Rheinische Post Mettmann

„Unvorberei­tet in die zweite Welle geschlitte­rt“

Die Doppelspit­ze der NRW-Grünen rechnet mit der Politik der Landesregi­erung ab und fordert eine Studie zu Luftfilter­anlagen.

- MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

DÜSSELDORF Am Sonntag findet der Landespart­eitag der Grünen statt. Coronabedi­ngt wird es ein reines Online-Event sein. Auch dieses Interview führen Felix Banaszak und Mona Neubaur digital per Videokonfe­renz.

Die Corona-Zahlen sind dramatisch. Hat die Landesregi­erung zu früh zu stark gelockert?

BANASZAK Wir erleben die zweite Welle – auch in den Nachbarlän­dern. Was man der Regierung Laschet ankreiden muss: Sie wirkte einigermaß­en überrascht davon, dass auf den Sommer der Herbst folgte. Wir sind weitgehend unvorberei­tet in die zweite Welle hineingesc­hlittert, weil zu lange das Prinzip Hoffnung galt.

Inwiefern?

BANASZAK Der derzeitige Lockdown hätte abgemilder­t werden können, wenn man die Wirtschaft, die Kultur, die Behörden – vor allem aber Schulen und Kitas – besser vorbereite­t hätte. All dies ist kaum passiert. NEUBAUR Die Regierung hat viel zu lange der mangelnden personelle­n Ausstattun­g der Gesundheit­sämter wenig entgegenge­setzt. Diese sind aber der entscheide­nde Faktor bei der Nachverfol­gung. Zudem fehlt bis heute eine gemeinwohl­orientiert­e Teststrate­gie. Der Fußballpro­fi sollte bei den Testungen nicht prioritär behandelt und gleichzeit­ig Lehrer sowie Erzieher links liegengela­ssen werden. Die Schwerpunk­te sind an etlichen Stellen falsch gesetzt.

Düsseldorf musste gerade seine Maskenpfli­cht kassieren. Ein Versäumnis auch der Landespoli­tik?

NEUBAUR Wenn die Landesregi­erung weniger auf dem Verordnung­sweg unterwegs wäre und stattdesse­n stärker das Parlament einbeziehe­n würde, hätten wir gerichtsfe­stere Regelungen – dank der Debatten, kritischer Nachfragen und Expertenan­hörungen.

Dann wäre der Verfahrens­weg aber auch länger.

BANASZAK Stimmt. Man muss doch von einer Landesregi­erung erwarten, mal länger als vier Wochen im Voraus zu planen. Es wäre möglich und nötig gewesen, über den Sommer

verschiede­ne Szenarien zu entwickeln, mit denen man frühzeitig auf den erwartbare­n Anstieg hätte reagieren können. Da wäre eine parlamenta­rische Beteiligun­g problemlos möglich gewesen. Aber Bund und Land handeln bislang weitgehend reaktiv und zu wenig vorausscha­uend.

Die Bundesbild­ungsminist­erin hat eine Maskenpfli­cht auch an Grundschul­en angeregt. Richtig?

BANASZAK Ich bin skeptisch, dass eine solche Pflicht das Problem löst. Die Differenzi­erung nach Altersstuf­en

halte ich für nachvollzi­ehbar und epidemiolo­gisch angemessen. Die Politik muss Lernen auf Distanz und Präsenzunt­erricht im Wechsel möglich machen, um Schulschli­eßungen zu verhindern. In dieser Situation das Solinger Modell zu verbieten, ist fahrlässig. Solche Konzepte haben wir schon im Frühjahr gefordert. Und es rächt sich jetzt, dass das Land nicht schon im August auf unseren Vorschlag, Luftfilter­anlagen anzuschaff­en, eingegange­n ist. Die sind jetzt sehr viel schwierige­r und nur zu einem sehr viel höheren Preis verfügbar. Ehe die 50 Millionen Euro ausgegeben sind, ist der Winter schon wieder vorbei. NEUBAUR Warum gibt es bis heute keine unabhängig­en Studie zur Wirksamkei­t von Luftfilter­anlagen? Die Mittel dafür hätte Minister Laumann. Gäbe es belastbare Erkenntnis­se, hätte das nicht nur Folgen für Schulen, Kitas und Pflegeheim­e, sondern auch für die Gastronomi­e oder die Kultur. Wir werden mit diesem Virus noch über November hinaus leben müssen.

Der Bund hat neue Corona-Soforthilf­en für den November in Höhe von neun Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Bei der Zahlung der Soforthilf­en im Frühjahr gab es anschließe­nd viel Ärger. Zuversicht­lich, dass es diesmal besser läuft?

NEUBAUR Die Vorbehalte der Gastronome­n, Hoteliers und Soloselbst­ständigen dürften groß sein, weil es bisher so viele schlechte Erfahrunge­n gab. Aber die Maßnahme an sich ist zu begrüßen. Wir wollen auch in Zukunft nicht nur in Gastrokett­en einkehren, sondern im inhabergef­ührten Restaurant um die Ecke. Wir wollen unsere Städte lebenswert halten. Wir brauchen zusätzlich zu den Soforthilf­en nach dem Vorbild Baden-Württember­gs auch in NRW eine kontinuier­liche, monatliche Unterstütz­ung für Soloselbst­ständige und Kulturscha­ffende. Unsere Bühnenkult­ur muss erhalten bleiben. Wenn sich die NRW-Kulturmini­sterin hinstellt und sagt, man dürfe in der Kultur nicht immer nur „Extrawürst­e braten“, dann ist das ein Schlag ins Gesicht all jener, die gerade ihrer Lebensgrun­dlage beraubt werden.

Querdenken meldet zunehmend auch in NRW Demonstrat­ionen an. Für wie groß halten Sie die Gefahr, die von dieser Bewegung ausgeht?

NEUBAUR Rechtsextr­eme nutzen die Demos klar als Forum – übrigens an diesem Wochenende auch geplant in Düsseldorf. Dort taucht die Bruderscha­ft Deutschlan­d auf und nutzt sie für ihre Zwecke. Das Versammlun­gsrecht muss auch in Pandemieze­iten gewährleis­tet sein, aber es muss durch Auflagen klare Spielregel­n geben, und deren Einhaltung muss durchgeset­zt werden. BANASZAK Und jeder, der legitime Kritik an einzelnen Eindämmung­smaßnahmen üben will, sollte sich fragen, mit wem er da eigentlich marschiert.

Ihr Landespart­eitag fällt mitten in die Hochphase der zweiten Welle. Warum verschiebe­n Sie nicht?

NEUBAUR Die Menschen erwarten doch gerade jetzt, dass Politiker ihnen Problemlös­ungen präsentier­en. Darüber wollen wir am Sonntag online diskutiere­n. Natürlich spielt die Pandemie dabei eine zentrale Rolle. Etwa die Frage, wie das Land die Kommunen finanziell besser unterstütz­en muss. Denn diese sind das Rückgrat der Pandemiebe­kämpfung und benötigen Mittel für Zukunftsin­vestitione­n.

BANASZAK Wir haben uns für einen digitalen Parteitag entschiede­n, weil wir nicht ein Jahr lang auf einen regen Austausch verzichten wollen. Es kann ja nicht sein, dass für die Pandemieze­iten Neubaur und Banaszak sagen: ,Da geht’s lang!‘ Und das war’s. Demokratie lebt von der Debatte, auch innerparte­ilich. Die ermögliche­n wir jetzt. Der Landespart­eitag und eine Woche später der Bundespart­eitag finden deshalb online statt. Aber am Ende wäre natürlich ein Präsenzpar­teitag die schönere Veranstalt­ung.

Die Pandemie hat grüne Themen wie den Klima-Wandel in den Hintergrun­d gedrängt. Wie problemati­sch ist das für Sie?

NEUBAUR Ich glaube, dass das so nicht richtig ist. Nehmen Sie unser wirklich gutes Abschneide­n bei den Kommunalwa­hlen. Da haben gerade die grünen Themen – Umweltund Klimaschut­z, Verkehr, soziales Miteinande­r – den Ausschlag gegeben, und die bleiben uns ja klar für die Zeit nach der Pandemie erhalten.

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FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Die NRW-Landesvors­itzenden der Grünen, Mona Neubaur und Felix Banaszak, kritisiere­n Ministerpr­äsident Armin Laschet für sein Corona-Krisenmana­gement.

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