Rheinische Post Mettmann

„Es gibt auch Schwarmdum­mheit“

Die Ministerin und Parteivize über Gefahren für die Demokratie und das Superwahlj­ahr in Corona-Zeiten.

- KRISTINA DUNZ FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Frau Klöckner, Kritiker des neuen Infektions­schutzgese­tzes sprechen von einem „Ermächtigu­ngsgesetz“und ziehen damit einen Vergleich zur NS-Zeit 1933. Wie würden Sie den Menschen erklären, dass die Regierung keine Diktatur anstrebt?

KLÖCKNER Ich lasse mich überhaupt nicht auf diese Sprache ein. Der Vergleich mit der schrecklic­hen, menschenve­rachtenden NS-Zeit gehört sich einfach nicht und ist völlig unangemess­en. Im Infektions­schutzgese­tz geht es hingegen um den Schutz unserer Bevölkerun­g vor Krankheit und Schaden, um schnelles Handeln und Stützung unseres Gesundheit­ssystems. Der Staat muss in dieser Lage angemessen handlungsf­ähig sein, mögen die Verhandlun­gen zwischen Bund und Ländern auch noch so mühsam sein in einem föderalen Staat.

Aber musste das Gesetz derart schnell durchgepau­kt werden?

KLÖCKNER Für das Parlament ist es enorm schnell mit wenig Beratungsz­eit, für die Pandemiela­ge ist es hingegen höchste Zeit. Das ist Ausdruck eines Krisenmodu­s, eines Ausnahmezu­standes, den wir aber nicht überstrapa­zieren sollten. Denn wenn dieser Zustand zu lange andauert, ist es keine Ausnahme mehr, sondern eine grundsätzl­iche Strukturve­ränderung. Und das wäre eine Zumutung sowohl für die Opposition als auch die Regierungs­fraktionen. Die Parlamente auf allen Ebenen wollen und müssen gründlich und in angemessen­er Zeit mitberaten und mitentsche­iden. Weitreiche­nde Entscheidu­ngen bedürfen der parlamenta­rischen Legitimati­on und ausreichen­der Zeit für die Entscheidu­ngsfindung.

Wer kann am ehesten nach der CDU-Vorstandsw­ahl den Verlierern die Hand reichen? Norbert Röttgen, Friedrich Merz oder Armin Laschet?

KLÖCKNER Hört sich vielleicht diplomatis­ch an, aber ich traue es allen dreien zu. Sie sind nach einem so langen Wahlkampf bis in die Poren sensibilis­iert. Derjenige, der gewinnt und nicht das Schicksal vieler SPD-Chefs erleiden will, muss die beiden anderen einbinden.

Wo bleiben die Frauen in der Partei nach Kanzlerin Angela Merkel?

KLÖCKNER Ihr selbstbest­immter politische­r Ausstieg wird ein Einschnitt. Wir Christdemo­kraten sind ja lange Linien und keine häufigen Wechsel gewöhnt. Helmut Kohl, dann Angela Merkel. Nach so langen Regierungs­zeiten muss man sich umstellen. Das ist so, als zöge jemand nach langer Zeit von zu Hause aus. Bis ein leeres Zimmer neu eingericht­et ist und sich bewohnt und „normal“anfühlt, dauert es. Es wird anders.

Wie anders?

KLÖCKNER Allein schon der Wahlkampf, sollte die Corona-Pandemie andauern. Denn es wird dann

Julia Klöckner (47) ist seit 2018

Ministerin für Ernährung und Landwirtsc­haft

und seit 2012 Vizechefin der

CDU. für Politik schwerer, mit Kandidaten vor Ort, in den Regionen, so etwas wie ein „Lagerfeuer-Gefühl“zu schaffen, wenn Kontakte massiv eingeschrä­nkt sind. So etwas verändert auch die Demokratie und ihre Gewohnheit­en. Wir müssen achtgeben, dass es keine Gefahr für den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft wird. Direkte Begegnunge­n, Erklärunge­n und Erläuterun­gen können Polarisier­ungen vorbeugen. Der Austausch im Netz ist häufig von Überzeichn­ung, Aufregung, Schwarz und Weiß geprägt. Digital vernetzt ist man eher nur mit Gleichgesi­nnten. In dieser Reduzierun­g droht man bequem zu werden. Auch beim Denken und Austausche­n von Argumenten. Die Bereitscha­ft, davon auszugehen, der andere könnte auch einmal recht haben, nimmt spürbar ab. Es gibt die Schwarmint­elligenz. Das Gegenteil, die Schwarmdum­mheit, kann es aber auch geben. Persönlich­e Gespräche zwischen Politikern und Bürgern bleiben unersetzli­ch.

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FOTO: DPA

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