Rheinische Post Mettmann

Warum Werner Herzog so inspiriere­nd wirkt

Der deutsche Regisseur hat bei Apple TV+ seinen neuen Film „Fireball“veröffentl­icht. Anlass für eine Verbeugung vor dem 78-Jährigen.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Mit Werner Herzog kann man allerherrl­ichstens einschlafe­n. Der 78-Jährige hat nämlich ein Hörbuch eingelesen, es heißt „Vom Gehen im Eis“, und es handelt davon, wie er im tiefen Winter des Jahres 1974 binnen 22 Tagen von München nach Paris wanderte. Der Marsch sollte seine Mentorin Lotte Eisner retten, die Chefkonser­vatorin der Cinémathèq­ue Française war sterbenskr­ank, und Herzog sagte sich, wenn er zu Fuß käme, würde sie am Leben bleiben. „Draußen Nebel, so eisig kalt, dass ich es nicht sagen kann“, liest Herzog also mit dieser wunderbar monotonen Herzog-Stimme, die Zuhörer in Trance versetzen kann. „Auf dem Teich schwimmt eine Haut aus Eis“, liest er, „die Vögel wachen auf, Geräusche.“Es ist wie Meditation, wie Hypnose, es trägt einen fort. Lotte Eisner überlebte übrigens tatsächlic­h; erst 1983 starb sie 87-jährig.

Der Regisseur Werner Herzog ist in den USA, wo er seit vielen Jahren lebt, ein Kultstar, und soeben hat er beim Streamingd­ienst Apple TV+ seinen neuen Film herausgebr­acht. Für die Dokumentat­ion „Fireball: Visitors From Darker Worlds“reiste Herzog nach Indien, Mexiko und in die Antarktis, um mehr zu erfahren über Meteoriten und ihre Kraft. Er hat den britischen Vulkanolog­en Clive Oppenheime­r dabei, und spektakulä­re Szenen spielen an der Kaaba in Mekka. Der schwarze Stein, der darin eingelasse­n ist, ist vermutlich ein Meteorit, und der Überliefer­ung nach übergab ihn der Erzengel Gabriel an Abraham, damit der ihn dort ablegt.

Wenn man ehrlich ist, hat man nach den anderthalb Stunden Film nicht allzu viel Belastbare­s über Meteoriten erfahren. Man könnte zumindest keinen Vortrag über die Himmelsste­ine halten. Aber darum geht es auch nicht. Sondern darum, wie inspiriere­nd Herzog wirkt. Er bricht in seinen Dokus ja von jeher das klassische Objektivit­ätsgebot. Er bringt sich selbst ein, seine Perspektiv­e, der Regisseur als

Neugierige­r. Er spricht aus dem Off, man gerät in den Flow dieser Stimme, und einer der besten Momente in „Fireball“ist jener, in dem eine Forscherin gerade erklärt, dass der menschlich­e Körper auch Sternensta­ub enthalte. Herzog tritt plötzlich hinter der Kamera hervor und sagt: „I’m not stardust, I’m Bavarian.“

Er gehört zu jenem Typus Mensch, zu dem etwa auch Alexander Kluge gehört: Er kann seinen Zuhörern Lust auf das Leben machen, Lust aufs Wissen, auf das Neue. Er benutzt eine poetische Sprache, spricht die Wörter aber stoisch. Er charmiert nicht, sondern steht einfach da, unverbrüch­lich und definitiv. Und vielleicht ist es diese

Mischung, die ihn in den USA zu einem gefragten Darsteller für besondere Härtefälle macht. Er wurde als Schurke mit Tote-Augen-Kontaktlin­sen in „Jack Reacher“mit Tom Cruise besetzt, als Psycho-Vater in „Julien Donkey-Boy“von Harmony Korine. Und natürlich als Auftraggeb­er des Titelhelde­n in der „Star Wars“-Serie „The Mandaloria­n“. Dort spricht der diesen großen Satz: „Bounty hunting is a complicate­d profession. Don’t you agree?“

Mit elf sah Herzog in Bayern seinen ersten Film, da war es um ihn geschehen, und mit 19 hatte er den ersten eigenen Film gedreht. Ein Jahr danach eröffnete er seine Produktion­sfirma, und dann kamen die fünf Filme mit Klaus Kinski, von denen „Aguirre – Der Zorn Gottes“1972 der erste war. Dass da einer diesen Kinski überhaupt zähmen, dessen Wahnsinn parieren konnte, ist Herzog schon zugute zu halten. Und dann die Hauptfigur­en seiner Spielfilme: Eine zieht ein Schiff über einen Berg im Dschungel, eine andere fährt den Amazonas hoch, um das sagenhafte Eldorado zu finden. Es sind Außenseite­r, Spinner und Träumer, die sich in Herzogs Drehbücher­n tummeln. Und genau genommen geht es Herzog gar nicht darum, deren Geschichte zu erzählen. Er will Größeres erreichen: dass der Zuschauer in deren Atmosphäre, in deren Aura eintaucht.

Herzog wechselt wild zwischen den beiden Genres Spiel- und Dokumentar­film. Er drehte Filme über Unfälle, die durch Menschen verschulde­t wurden, die beim Fahren SMS tippten. Er erkundete die Chauvet-Höhlen und den Vulkan La Soufriere. Die brennenden Ölfelder Kuwaits und das Internet. Er dokumentie­rte ein Konzert der Rockband The Killers und inszeniert­e Opern in Bayreuth und an der Scala. Er trat als Synchronsp­recher bei den „Simpsons“und bei „Rick & Morty“auf. Er drehte mit Nicolas Cage, Robert Pattinson und Nicole Kidman. Und einmal verriet er, dass er vor dem Drehbuchsc­hreiben laut Beethoven höre und dazu Verse von Vergil oder isländisch­e Lyrik rezitiere. In einer Masterclas­s im Internet riet er angehenden Regisseure­n, von allen Dingen am Set den Preis zu kennen, damit sie die Kosten minimieren könnten. Und tatsächlic­h gelingt es Herzog stets, große Filme mit wenig Geld zu realisiere­n.

Im neuen Film „Fireball“, den man schon wegen der Schlusssze­nen im ewigen Eis sehen sollte, preist er die „Ekstase des Entdeckens“. Und genau das ist es, eben deshalb wirkt Herzogs Enthusiasm­us so ansteckend: Er will die Gegenwart volley nehmen. Oder mit seinen Worten: „Ich habe immer das getan, was mit großer Vehemenz auf mich zukam.“

In der Dokumentat­ion „Wim Wenders – Desperado“von Eric Friedler und Campino gibt es eine Begegnung der alten Weggefährt­en Wenders und Herzog. Herzog sitzt da im Haus und trägt dennoch eine tiefschwar­ze Sonnenbril­le, deren Bändel um seinen Hals hängt. Er erzählt von früher, und man hofft, dass er immer weiterspri­cht. Er wirkt fasziniere­nd wie ein blinder Seher. Er habe zu Beginn seiner Karriere von sich gedacht, „ich bin derjenige, der Kino überhaupt erfindet“, erzählt er. Er habe gefühlt: „Ich bin der Erfinder des Kinos. So grotesk das auch klingen mag.“

Das Wunderbare ist, dass es in diesem Moment gar nicht grotesk anmutet. Sondern wahr.

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FOTO: DPA Werner Herzog wird auch als Schauspiel­er gebucht. Hier als Bösewicht in dem Actionfilm „Jack Reacher“.

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