Rheinische Post Mettmann

Welcher Teufel hat die Koalition geritten?

- VON GREGOR MAYNTZ

Die Demokratie von Weimar ist an vielen Fehlern gescheiter­t. Das falsche Vorgehen der Verantwort­lichen gehörte dazu, aber neben vielem anderen auch die Aggressivi­tät auf den Straßen, die immer tiefer werdende Spaltung der Gesellscha­ft und die Provokatio­nen von den Kräften der Extremen. Es ist zum Gruseln, vor diesem Hintergrun­d die Begleitums­tände der Gesetzgebu­ng zum Infektions­schutz zu verfolgen.

Von welchem Teufel hat sich die Koalition reiten lassen, die Änderungen so durch die Verfassung­sorgane zu prügeln, als hinge davon die Wende in der Pandemiebe­kämpfung ab? Wer sich um Akzeptanz bemüht, muss die Menschen mitnehmen. Das Gegenteil machte die Koalition. Keine Zeit zur intensiven öffentlich­en Beratung der letzten wichtigste­n Details, keine Zeit zur genauen Überprüfun­g durch Bundesrat und Bundespräs­ident. Wer das Misstrauen steigern wollte, hätte sich dafür kein passendere­s Drehbuch ausdenken können.

Wenn neun von zehn Protesttei­lnehmern ihre Demonstrat­ionsfreihe­it in Berlin mit Rücksichts­losigkeit gegenüber der Gesundheit anderer verwechsel­n, besagt das nicht, dass die Verhältnis­se in der Bevölkerun­g ähnlich wären. Auf den meisten Straßen zeigt sich in diesen Tagen ein anderes Bild: Neun von zehn Menschen schützen sich und andere. Auch der Zulauf zu Extremiste­n und Protesten wirkt unter dem Brennglas der Berichters­tattung größer, als er in Wirklichke­it ist. Das ist beruhigend für den Unterschie­d zwischen Berlin heute und Weimar damals. Aber das Eis wird dünner. Fast jeder Zweite glaubt, dass die wirklichen Hintergrün­de der Pandemie nicht gesagt würden. Das ist ein riesiger potenziell­er Echoraum für demokratie­zerstörend­e Verschwöru­ngsmythen. Die Verantwort­lichen dürfen sich nicht mehr viele solcher Fehler erlauben.

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