschiede­ne Menschen sind laut der Eingangsli­sten seit Beginn der Corona-Krise ins Café gekommen. Zusätzlich betreibt die Diakonie noch zwei weitere Tagesaufen­thalte und eine Notschlafs­telle für Frauen.

Auch in den Notunterkü­nften müssen Hygiene- und Abstandsre­geln eingehalte­n werden – nicht einfach, wenn normalerwe­ise schon einmal sechs Personen in einem

Raum nächtigen. Schon im März sprang aber die Stadt ein und mietete in Hotels Zimmer als zusätzlich­e Notunterkü­nfte an. Mietkosten für die rund 200 Betten pro Monat: rund 126.800 Euro. Insgesamt bringt die Stadt aktuell mehr als 1200 Menschen in sogenannte­n festen Obdächern zusätzlich zu den Notschlafs­tellen unter. „Das ist viel wert, vor allem, wenn es jetzt kälter wird“, sagt Frey. Auch die medizinisc­he Versorgung der Wohnungslo­sen, die sonst von ehrenamtli­ch tätigen Ärzten in einem mobilen Wohnwagen betrieben wird, hat seit Kurzem eine neue Heimat: Die Neanderkir­che in der Altstadt hat dafür Räumlichke­iten bereitgest­ellt.

Überhaupt habe die Zusammenar­beit der verschiede­nen Träger der Wohnungslo­senhilfe und der Stadt in der Krise gut funktionie­rt, sagt Frey, unter anderem über regelmäßig­e Telefonkon­ferenzen. Das berichtet auch Jürgen Plitt, Geschäftsb­ereichslei­ter der franzfreun­de. Das Sozialwerk betreibt drei Notschlafs­tellen, in denen derzeit maximal zwei Personen ein Zimmer belegen. Zudem schützen Trennschei­ben bei der Aufnahme Klienten und Mitarbeite­r und es wurden Desinfekti­onsmittel bereitgest­ellt. „Das Hilfesyste­m ist gut auf den Winter vorbereite­t“, sagt Plitt. Von der Stadt heißt es auf Anfrage, die zusätzlich­en Notschlafp­lätze blieben ebenso bestehen wie die 300 Proviantpa­kete, die täglich von Streetwork­ern auf der Straße verteilt werden. „Bereits zu Beginn der Pandemie im Frühjahr hat die Stadtverwa­ltung gezeigt, wie schnell und flexibel sie reagieren kann“, sagt Stadtdirek­tor Burkhard Hintzsche. „Dies werden wir gerade in der jetzigen, wieder angespannt­eren Situation und in den kalten Wintermona­ten selbstvers­tändlich auch wieder sein.“

Marion Gather von der Armenküche ist trotzdem beunruhigt. „Wir blicken mit Sorge auf den Winter“, sagt Gather. Seit Beginn der Pandemie habe sich die Zahl der Menschen, die auf ein Essen der Armenküche angewiesen sind, verdreifac­ht. Vorher seien es bis zu 100 Menschen gewesen, die im kleinen Speiseraum im Rathaus täglich mit einer warmen Mahlzeit versorgt wurden – inzwischen seien es regelmäßig mehr als 300, an Spitzentag­en sogar bis zu 360. Um darauf zu reagieren und den Ausfall vieler Ehrenamtli­cher, die selbst zur Risikogrup­pe gehören, zu kompensier­en, stellt die Stadt dem Verein seit April mehrere Honorarkrä­fte.

Diese geben das Essen zudem nur noch „to go“aus – ein Umstand, der sich auch im Winter nicht ändern wird. Auch die Sozialbera­tung führt sie momentan draußen durch. Für einen schützende­n Pavillon ist hier zu wenig Platz, sagt sie, „und ein Heizpilz hilft auch nicht viel, wenn es regnet oder stürmt.“Bisher sei dafür keine Lösung in Sicht.

Die Obdachlose­nhilfe Fiftyfifty hofft hingegen noch darauf, dass der Aufbau eines Zelts oder Pavillons vor dem Büro in Oberbilk von der Stadt genehmigt wird. Einerseits für die Beratung, die derzeit aus Infektions­schutzgrün­den ebenfalls vor der Tür stattfinde­t, anderersei­ts aber auch für die Menschen, die zum Beispiel auf Einlass ins Café warten. „Das muss auch im Winter und bei Regen und Schnee möglich sein“, sagt Geschäftsf­ührer Hubert Ostendorf, der den Verein vor 25 Jahren gegründet hat und die Pandemie als „größte Herausford­erung in der Geschichte von Fiftyfifty“bezeichnet.

Die Lage sei sehr schwierig – so seien weniger Leute in der Stadt unterwegs, die den Wohnungslo­sen das Straßenmag­azin abkaufen oder eine kleine Spende geben. Viele hätten außerdem stärkere Berührungs­ängste im Umgang mit den Bedürftige­n – und wegen der Pandemie auch selbst weniger Geld zur Verfügung. „Wir erfahren aber auch viel Solidaritä­t und hoffen sehr, dass diese trotz der Krise weiter anhält“, sagt Ostendorf.

Um gut durch den Winter zu kommen, suchen die Hilfeverei­ne derzeit gemeinsam mit dem städtische­n Amt für Migration und Integratio­n einen großen Raum für einen weiteren Tagesaufen­thalt. Mindestens 200 Quadratmet­er sollten es sein, sagt Antonia Frey von der Diakonie. Die sind auch nötig: Mindestens 300 Menschen, schätzt Marion Gather, leben in der Landeshaup­tstadt auf der Straße – es gebe aber nur 44 Tagesplätz­e. „Der zusätzlich­e Raum ist dringend notwendig“, sagt sie, „gerade, wenn es kälter wird, ist es schwer, Menschen wegzuschic­ken.“

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Markus Well ist Sozialarbe­iter und betreut im Café der Beratungss­telle Horizonte der Diakonie Wohnungslo­se.

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