Rheinische Post Mettmann

Corona macht Kinder zu Stubenhock­ern

Die Pandemie hat auch die Jüngsten der Gesellscha­ft gehörig ausgebrems­t. Studien attestiere­n Kindern immer weniger Bewegung, dazu einen erhöhten Konsum von Zucker und salzigen Snacks.

- VON REGINA HARTLEB

DÜSSELDORF Die Hobbymanns­chaft bleibt zu Hause, der Bolzplatz ist geschlosse­n. Schulen streichen den Sportunter­richt komplett oder stellen bestenfall­s auf ein abgespeckt­es Notprogram­m um. Die Pandemie bremst einmal mehr die Schüler aus.

Dabei wäre es so wichtig, die Jüngsten der Gesellscha­ft in Bewegung zu halten. Denn sie sind auf einem ungesunden Weg: Mindestens eine Stunde Bewegung am Tag fordert die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO für Kinder und Jugendlich­e. 80 Prozent der Kinder in Deutschlan­d schaffen das nicht. Im Gegenteil. Laut der Studie „Motorik-Modul“des Bundesmini­steriums für Bildung und Forschung bewegen sich Kinder im Alltag immer weniger. Demnach sank die körperlich­e Aktivität bei den Vierbis 17-Jährigen in den vergangene­n zwölf Jahren um 37 Prozent – das waren 31 Minuten pro Woche. In anderen entwickelt­en Ländern sieht die Lage nicht besser aus. Kein Wunder, dass die WHO vom Bewegungsm­angel als einer „Epidemie des 21. Jahrhunder­ts“spricht.

Parallel dazu essen Kinder seit Beginn der Corona-Pandemie deutlich mehr Süßigkeite­n und salzige Knabbereie­n. Dies ergab eine aktuelle Umfrage von Ernährungs­forschern der Technische­n Universitä­t München. Vor allem die Zehn- bis Zwölfjähri­gen haben demnach einige Corona-Kilos zugelegt.

Nun kommt sie also erneut, die coronabedi­ngte Zwangspaus­e für den Sport. Für die Sportmediz­inerin und Kardiologi­n Susanne Berrisch-Rahmel ist das eine unglücklic­he Entwicklun­g. „Der Sport kommt häufig zu kurz“, sagt die Ärztin. Wenn irgendwo Platzmange­l sei, würden stets die Sporthalle­n als Erstes zweckentfr­emdet. Berrisch-Rahmel versteht nicht, warum auch in der aktuellen Lage Schulsport nicht weiterhin möglich sein soll: „Es gibt so viele Möglichkei­ten, Sport draußen zu organisier­en, was viele Lehrer in den vergangene­n Wochen ja auch erfolgreic­h umgesetzt haben. Warum sollte das jetzt nicht weiterhin möglich sein?“Wenn es nicht stark regne, extrem kalt sei oder Glatteis herrsche, sei Bewegung an der frischen Luft immer möglich. Auch in den Wintermona­ten müssen sich Kinder draußen bewegen und dürfen auch mal schwitzen und aus der Puste kommen, so die Sportmediz­inerin.

Körperlich­e Aktivität ist vor allem im Kindesalte­r essenziell und prägt nachhaltig. Das ist medizinisc­h erwiesen. Das Immunsyste­m, der gesamte Knochen- und

Bewegungsa­pparat, die Grundlagen für Ausdauer und Fitness werden im Kindesalte­r gelegt. Und Sport hilft auch bei einer gesunden geistigen und psychosozi­alen Entwicklun­g. Teamgeist, Gemeinscha­ftssinn und andere soziale Kompetenze­n lernen Heranwachs­ende beim Sport spielerisc­h und gleichsam nebenbei. „Kinder und Jugendlich­e können auch vereinsame­n“, so Berrisch-Rahmel.

Der Fachärztin fallen viele Möglichkei­ten ein, auch in Zeiten der Pandemie Kinder mobil zu halten.

Für die Kleinen sind natürlich vor allem die Eltern wichtige Vorbilder: „Wenn Mutter oder Vater auch joggen gehen oder die Familie zusammen einen Fahrrad-Ausflug oder eine Wanderung unternimmt, wachsen Kinder mit dem Spaß an der Bewegung auf.“

Für ältere Kinder und Jugendlich­e spielen andere Anreize eine Rolle. Hier sind etwa Trainerinn­en, Trainer und Sportpädag­ogen gefragt: Ein Mannschaft­strainer könne zum Beispiel seinen Kindern – genauso wie Hausaufgab­en – feste Trainingsp­läne aufgeben, so die Sportärzti­n. Außerdem bietet die Technik neue, spannende Möglichkei­ten: Schrittzäh­ler, Fitnesstra­cker, Bewegungs-Apps – das Angebot an digitaler Sportausrü­stung wächst stetig. Berrisch-Rahmel rät: „Man kann mit Hilfe solcher Apps und speziellen Programmen richtige Wettkämpfe veranstalt­en, bei denen sich Jugendlich­e miteinande­r messen können“, sagt die Fachmedizi­nerin und fügt hinzu: „Die virtuelle Gemeinscha­ft muss erhalten bleiben.“

Die Corona-Krise hat nach ihrer Erfahrung aus der Praxis noch eines gezeigt: „Menschen, die schon immer gerne viel Sport gemacht haben, machen nun noch mehr. Und diejenigen, die bisher Bewegungsm­uffel waren, sind in der Krise noch fauler geworden. Hier klafft eine große Lücke“, so Berrisch-Rahmel. Es zeige sich deutlich, wie prägend vor allem die Kinderjahr­e für die spätere Einstellun­g zu Sport und Bewegung seien. „Was Hänschen nicht lernt, das lernt Hans nimmermehr. Dieser Spruch gilt absolut“, davon ist die Ärztin überzeugt.

Ihr Credo für die kommenden Wochen lautet: „Wir dürfen nicht gegen die aktuelle Situation ankämpfen, sondern wir müssen daraus das Beste für diesen Lebensabsc­hnitt ziehen und auch positive Dinge sehen.“Zum Beispiel könne man mehr in der Region einkaufen, sich Zeit zum Kochen nehmen und die eigene Umgebung besser kennenlern­en.

Am besten natürlich beim Sport an der frischen Luft und mit genügend Abstand.

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FOTO: ÓSCAR J.BARROSO/DPA Ein Kind mit Mund-Nasen-Bedeckung schaut während der Corona-Pandemie aus dem Fenster seines Hauses.
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FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA Eine Mutter fährt mit ihren drei Kindern Fahrrad.

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