„Es gibt auch Schwarmdummheit“
Die Ministerin und Parteivize über Gefahren für die Demokratie und das Superwahljahr in Corona-Zeiten.
Frau Klöckner, Kritiker des neuen Infektionsschutzgesetzes sprechen von einem „Ermächtigungsgesetz“und ziehen damit einen Vergleich zur NS-Zeit 1933. Wie würden Sie den Menschen erklären, dass die Regierung keine Diktatur anstrebt?
KLÖCKNER Ich lasse mich überhaupt nicht auf diese Sprache ein. Der Vergleich mit der schrecklichen, menschenverachtenden NS-Zeit gehört sich einfach nicht und ist völlig unangemessen. Im Infektionsschutzgesetz geht es hingegen um den Schutz unserer Bevölkerung vor Krankheit und Schaden, um schnelles Handeln und Stützung unseres Gesundheitssystems. Der Staat muss in dieser Lage angemessen handlungsfähig sein, mögen die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern auch noch so mühsam sein in einem föderalen Staat.
Aber musste das Gesetz derart schnell durchgepaukt werden?
KLÖCKNER Für das Parlament ist es enorm schnell mit wenig Beratungszeit, für die Pandemielage ist es hingegen höchste Zeit. Das ist Ausdruck eines Krisenmodus, eines Ausnahmezustandes, den wir aber nicht überstrapazieren sollten. Denn wenn dieser Zustand zu lange andauert, ist es keine Ausnahme mehr, sondern eine grundsätzliche Strukturveränderung. Und das wäre eine Zumutung sowohl für die Opposition als auch die Regierungsfraktionen. Die Parlamente auf allen Ebenen wollen und müssen gründlich und in angemessener Zeit mitberaten und mitentscheiden. Weitreichende Entscheidungen bedürfen der parlamentarischen Legitimation und ausreichender Zeit für die Entscheidungsfindung.
Wer kann am ehesten nach der CDU-Vorstandswahl den Verlierern die Hand reichen? Norbert Röttgen, Friedrich Merz oder Armin Laschet?
KLÖCKNER Hört sich vielleicht diplomatisch an, aber ich traue es allen dreien zu. Sie sind nach einem so langen Wahlkampf bis in die Poren sensibilisiert. Derjenige, der gewinnt und nicht das Schicksal vieler SPD-Chefs erleiden will, muss die beiden anderen einbinden.
Wo bleiben die Frauen in der Partei nach Kanzlerin Angela Merkel?
KLÖCKNER Ihr selbstbestimmter politischer Ausstieg wird ein Einschnitt. Wir Christdemokraten sind ja lange Linien und keine häufigen Wechsel gewöhnt. Helmut Kohl, dann Angela Merkel. Nach so langen Regierungszeiten muss man sich umstellen. Das ist so, als zöge jemand nach langer Zeit von zu Hause aus. Bis ein leeres Zimmer neu eingerichtet ist und sich bewohnt und „normal“anfühlt, dauert es. Es wird anders.
Wie anders?
KLÖCKNER Allein schon der Wahlkampf, sollte die Corona-Pandemie andauern. Denn es wird dann
Julia Klöckner (47) ist seit 2018
Ministerin für Ernährung und Landwirtschaft
und seit 2012 Vizechefin der
CDU. für Politik schwerer, mit Kandidaten vor Ort, in den Regionen, so etwas wie ein „Lagerfeuer-Gefühl“zu schaffen, wenn Kontakte massiv eingeschränkt sind. So etwas verändert auch die Demokratie und ihre Gewohnheiten. Wir müssen achtgeben, dass es keine Gefahr für den Zusammenhalt der Gesellschaft wird. Direkte Begegnungen, Erklärungen und Erläuterungen können Polarisierungen vorbeugen. Der Austausch im Netz ist häufig von Überzeichnung, Aufregung, Schwarz und Weiß geprägt. Digital vernetzt ist man eher nur mit Gleichgesinnten. In dieser Reduzierung droht man bequem zu werden. Auch beim Denken und Austauschen von Argumenten. Die Bereitschaft, davon auszugehen, der andere könnte auch einmal recht haben, nimmt spürbar ab. Es gibt die Schwarmintelligenz. Das Gegenteil, die Schwarmdummheit, kann es aber auch geben. Persönliche Gespräche zwischen Politikern und Bürgern bleiben unersetzlich.